: „AKW Obrigheim ist endgültig vom Netz“
Peter Becker, Rechtsanwalt der Klägergemeinde, ist optimistisch ■ I N T E R V I E W
Das Atomkraftwerk Obrigheim ist, wie berichtet, zunächst durch den baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof in Mannheim bis zum 31.August dieses Jahres stillgelegt. In der mündlichen Begründung des Urteils hatten die Richter betont, der Betrieb der Anlage gehe über das hinaus, was die vorhandenen Teilbetriebsgenehmigungen rechtlich hergäben. Die Grünen Baden-Württemberg fordern auch, den Reaktor NeckarwestheimI stillzulegen. Am Freitag ist auch das Atomkraftwerk Krümmel an der Elbe zu einem Brennelementewechsel abgeschaltet worden.
taz: Die Betreiber des AKWs Obrigheim haben nach der Stillegung ihres Reaktors nun angekündigt, daß sie die erforderlichen Schritte unternehmen wollen, damit Obrigheim wieder ans Netz gehen kann. Welche Chance hat denn dieses Vorhaben?
Peter Becker: Es muß ja jetzt der bestimmungsmäßige Betrieb genehmigt werden, der faktisch seit zwanzig Jahren läuft, aber nie genehmigt wurde. Dafür muß ein entsprechender Antrag an die Genehmigungsbehörde, das baden -württembergische Wirtschaftsministerium gerichtet werden. Weil gegenüber dem ursprünglich genehmigten Zustand wesentliche Veränderungen eingetreten sind, muß nach der atomrechtlichen Verfahrensordnung eine Erörterung stattfinden.
Das heißt, es muß ein ordentliches Genehmigungsverfahren durchgeführt werden, und das kann sich über mehrere Jahre hinziehen?
Richtig, wie man es jetzt bei Mühlheim-Kärlich sieht.
Und in dieser Zeit ist es rechtlich gesehen ausgeschlossen, daß Obrigheim wieder ans Netz geht?
Ausgeschlossen nicht. Das Urteil des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofs wird ja erst rechtskräftig, wenn ein eventuelles Verfahren gegen die Nichtzulassung der Revision gelaufen und beendet ist. Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, könnte das Ministerium sagen: Wir lassen das Ding weiterlaufen. Aber das wäre ein Widerspruch zu der ja schon erfolgten vorläufigen Stillegung. Durch die ist ja auch eine faktische Bindung eingetreten.
Die rechtliche Situation ist jetzt dieselbe wie in drei Monaten. Ich meine, daß in der ganzen Zeit des laufenden Genehmigungsverfahrens der Reaktor nicht wieder ans Netz gehen kann.
Welche Chancen hat das Atomkraftwerk Obrigheim denn, ein neues Genehmigungsverfahren zu überstehen? Das über zwanzig Jahre alte Atomkraftwerk würde dabei doch wohl an den heute geltenden Sicherheitskriterien gemessen.
Man muß unterscheiden zwischen dem, was in den Teilerrichtungsgenehmigungen bereits genehmigt war und dem, was jetzt mit dem Dauerbetrieb zu genehmigen ist. Was ordnungsgemäß genehmigt war, das ist auch genehmigt und unter Dach und Fach. Nur was für den Dauerbetrieb jetzt zu fordern wäre, also Anlagensicherheit, Instrumentierung, Brandschutz und diese ganzen Sachen, muß jetzt neu geprüft werden, also ob der neueste technische Standard gewährleistet ist.
Wird Ihrer Einschätzung nach Obrigheim noch mal ans Netz gehen können, oder gehört es endgültig auf den Altenteil?
Ich bin der Ansicht, es ist endgültig vom Netz. Ein großes Problem für Obrigheim wird vor allem sein, daß es durch den faktischen schwarzen Dauerbetrieb veraltet ist. Der Reaktordruckbehälter ist versprödet. Die Frage, wie er im Technischen ausgelegt ist, wäre heute nach ganz anderen Kriterien zu beantworten. Ich bezweifle ganz stark, daß man nach heutigen Sicherheitsvorstellungen einen Dauerbetrieb noch verantworten kann. Das AKW Obrigheim kann diese heutigen Anforderungen einfach nicht mehr erfüllen.
Besteht denn überhaupt die Möglichkeit, Obrigheim in einem vertretbaren Kostenrahmen noch so umzurüsten, daß es genehmigungsfähig würde?
Das ist schwer zu sagen. Ich vertrete ja auch in Würgassen die Kläger. Da wurde die Stillegung hauptsächlich mit Brandschutzproblemen begründet. Das ist ja der zweitälteste Reaktor der Bundesrepublik, und ich gehe davon aus, daß in Obrigheim dieselben Brandschutzmängel vorliegen wie in Würgassen.
Zur Zeit der Errichtung dieser Anlagen galt das spezifische kerntechnische Brandschutzsystem für Reaktoren eben noch nicht. Damals wurde nach der normalen Bauordnung gebaut. Das ist ein heikler Punkt. Mein Eindruck ist der, daß die Behörde sich schon daran orientiert hatte, mit diesem Versuchs- und Demonstrationskraftwerk tatsächlich zu beobachten und zu testen. Das lief dann aber immer so weiter, und man hat einfach den Absprung verpaßt.
Interview: Rolf Gramm
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