AIDS & Afrika: Zwischen Stigma und Sparzwang
Seit 2004 macht das Gesundheitsamt HIV-Aufklärung, die sich speziell an Afrikaner wendet. Das Unwissen ist noch immer groß. Jetzt ist das einmalige Projekt gefährdet.
Der Weg zum Gesundheitsamt führt für manche Menschen über einen gelben Zettel. Überall in der Stadt liegen die Flyer aus - in Kirchen, Afro-Shops, Call-Centern. Sie richten sich an afrikanische MigrantInnen und informieren über HIV und Aids - Themen, die in ihrer Community oft tabu sind. Dort setzt das Afrika-Projekt des Bremer Gesundheitsamtes an: Seit 2004 bemüht es sich um Aufklärung über HIV, Aids und andere Geschlechtskrankheiten unter afrikanischen Einwanderern.
"Mitte der 1990er Jahre haben wir gemerkt, dass die afrikanischen Einwanderer durch die üblichen Aufklärungsprogramme kaum zu erreichen sind", sagt Koordinator Martin Taschies. Mangelnde Sprachkenntnisse, Behördenscheu und und nicht zuletzt die Angst, in Verbindung mit der Krankheit gebracht zu werden, halte viele Afrikaner davon ab, Aids-Beratungsstellen von sich aus aufzusuchen. Die MitarbeiterInnen des Gesundheitsamtes gehen deshalb auf sie zu, sie verteilen Informationsbroschüren und Kondome, knüpfen Kontakte. So wollen sie Vorurteile gegenüber den Aids-Kranken abbauen und für Solidarität innerhalb der afrikanischen Community werben.
"Die Bremer MigrantInnen kommen zwar aus den unterschiedlichsten Regionen Afrikas, haben aber alle eine ähnliche Einstellung zur Sexualität - das Thema wird nicht öffentlich diskutiert", sagt Adebayo Alabi. Der 49-Jährige, der zurzeit beim Afrika-Projekt mitarbeitet, studierte Pharmakologie im nigerianischen Lagos und kam 1998 aus Nigeria nach Deutschland. Alabi, der sich seit Jahren bei der Flüchtlingshilfe-Organisation "Karawane" engagiert, kennt die Probleme im Umgang mit HIV und Aids innerhalb der afrikanischen Gemeinde.
Vor allem fehle vielen das Wissen über die Krankheit, sagt Alabi. "Einige denken, dass es gar kein Aids gibt", sagt er. Aids werde als Verdammnis empfunden, als eine Strafe für jene, die etwas außerhalb der gesellschaftlichen Norm getan hätten - etwa fremdgegangen sind oder sich prostituiert haben. Hinzu käme, dass viele die Krankheit als einen Vorwand für Europäer empfänden, AfrikanerInnen zu diskriminieren. Ziel des Projekts sei es, dass sich die Betroffenen wohlfühlten und ein normales Leben führen könnten, so Alabi.
"Wir sind leider noch nicht soweit." Oft würden Betroffene ihr Leiden aus Angst vor Ausgrenzung geheim halten. "Afrikanische Kirchen und Vereine schließen zwar niemanden aus, nur, weil derjenige krank ist", so Alabi. Ein Stigma sei es aber dennoch: "Viele denken, dass man sich schon dadurch anstecken kann, dass man einem Kranken die Hand gibt oder wenn derjenige niest." Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie der Universität Berlin, die das Afrika-Projekt evaluiert. Neben Informationsmangel, Stigmatisierung und Ausgrenzung problematisiert sie ferner die schwierigen Lebensverhältnisse afrikanischer EinwandererInnen und den erschwerten Zugang zur Gesundheitsversorgung von Papierlosen.
Bei vielen von ihnen würden die finanziellen Sorgen die Sorgen um die Krankheit übersteigen. Bei Menschen ohne gültige Papiere ist die Hürde, zum Arzt zu gehen, besonders groß. Sie sind nicht krankenversichert und darauf angewiesen, an kooperationswillige Mediziner weiterverwiesen zu werden. Die private Bremer Initiative "MediNetz", die auch mit dem Gesundheitsamt zusammenarbeitet, hilft ihnen dabei. "In der Regel findet sich ein Arzt, bei Spezialisten wird es allerdings oft schwierig", sagt Alabi. Hinzu komme, dass HIV- und Aids-Medikamente außergewöhnlich teuer sind.
Das Afrika-Projekt ist in seiner Kontinuität in Deutschland einzigartig, sagt Taschies. Zwar gebe es in anderen Städten ähnliche Projekte, diese seien zeitlich eng begrenzt. Auch das aus den Mitteln der Deutschen Aids-Stiftung und des Europäischen Flüchtlingsfonds finanzierte Projekt ist bedroht - die Gelder laufen in diesem Jahr aus. Ob es fortgeführt wird, steht bislang noch nicht fest. "Wir bemühen uns um Verstetigung", sagt Karla Götz vom Gesundheitsressort. Das Amt sei sehr am Fortbestand des Projektes interessiert.
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