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AG-Weser-Leute bevorzugt beschäftigt

■ Wissenschaftler untersuchten die Spuren der ehemaligen WerftarbeiterInnen auf dem Bremer Arbeitsmarkt

Ein Bremer Mythos, die AG„Weser„-Werft, ist tot und die Karavane ist einfach weitergezogen. „Die Arbeitsmarktkatastrophe blieb aus“, so das Fazit einer Untersuchung von Arbeiterkammer und Universität Bremen, deren Ergebnisse jetzt in Buchform auf den Markt kommen. Fünf Jahre lang haben WissenschaftlerInnen die Spuren der 2000 gekündigten ArbeiterInnen und Angestellten der Werft verfolgt, mit Fragebögen deren weitere Berufs„karriere“ und in 150 Einzelinterviews ihre soziale und psychische Befindlichkeit erforscht.

Die Detailleergebnisse relativieren das oben zitierte Fazit. Die Werftenschließung hat in Brem

durchsSchrammen und Narben hinterlassen. Zwar fanden 70 Prozent der Beschäftigten im Laufe der Jahre wieder Arbeit, 30 Prozent blieben jedoch auf Dauer ausgegrenzt. Zu ihnen zählen FrührentnerInnen, ausländische ArbeitnehmerInnen, die in ihre Heimat zurückkehrten und 14 Prozent Langzeitarbeitslose. „Der typische Weg in die Zweidrittelgesellschaft“, konstatiert Mitforscher Martin Osterland. Die zwei Drittel, die den Wiedereinstieg in den Beruf schafften, verdanken dies nach Meinung der Forschungs -Crew in erster Linie ihrem „besonders aktiven Arbeitsmarktverhalten“. Schon während der Entlassungsphase

hätten sich Gruppen von Beschäftigten gezielt nach neuen Arbeitsplätzen umgesehen. Wegen der großen Flexibilität und des guten Rufes der AG-Weser Beschäftigten seien sie bevorzugt eingestellt worden. Das hat auf dem Arbeitsmarkt der Region zu einem stärkeren Verdrängungswettbewerb geführt, der von der Öffentlichkeit allerdings gar nicht als indirekte Folge der Werftenschließung registriert wurde.

Relativiert wird in der Studie die Bedeutung von Daimlee für die Eingliederung der AG-We

ser-Beschäftigten. Lediglich etwa 100 ehemalige WerftarbeiterInnen seien dort untergekommen, die anderen „weit gestreut“ in anderen Betrieben, so Hochschullehrer Heiner Heseler. Von den Wiederbeschäftigten mußten 60 Prozent in ihren neuen Jobs Einkommenseinbußen in Kauf nehmen. Auch von den restlichen 40 Prozent trauern viele den alten Zeiten auf der Werft nach. Arbeit ohne Fließband, gewachsenes Betriebsklima und durch lange Betriebszugehörigkeit erworbene Privilegien werden als Gründe

genannt.

Heute arbeiten auf dem AG-Weser-Gelände wieder mehr als 40 Betriebe mit 800 Beschäftigten. Das 250 Seiten starke Buch mit zahlreichen Statistiken und Schautafeln bietet umfangreiches Material über die Folgen der Werftenstillegung. Es wendet sich jedoch in seiner eher wissenschaftlichen Sprache in ersteLinie an ein Fachpublikum. Durch die Einbeziehung ähnlicher Untersuchungen in Schweden, den USA und Großbritannien wollen die Autoren über den konkrete

Bremer Fall hinaus verallgemeinerbare „Hinweise für gezielte Arbeitsmarktpolitik“ geben.

Interesse an solchen Tips haben zumindestens Wissenschaftler von der Universität Leipzig signalisiert, die das Ende des Braunkohleabbaus mit einem ähnlichen Projekt begleiten wollen.

asp

Gerdes, Heseler u.a.„Betriebsstillegung und Arbeitsmarkt. Die Folgewirkungen der Schließung der AG„Weser“ in Bremen, Edition Temmen, 46 DM)

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