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ABT. HOCHVERSCHULDETE WIRTSCHAFTBrasiliens Inflation

■ Auch Cardosos Nachfolger steht vor Riesenproblemen

Rio de Janeiro/Berlin (dpa/ips/ taz) — Brasiliens neuer Wirtschafts-, Finanz- und Planungsminister, Marcilio Marques Moreira, will die Wirtschaft auf liberalen Wachstumskurs bringen, nachdem sie in den vergangenen zwölf Monaten ihre schwerste Rezession erlebte. Das Bruttosozialprodukt des größten lateinamerikanischen Landes schrumpfte um fast fünf Prozent. Der 59jährige Moreira kündigte eine „vertiefte liberale Politik“ an. Der in Brasilien bestehende Stopp der Preise und Löhne sei vorübergehender Natur. Die schwere Rezession in Brasilien mit hoher Arbeitslosigkeit ist z. T. Ergebnis des gescheiterten Stabilisierungskurses von Moreiras Vorgängerin Zelia Cardoso de Mello (37), die am Mittwoch zurückgetreten war. Zwar war es Cardoso zunächst gelungen, durch Beschlagnahme von Spar- und Kontoguthaben (März 1990), einem Preis- und Lohnstop (Februar 1991) sowie einer Politik des „knappen Geldes“ die brasilianische Hyperinflation von über 80 Prozent im Monat auf jetzt etwa zehn Prozent monatlich zurückzustutzen. Die Ex-Kommunistin vergrätzte durch die Rigorosität ihrer Eingriffe jedoch die Unternehmer, die sich schließlich über schlimmere Zustände staatlicher Lenkung als zu Zeiten der Militärdiktatur beschwerten — und in den Investitionsstreik traten.

Nach einer Studie der US-amerikanischen Wirtschaftsprognostiker von „Price Waterhouse“ werden im laufenden Jahr die Investitionen in Brasilien weiter fallen: 1991 wollen die 500 größten Unternehmen des Landes nur 34,8 Milliarden US-Dollar investieren nach 42,7 Milliarden in 1990. Ausländische Unternehmen kündigten Investitionen für 400 Millionen Dollar an — 1981 hatten sie noch 1,9 Milliarden investiert. In Brasilien hat es seit 1987 insgesamt sechs staatliche Wirtschaftspläne gegeben, von denen mindestens fünf scheiterten. Das Ergebnis des letzten Plans „CollorII“, der gegen die seit Anfang des Jahres wieder steigende Inflation per Lohn- und Preisstop vorgehen soll, läßt sich noch nicht abschätzen. Doch erste Anzeichen deuten darauf hin, daß auch dieser Plan sein Ziel — die Bändigung der Inflation — nicht erreichen wird.

Nach Meinung des brasilianischen Ex-Finanzministers Mario Simonsen hat der Collor-Plan „zwei Stützpfeiler der Marktwirtschaft gefällt, das Privateigentum und die Einhaltung von Verträgen“. Unternehmer müßten ständig rätseln, „was wohl die ökonomische Überraschung der nächsten Woche sein wird“, so Simonsen.

Die Wirtschaftsprobleme Brasiliens sind allerdings keinesfalls allein auf ein Versagen der Wirtschaftsministerin zurückzuführen: Im Ausland ist Brasilien mit etwa 120 Milliarden US-Dollar verschuldet. Seit Mitte 1989 hat das südamerikanische Land über acht Milliarden Dollar an Zinsen und Tilgung stillschweigend nicht gezahlt und die Gläubigerbanken verärgert. Der stellvertretende US-Finanzminister David Mulford schickte deshalb bereits eine hart formulierte Note an die Regierung. dri

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