A-Z der Frauenfußball-EM: Austrias Freude, Grindels Bedauern
Leiden, Lust und Lockerheit – die Frauenfußball-EM in den Niederlanden hatte alles. Die taz bringt Ordnung ins Turnier.
Außenseiter: Der Europameisterschaft in den Niederlanden kommt schon jetzt epochale Bedeutung zu. Vor dem Turnier fiel kleinen Nationen nur die Rolle von Statisten zu, die es gerade mit dem Verteidigen nicht so genau nähmen – was zu Ergebnissen führte, die man vom Wasserball kennt. Doch bei dieser EM stehen die Defensivverbünde dichter denn je. Keine Prognose ist mehr sicher. Mit Wetteinsätzen auf ein Finale zwischen Niederlande und Dänemark hätte man sogar mit dem Frauenfußball reich werden können.
Blackouts: Auf Patzer der Torhüterinnen konnte man bei dieser EM ebenfalls wetten. Vor allem hohe Bälle bereiteten den Keeperinnen Probleme. Die Besetzung zwischen den Pfosten war bereits bei früheren Turnieren eine heikle Angelegenheit gewesen. Weil die Abwehrreihen aber dieses Mal nur wenig durchließen, fielen die Fehler mehr ins Gewicht. Die Schweiz brachte das Vorbeigreifen der Torhüterin gar um die Sensation gegen Frankreich.
Charme: Die Uefa tut zwar alles, um dem Turnier Größe zu verleihen, aber von der kalten Perfektion und Abgeriegeltheit der Männerturniere ist die Veranstaltung noch weit entfernt. In Rotterdam konnten die deutschen Fans den Spielerinnen noch beim Busausstieg auf die Schulter klopfen. Und Journalisten wurden gern mal schnell an den Absperrgittern vorbeigewunken.
Dolmetscher: Nach dem Viertelfinale Spanien – Österreich drosch der spanische Coach Jorge Vilda die üblichen Phrasen. Als die Übersetzerin höchstens ein Viertel davon übermittelte, schien er doch ein wenig verdutzt, wie wenig er eigentlich gesagt hatte. Ein erstklassiger Service der Uefa: die Reduktion aufs Wesentliche.
Enttäuschungen: Neben den Deutschen rätseln auch die Französinnen, Norwegerinnen und Schwedinnen, warum ihre bisherige Erfolgsgarantie abgelaufen ist. Bei den einen greifen die alten Rezepte nicht mehr (Frankreich, Schweden), bei den anderen (Deutschland, Norwegen) die neuen nicht.
Finale: Weder die Niederlande noch Dänemark kamen jemals so weit. Der Wettbewerb ist wieder offener geworden und damit der Anreiz für alle anderen Verbände größer, in den Frauenfußball zu investieren.
Grindel, Reinhard: Am Mittwoch war der DFB-Chef bei der Drittligapartie Meppen vs. Magdeburg. Bei der Meppener Tagespost diskutierte er zuvor den Aufstiegsmodus der Regionalliga. Zu den EM-Spielen des Nationalteams konnte Grindel nicht kommen. Irgendwann muss ein DFB-Präsident ja schließlich Urlaub machen. Von seinem Feriendomizil aus hat er via Facebook das Ausscheiden der Deutschen sehr bedauert.
Hoffnungen: In den Niederlanden und Österreich blühen gerade die Erwartungen auf einen Frauenfußballboom. Man darf gespannt sein, was die frisch dazugewonnenen Fans machen, wenn die Männerligen wieder angepfiffen werden.
Idole: Zum Vorbild taugen gleich etliche Spielerinnen bei dieser EM. Die österreichische Torhüterin Manuela Zinsberger etwa, die mit Lockerheit und guter Laune zu größten Leistungen fähig war. Oder die niederländische Stürmerin Lieke Martens, die als Torjägerin und Vorbereiterin mit filigraner Technik bestach. Oder die lauffreudige und torgefährliche Dänin Nadia Nadim, die einst als afghanisches Flüchtlingskind nach Euopa kam. Und natürlich die treffsichere Jodie Taylor (siehe X).
Jones, Steffi: Die Bundestrainerin durfte ihre ersten ernsthaften Erfahrungen in der Coaching-Zone eines großen Turniers sammeln. Sie experimentierte wild herum. Die von ihr geforderte Flexibilität wurde zum Selbstzweck, die Idee einer offensiv-attraktiven Spielweise war allenfalls in Ansätzen zu erkennen.
Im südbadischen Oberrimsingen feiern sie ein großes Fest. Was ist es, das ein Dorf zusammenhält? Das steht in der taz.am wochenende vom 5./6. August. Außerdem: Das Bienensterben könnte uns alle ins Verderben führen. Manche wollen deshalb Bienen im Baum halten. Letzte Rettung oder Schnapsidee? Und: Der Schweizer Martin Suter ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller im deutschsprachigen Raum. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Kopftraining: Mentales Training haftet in Fußballerkreisen häufig noch das Image von etwas Sektenhaftem an. Die Österreicherinnen demonstrierten im Elfmeterschießen gegen Spanien jedoch, wie gewinnbringend ihre Arbeit mit der Sportpsychologin Mirjam Wolf ist. Auf dem Platz hatten sie zuvor das Elferschießen nie geübt.
Leidensgeschichten: Dieses Turnier war sehr zweikampfintensiv und endete für viele schmerzlich. Die englische Torhüterin Karen Bardsley schied mit einem Wadenbeinbruch aus. Lisa Makas aus Österreich riss das Kreuzband. Ihre Teamkollegin Nicole Billa musste mit einer schweren Fußverletzung vom Platz getragen werden.
Männerhilfe: Die österreichischen und niederländischen Kickerinnen befeuern mit ihren Leistungen erstmals eine Frauenfußballeuphorie in ihren Ländern. Begünstigend wirkt der Misserfolg ihrer männlichen Kollegen: Von einem EM-Halbfinale träumen die vermutlich vergeblich. Ein Grund mehr, die Frauen zu feiern.
Neuerungen: Uefa und Fifa erweitern ihre Männerturniere ja derzeit zu Tode. Die Aufstockung der Frauen-EM von 12 auf 16 Teams dagegen ergab Sinn. Der Modus ist gerechter, und alle Teilnehmerländer wiesen ihre Konkurrenzfähigkeit nach.
Oranje Leeuwinnen: „Die orangenen Löwinnen“ wie die niederländischen Fußballerinnen hierzulande genannt werden, haben als Gastgeber auf ganzer Linie überzeugt. Ihr Erfolg zeigt, dass man noch in kürzester Zeit zu den großen Nationen aufschließen kann. Vor zehn Jahren erst begann der Verband, sich ernsthaft um den Frauenfußball zu kümmern.
Polonaise: Die Österreicherinnen bewiesen wahre Entertainmentqualitäten. Die kleinen Clips, wie sie durch die MixedZone Polonaise tanzten oder eine Trainingseinheit zur unterhaltsamen Show werden ließen, verbreiteten sich in den sozialen Netzwerken viral.
Bilder der Woche
Quoten: Das war vor allem eine Fernseh-EM. In den Niederlanden, Österreich, Belgien und in vielen anderen Ländern wurden Einschaltquotenrekorde vermeldet. In den Stadien war der Besuch eher mau. 3.488 Zuschauer etwa beim Viertelfinalspiel Österreich – Spanien. Anders als üblich hat die Uefa die Besucherzahlen in ihren Statistikbögen lieber verschwiegen.
Rasen: Im Sparta-Stadion von Rotterdam entfernte man für die EM extra den Kunstrasen und musste auch deshalb bei der Viertelfinalpartie Deutschland – Dänemark vor den Wassermassen kapitulieren. Der Aufreger des Turniers. Bei der WM in Kanada 2015 hatte man erstmals überall Kunstrasen verlegt. Das war damals der Aufreger.
Schiedsrichterinnen: Durch den deutschen Misserfolg hat Bibiana Steinhaus erstmals die Chance, im Frauenfinale mitzumischen. In der Männerbundesliga feiert sie bald auch ihre Premiere. Wann pfeift eigentlich einer ihrer männlichen Kollegen erstmals ein Frauenspiel?
Totale Defensive: Der französische Coach Olivier Echouafni fand es schrecklich. Zerstörten die Gegnerinnen doch ohne Skrupel das feine Fußballspiel seiner Equipe und schienen gar keine anderen Interessen zu haben. Das Abc des Verteidigens beherrschten in den Niederlanden nahezu alle. Echouafnis Problem: Umkehren lässt sich der Prozess nicht mehr. Gelernt ist gelernt.
Uefa: „Together #WePlayStrong“ heißt die Kampagne, die der europäische Verband pünktlich vor der EM gestartet hat, um Fußball zur teilnehmerinnenstärksten Sportart unter Mädchen und Frauen in Europa zu machen. Das Treten gegen den Ball stärke deren Selbstbewusstsein, hat die Uefa in einer eigens in Auftrag gegebenen Studie herausgefunden. Mehr Fußballerinnen in Europa erhöhen auch die Einnahmequellen der Uefa, hat die taz in einer Studie herausgefunden.
Volunteers: Eingekleidet waren sie selbstverständlich in Orange. Und ihren großen Auftritt hatten sie bei der Regenschlacht in Rotterdam, als sie versuchten die Wassermassen vom Platz zu verscheuchen. So lautstark sind Volunteers in einem Stadion noch nie für ihren Einsatz gefeiert worden.
Wohlstand: Die Uefa schüttet einen neuen Rekordgewinn aus. Der Sieger der Finalpartie zwischen Niederlande und Dänemark erhält 1,2 Millionen Euro. Zur Erinnerung. Neymar wechselt für 222 Millionen vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain.
X-fach getroffen: Jodie Taylor ist mit ihren fünf Turniertreffern wohl nicht mehr zu überholen. Bis vor drei Jahren kannte man die 31-jährige Engländerin in ihrer Heimat am wenigsten. Taylor spielte jahrelang jenseits der Insel bei allen möglichen Klubs dieser Welt. An die frühere Nationaltrainerin Hope Powell hat sie gar eine Mail geschrieben, um sich vorzustellen. Bei dieser EM waren ihr Instinkt und Abschluss einzigartig.
Y-Chromosom: Bei der WM 2015 fahndete die Fifa noch nach männlichen Genen und unterzog alle Spielerinnen einem Geschlechtstest. Die Uefa hat sich von diesem Irrsinn zum Glück nicht anstecken lassen.
Zukunft: Wo die nächste Europameisterschaft stattfinden wird, steht nicht fest. Das femininer gewordene Österreich wäre ein logischer Kandidat. Und selbstredend natürlich Veranstaltungsweltmeister Deutschland.
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