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90 Minuten vor dem Brandenburger TorDie fünf Phasen der russischen Niederlage

"Ich bin glücklich! Nein! Ich bin nicht glücklich. Doch! Ich bin glücklich! Ich weiß nicht " Die Wechselstimmung der russischen Fußball-Fans.

Die russischen Farben auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Bild: dpa

BERLIN taz Wenn man die russischen Fans am Brandenburger Tor beobachtet, kann man sehen, dass eine Niederlage für Fans in mehreren Phasen abläuft.

Phase 1: die seriöse Besprechung der vorherigen Spiele. Es folgt eine Hymne auf Trainer Guus Hiddink. An diesem Tag heißt es in einer Strophe, er sei "ein sibirischer Charakter aus den Niederlanden".

Phase 2: Am Brandenburger Tor werden weiß-blau-rote russische Fahnen geschwenkt, überall. Nicht nur von den Russen aus Russland - die russische Sbornaja hat auch Fans aus der Ukraine, Kasachstan, Finnland, Deutschland und der Türkei. Die wichtigsten Gesänge in Phase 2: "Andrjuscha! Andrej! Schieß ein Tor!" - das ist die Bitte an Stürmer Arshavin. "Rossija! Rossija" - das ist das Bekenntnis zur Mannschaft. Und "Za piwom! Za piwom!" - das ist die Aufforderung, Bier holen zu gehen.

Phase 3: Nach der Halbzeitpause sind die Russen sehr still. Nach den weiteren Gegentoren noch stiller. Es scheint, als würde sie die sich anbahnende Niederlage zutiefst verwundern. Wichtige Rufe: "Lauf! Lauf! Mach was!" Weitere Handlungen: trauriges Anstarren des großen Bildschirms. Verlierer haben aus irgendwelchen Gründen immer große, schöne Augen. Ein Mädchen mit weiß-blau-roter Perücke flüstert: "Das kann nicht sein!" Die Spieler sind bleich, klatschnass. "Und dazu auch zu langsam" - behaupten die Fans.

Phase 4: Die Russen werden immer stiller. Ihre Augen werden immer größer. Die letzten Minuten sind vorbei. Die spanischen Spieler jubeln. Die russischen haben große Augen.

Phase 5: nach dem Spiel. "Unsere Jungs sind eine sehr junge Mannschaft", sagt einer. "Die sind unsere Zukunft, die werden noch gewinnen." Ein anderer: "Guus Hiddink ist unser Gott." Ein dritter: "Man sollte auch die Kunst zu verlieren beherrschen! Mit Würde! Ich bewundere die spanische Mannschaft!" Er sagt: "Ich bin glücklich, dass unsere Jungs das Halbfinale erreicht haben. Das ist ein Wunder!" Und lächelnd kommentiert er weiter: "Ich bin glücklich! Nein! Ich bin nicht glücklich. Doch! Ich bin glücklich! Ich weiß nicht …" Dann schweigt er. Denkt nach. Und ruft: "Ich bin glücklich!"

So hören sich Gewinner an.

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