70. Jahrestag Kriegsbeginn: Geteiltes Gedenken
Politiker aus aller Welt kamen nach Danzig, um dort den 70. Jahrestag des deutschen Einmarschs in Polen und des Beginns des Zweiten Weltkriegs zu begehen.
Wie jedes Jahr am 1. September heulten um 4.45 Uhr auf der Westerplatte in Danzig die Sirenen. Vor 70 Jahren hatte hier der Zweite Weltkrieg begonnen. Im Morgengrauen warnten Polens Präsident Lech Kaczynski und Premier Donald Tusk davor, die Geschichte zu vergessen oder zu verfälschen. Das in den Himmel aufragende Bajonett aus Granit, das an den Widerstand der Polen gegen die Deutschen erinnert, warf im Fackellicht einen unruhigen Schatten. Ohne "aufrichtiges Gedenken und die Wahrheit" könnten weder Polen noch Europa und die Welt in Sicherheit leben, warnte Premier Tusk.
Gemeint war diesmal nicht Berlin, sondern Moskau. Auf der offiziellen Gedenkfeier mit den internationalen Gästen aus 20 Ländern am Nachmittag erwarteten die Polen ein klares Eingeständnis der Mitschuld Russlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Verdrängt wird in Russland der Hitler-Stalin-Pakt mit seinem Geheimprotokoll vom 23.8.1939, der die Teilung Polens zwischen den Nazis und den Sowjets nach dem gemeinsamen Angriff im September zur Folge hatte.
Die Rede Putins auf der Gedenkveranstaltung war daher mit besonderer Spannung erwartet worden. Würde er sich für den Hitler-Stalin-Pakt, den gemeinsamen Angriff auf Polen und den Mord an den polnischen Offizieren in Katyn entschuldigen? Putin erinnerte zunächst an das unendliche Leid, das der Krieg auch über fast jede Familie in Russland gebracht habe. Zwar sei der Hitler-Stalin-Pakt unmoralisch und zu verdammen gewesen, aber das habe Russland bereits getan. Zu dem von den Polen so sehr erwarteten Wort der Entschuldigung konnte er sich nicht durchringen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, dass Polen am längsten unter der deutschen Besatzung gelitten habe. Sie gedachte der sechs Millionen Juden und aller anderen, die in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern starben: "Ich verneige mich vor den Opfern", so Merkel.
Polens Premier Donald Tusk hielt eine sehr persönlich gehaltene Ansprache und erinnerte an das Schicksal und Leid der Polen, Juden, Ukrainer, Deutschen, Russen und anderer Völker.
Präsident Lech Kaczynski hatte bereits am Morgen an die historische Schuld der Angreifer erinnert: "Nicht Polen soll sich in Demut üben, sondern die, die zu dem Angriff führten." Allerdings verglich er dabei den Massenmord an 15.000 polnischen Offizieren durch den sowjetischen Geheimdienst in den Wäldern von Katyn mit dem Holocaust: "Juden starben, weil sie Juden waren. Polnische Offiziere starben, weil sie polnische Offiziere waren".
Der Satz wurde den ganzen Tag über kommentiert und von der überwiegenden Mehrheit der befragten polnischen Historiker als falsch und unangemessen zurückgewiesen.
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