70 Jahre nach dem Tag der Befreiung: Auf die Deutschen geschaut

Deutschland überzog Europa mit einem mörderischen Krieg. Wie sehen die Nachkommen der Angegriffenen den Aggressor heute?

Überlebende umarmen sich in der Gedenkstätte: 1944 ermordete die SS im griechischen Dorf Distomo 218 Menschen. Bild: reuters

Vor 70 Jahren ging der Raub- und Vernichtungskrieg des deutschen Faschismus mit der Kapitulation Berlins vor der Roten Armee zu Ende. Halb Europa lag in Schutt und Asche, Millionen Juden waren in Vernichtungslagern ermordet worden.

Die Sowjetunion hat ihren Anteil am Sieg der Alliierten teuer bezahlt: 20 Millionen Menschen hatten ihr Leben verloren. Das besetzte Griechenland wurde in der selben Zeit von der Besatzungsmacht wirtschaftlich ausgeblutet.

Wie sehen die Nachkommen der Überlebenden, der Siegermächte und der Befreiten das Land, von dem ein singuläres Verbrechen und der blutigste Krieg des 20. Jahrhunderts ausgegangen ist?

In Griechenland konzentriert sich die Debatte derzeit auf die ausstehenden Reparationszahlungen. Nikos Konstandaras erklärt in der taz, warum das Thema erst jetzt wieder auf der Tagesordnung steht.

Vor 70 Jahren, am 8. Mai 1945, kapitulierte Nazi-Deutschland vor den Allierten.

Auf 15 Sonderseiten lässt die taz am 8. Mai 2015 die Befreiten zu Wort kommen: versteckt überlebende Juden, griechische Partisanen, aus Deutschland Geflüchtete, die als alliierte Soldaten in ihre alte Heimat zurückkehrten, sowjetische Zwangsarbeiter und viele andere.

Neben dem Rückblick auf den 8. Mai 1945 geht es auch um die Bedeutung dieses Tages für die Gegenwart. Eine junge Frau aus Israel spricht über ihr Leben in Berlin, deutsche und polnische Schüler begegnen sich in Danzig und die Microphone Mafia rappt auf italienisch und türkisch mit der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano.

Erstmals eine radikale linke Regierung

Die griechischen Ansprüche umfassen dabei drei Aspekte: Reparationen für materielle Zerstörungen, Rückzahlung einer Zwangsanleihe und Entschädigung für Überlebende und Nachkommen der Opfer einer brutalen Besatzungspolitik. Dass diese Forderungen von griechischer Seite so lange nicht erhoben wurden, hat wiederum drei Gründe: die innenpolitischen Verhältnisse, die bilateralen Beziehungen mit Deutschland und die weltpolitische Konstellation zur Zeit des Kalten Kriegs.

Seit Januar ist in Athen erstmals eine radikale Linke an der Macht, während das Land zugleich am Rande des Bankrotts steht. Die Forderung nach Reparationen ist nur eine von mehreren Initiativen, mit der die neue Regierung ihre europäischen Partner/Gläubiger herausfordert.

Warum aber haben frühere Regierungen in der Reparationsfrage gekuscht? Die Okkupation hat ein brutalisiertes und polarisiertes Land hinterlassen. Es folgte ein Bürgerkrieg, in dem die Athener Regierung viele ehemalige Rechte rekrutierte, die mit den Deutschen kollaboriert hatten. Später hat dann keine Regierung mehr riskiert, den deutschen Verbündeten die volle Rechnung zu präsentieren, aus Angst, die innenpolitischen Kräfteverhältnisse zu gefährden. Die relative soziale Stabilität beruhte auf wirtschaftlichem Wachstum, das wiederum gute Beziehungen mit dem maßgeblichen EU-Land voraussetzte.

Mit Russland liegt der Fall derweil anders, hatte die Sowjetunion doch durchaus Reparationen in ihrer Einflusszone, der späteren DDR, eingetrieben. Starke Vorbehalte gegen Deutschland sind jedoch sichtbar und haben sich im Zuge der Konfrontation mit dem Westen über den Ukrainekonflikt noch verstärkt.

Unsere Autorin Irina Kosterina fühlt sich zum Teil an die Sowjetzeit erinnert, als alles schechte aus dem Westen kam; vergessen der kurze Frühling der Neugier nach dem Systemzusammenbruch im Osten.

Von Israel nach Berlin

Wüste Beschimpfungen Richtung Westen wie „GAYropa“ sind salonfähig geworden, und das Verhältnis zu den USA erinnert an die Zeiten des Kalten Krieges. „Wieso machen sie uns zu den Sündenböcken für alles? Warum zwingen sie uns ihren Willen auf? Sie haben doch nur Angst vor uns, sie beneiden uns!“

Ein ganz anderes Bild zeichnet Ester Amrami. Die aus Israel stammende Regisseurin lebt seit 10 Jahren in Berlin und beschreibt die Besonderheiten des Lebens in Deutschland, die Schrullen der Busfahrer, den Drang, Regeln zu befolgen. Die Frage nach der Vergangenheit ist keine, die sich für sie tagtäglich stellen würde. Der bleibende Eindruck ist, dass sie die Möglichkeit eines jüdischen Lebens in Deutschland heute als selbstverständlich annimmt.

Die Texte aus Russland, Griechenland und Deutschland über den Blick auf das Land der Täter sind Teil des Dossiers zum 70. Jahrestag der Befreiung und finden sich in der am 8. Mai erscheinenden Ausgabe der taz in voller Länge.

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