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60 Jahre Charta der VertriebenenEin unmoralischer Verzicht

Die vor 60 Jahren erklärte Charta der Vertriebenen ist Dokument der Geschichtsklitterung. Der BdV braucht eine neue Erklärung, die wahrhaft auf Versöhnung setzt.

Frauen beim "Tag der Heimat" des Bundes der Vertriebenen im Jahr 2001. Bild: dpa

Dass die Charta der Heimatvertriebenen sechzig Jahre alt wird, ist für niemanden ein Grund zum Feiern oder zur respektvollen Anerkennung - auch nicht für die Bundesregierung. Eine genauere Analyse des Textes zeigt nämlich sofort, dass dort nichts anderes vollzogen wurde als eine massive Geschichtsklitterung, verbunden mit einem unmoralischen Verzicht.

Sogar wenn man von der völkischen Schöpfungstheologie absieht, die den Text durchweht, und den Umstand übergeht, dass viele der Erstunterzeichner in der NSDAP oder der SS waren bzw. Männer, die sich lange vor 1933 in Ostmitteleuropa als Volkstumskämpfer betätigten, zeigt sich in der Sache, wie falsch die Grundaussage der Charta ist: Weder entspricht es der historischen Wahrheit, dass das Schicksal der Vertriebenen an Leid vom Schicksal keiner anderen Gruppe in den Jahren 1939 bis 1945 übertroffen wurde, noch ist einsichtig, wie man auf Rache und Vergeltung verzichten kann.

Kein Recht auf Rache

Verzichten - feierlich dazu - kann man nämlich nur auf etwas, was einem legitimerweise zusteht; dass es so etwas wie ein moralisches Recht auf Rache und Revanche gibt, haben noch nicht einmal die kühnsten Philosophen behauptet; bestenfalls ließe sich sagen, dass entsprechende Gelüste verständlich und entschuldbar sind. Verzichten kann man auf sie nicht, man kann sie sich allenfalls untersagen. Dass die Unterzeichner der Charta, die alten Volkstumskämpfer, 1950 einfach dort weitermachen wollten, wo sie 1918 begonnen haben, beweist übrigens der Ort der Verkündung der Charta: Stuttgart. Viel zu wenig bekannt ist, dass Stuttgart 1936 von Adolf Hitler zur "Stadt der Auslandsdeutschen" erklärt worden war.

Darüber hinaus zeigt die Geschichte des Bundes der Vertriebenen (BdV) mitsamt seiner Vorsitzenden Erika Steinbach, dass alle Verdächtigungen, die gegen sie und ihren Verband im Schwange waren, zu Recht bestehen. Vor einigen Jahren war Steinbach durchaus ein Glücksfall für den in die Jahre gekommenen Verband - war es ihr doch gelungen, Agenda und Ideologie erfolgreich zu modernisieren.

Indem es ihr gelang, ihrer Sache eine universalistische Form zu geben, das heißt darauf hinzuweisen, dass nach unseren heutigen menschenrechtlichen Intuitionen jede Vertreibung oder gewaltsame Aussiedlung Züge eines Genozids annehmen und auch im Genozid enden kann, konnte sie auch Intellektuelle wie Ralph Giordano, Daniel Cohn-Bendit oder Peter Glotz für ihre Projekte gewinnen. Indem sie sich als eine der Ersten dafür einsetzte, den jungtürkischen Genozid an den Armeniern als solchen zu benennen und auch öffentlich daran zu erinnern, hat sie sich Verdienste erworben.

Steinbachs Ablehnung

Gleichwohl: Durch ihre Ablehnung des Beitritts von Ländern wie Tschechien zur EU ob deren menschenrechtswidriger Vertreibungsdelikte und ihre mit dünnen völkerrechtlichen Argumenten begründete Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze hat sie sich in Ostmitteleuropa zur Persona non grata gemacht und dem verbal vorgetragenen Willen zur Versöhnung widersprochen.

Schließlich ist Erika Steinbach, was die Frage der Besetzung des Stiftungsrats zu einer Erinnerungsstätte an die Vertreibung betrifft, an Guido Westerwelle gescheitert. Das hat weder sie noch der BdV verwunden. Die jüngsten Äußerungen der jetzt in den Stiftungsrat "Flucht, Vertreibung und Versöhnung" entsandten BdV-Mitglieder Hartmut Saenger und Arnold Tölg beweisen, dass der lange gepflogene universalistische Grundton nicht mehr durchgehalten wird.

Indem Tölg und Saenger die alleinige Schuld des nationalsozialistischen Deutschland am Beginn des Zweiten Weltkriegs bestreiten und gegen die bedingungslose Entschädigung von Zwangsarbeitern sind, schalten diese BdV-Vertreter jetzt einen geschichtsrevisionistischen Rückwärtsgang ein. Nicht unbedingt bestürzend, wohl aber verräterisch ist, dass sich Erika Steinbach diese Meinungen ausdrücklich zu eigen macht.

Den deutschen Vertriebenen aus den Ostgebieten und aus Tschechien ist in den letzten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkrieges mit schweigendem Einverständnis der westlichen Alliierten großes Unrecht widerfahren: Sie hatten einen erheblichen Blutzoll, zumal der Schwächsten, von Kindern, Frauen und Alten, zu entrichten; die Täter, tschechische und polnische Milizen sowie Truppen der Roten Armee, wurden für diese Verbrechen niemals zur Verantwortung gezogen.

Die falschen Funktionäre

Und sogar wenn, im Unterschied zu anderen vertriebenen und geflüchteten Gruppen, die Integration der Vertriebenen in den westdeutschen Staat am Ende eine Erfolgsgeschichte war, so ist doch zur Kenntnis zu nehmen, dass sie mindestens in den ersten Jahren keineswegs freudig empfangen und oft genug diskriminiert wurden. Gleichwohl haben sie insgesamt einen positiven Beitrag zum Aufbau der Bundesrepublik geleistet. Indes - leider haben sie sich bis heute von den falschen Funktionären vertreten lassen, von Funktionären, die, wie die Äußerungen der letzten Tage zeigen, nach wie vor nichts lernen wollen.

Dem BdV ist heute nicht zu gratulieren. Vielmehr ist von ihm zu fordern, die Charta endlich außer Kraft zu setzen und eine neue, wahrhaft auf Versöhnung und ein vereintes Europa setzende Grundsatzerklärung zu beschließen.

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10 Kommentare

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  • A
    Ahoj

    Bitte TAZ berichten Sie doch mal dass die Sudetenlandmannschaft gerade mal 7% Mitglieder hat u. wirklich nicht demokratisch representant ist. Meine Mutter wurde als Vollwaisin u. Kleinkind von Geschwistern in Tschechien durch die Vertreibung getrennt, mit dem Ergebnis, dass ich deutsche u. tschechische Verwandte habe u. wir kommen sehr gut miteinander aus! Schade nur, dass deutsche Medien diesen Landmanschaften extrem viel Aufmerksamkeit geben u. dadurch auch die tschechische Medien - unsere Meinung wird dort wahrlich nicht wiederspiegelt. Naschledanou

  • A
    Ahoj

    Bitte TAZ berichten Sie doch mal dass die Sudetenlandmannschaften gerade mal 7% Mitglieder hat u. wirklich nicht demokratisch representant ist. Meine Mutter wurde als Vollwaisin u. Kleinkind von Geschwistern in Tschechein durch die Vertreibung getrennt, mit dem Ergebnis, dass ich deutsche u. tschechische Verwandte habe u. wir kommen sehr gut miteinander aus! Schade nur dass deutsche Medien diesen Landmanschaften extrem viel Aufmerksamkeit geben u. dadurch auch die tschechische Medien - unsere Meinung wird dort wahrlich nicht wiederspiegelt. Naschledanou

  • GK
    Gerhard Keske

    Ihren Kommentar hier eingebenHamburg,den 18.07.2010 gerhard jeske Hamburg

     

     

     

     

    Massenmord umd Vertreibung an der Bevölkerung gehört zur Militär Strategie.

    . Seit dem Angriff der deutschen Legion Condor mit ihren Bombenflugzeugen auf die spanische Stadt Guernica begann der Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Coventry und Dresden mögen als Beispiel genannt werden, den Höhepunkt errichte dieser Massenmord in Japan durch den Abwurf der Atombomben. Sicherlich sollte dadurch das japanische Volk nicht vernichtet werden, aber rassistische Tendenzen sind hier auch zu erkennen. In allen zukünftigen Kriegen wird die Zivilbevölkerung angegriffen und dezimiert werden. Im Krieg wurde immer gemordet, aber jetzt ist der Massenmord ein Bestandteil der Strategie der Politik und der Executive des Militärs geworden. Die Androhung den Krieg auch mit nuclearen Bomben zu beginnen bestätigt diese Entwicklung zum Massenmord an den Völkern und schließlich an der ganzen Menschheit. Meine Erfahrung lehrt mich, dass Auschwitz nicht eine schreckliche einmalige Entgleisung in der Geschichte ist, sondern sie leitet ihre Kontinuität aus der Vergangenheit her, bis in unsere Gegenwart hinein.Sie ist eben Europäische Geschichte, die von Karl dem Großen anfängt, über die Liquidierungsaktionen unter religiösem Vorwand, dem Auslöschen der Pruzzen im Osten durch slawische Herscher und dem Deutschen Orden, der Vernichtung Magdeburgs und Ausrottung der Bevölkerung, bis eben in die schreckliche Zusammenfassung aller mörderischen Absichten und ihrer Ausführung in diesem Jahrhundert, besonders angetrieben von der Eigentumsideologie der Geld und Machteliten

    Gerhard Jeske

  • KS
    kleiner Spinner

    "Intellektuelle wie ... Daniel Cohn-Bendit"

     

    *hüstel*

  • B
    bigbull

    Die Nationalsozialisten und ihre treuen Befürworter

    haben Länder aus niedrigsten Bewegründen überfallen.

    Länder unterworfen und die Bevölkerung behandelt als Untermenschen.

     

    Menschen wurden gefoltert,viele Menschen als ver-

    achtenswerter Unrat behandelt,und getötet, damit sich die Nationale Sozialistische Bewegung als die

    Gutmenschen darstellen konnten.

     

    Diese Völker werden das niemals vergessen dürfen.

     

    Vergeben Ja!

    Vergessen Nie!

  • DP
    Deutscher Pole

    Verzicht auf Rache? Wie großmütig von den Vertriebenen...!

     

    Um auf etwas VERZICHTEN zu können, muss man erst einmal ein RECHT auf etwas haben! Und niemand hat das Recht auf Rache und Lynchjustiz. Weder deutsche Vertriebene noch polnische bzw. tschechische Opfer der deutschen Besatzung.

     

    Wird Zeit dass sich ein alternativer BdV gründet der mit ehrlich gemeintem Versöhnungswillen an das Thema heran geht. Solche Leute gibt es unter den Vertriebenen und deren Nachkommen nähmlich zu Hauf!

  • G
    Gerd

    Deutschland hat es auch nicht verdient in der EU zu sein, schließlich haben wir auch Menschen vertrieben (und ermordet).

     

    Warum ist Deutschland trotzdem in der EU?

     

    Weil wir zahlen und die Schnauze halten.

    Würde man D-Land aus der EU werfen, sie würde zusammenbrechen.

  • HM
    Herr Müller

    Diese Vertiebenen Nazi-Mitläufer sollen froh sein das sie nur ihre Heimat verloren haben .Angesichts der Ehrlosen Gebaren der Deutschen in Europa sind die "Taten" der Tchechen ,Polen ,Franzosen, Niederländer,der Roten,sowie der U.S. Armee, als milde Zurechtweisungen anzusehen .

  • K
    Klassiker

    "Indem sie sich als eine der Ersten dafür einsetzte, den jungtürkischen Genozid an den Armeniern als solchen zu benennen und auch öffentlich daran zu erinnern, hat sie sich Verdienste erworben."

     

    Soll das ein schlechter Witz sein? Steinbach sollte sich lieber für eine internationale Historikerkommission einsetzen, die diesen komplexen historischen Fall der Armenier im Osmanischen Reich neutral untersucht.

    Ach ja, ich vergaß. Genau diese Historikerkommission soll ja unbedingt verhindert werden...

  • B
    bambi

    Es sind die ewig Gestrigen, die meinen das Sudetenland oder Oberschlesien u.s.w. kommt " heim ins Reich".Wir haben uns die Teilung und Abtretung der Deutschen Teile selber zuzuschreiben.Als was soll der ganze Zinnober ?.Nehmt das so hin und behandelt die Menschen ,die jetzt dort wohnen mit Respekt.Die sind auch nur dorthin gesiedelt worden.