53. Kunstbiennale Venedig: "Das Ganze ist eine Operation"

Zur diesjährigen Kunstbiennale sollen das Experimentelle und der Produktionsprozess zeitgenössischer Kunst ins Blickfeld rücken, erklären Direktor Daniel Birnbaum und Kokurator Jochen Volz im Gespräch.

Daniel Birnbaum: "Jochen Volz und ich wollen keine museale Schau zusammenstellen." Bild: dpa

taz: Herr Birnbaum, Herr Volz, blickt man in den neu aufgestellten Palazzo delle Esposizioni, wo Tomas Saraceno sein Netz aus schwarzen Nylonfäden in den Eingangsraum spannt, und sieht die anderen im Aufbau befindlichen Künstler, scheint sich die internationale Ausstellung deutlich zu verjüngen. War ein Kurswechsel in Richtung aktueller Kunstproduktion seit der vorigen Venedig-Biennale fällig?

Daniel Birnbaum: Ob wir jüngere oder ältere Positionen zeigen, diese Frage hat sich für mich so nie gestellt. Denn wichtiger als das Alter eines Künstlers ist die Relevanz, die ein Werk bis in die Gegenwart hat. Bestimmte Positionen sind immer wieder für jüngere Künstlerinnen und Künstler inspirierend. Der Düsseldorfer Maler Blinky Palermo ist für mich solch eine Schlüsselfigur, auf den die junge Kunstproduktion reagiert. Von ihm werden wir eine raumbezogene Installation rekonstruieren, die 1976 für Venedig entwickelt wurde. Eine weitere Schlüsselfigur ist Gordon Matta-Clark, dessen Arbeiten erstaunlicherweise noch nie zuvor in Venedig gezeigt wurden. Ein Künstler wie Rirkrit Tiravanija hat sich beispielsweise mehrfach sehr direkt auf sein Werk bezogen. Interessanter ist jedoch, dass nicht nur Matta-Clark für Tiravanija bedeutend ist, sondern auch, dass nach Tiravanija auch das Werk von Matta-Clark anders gelesen werden muss.

Jochen Volz: Korrespondenzen, wie Daniel Birnbaum sie anhand von Tiravanija und Matta-Clark beschrieben hat, lassen sich auch an anderen Beispielen aufzeigen, und wir wollen einige dieser Dialoge in der Ausstellung sichtbar machen: Yona Friedman und Tomas Saraceno, oder etwas entfernter Lygia Pape und Pae White.

2007 war der Eingangsraum im Palazzo delle Esposizioni Sigmar Polke und damit einem etablierten Zeitgenossen vorbehalten. Saracenos Arbeit an der Stelle zu präsentieren, bedeutet schon den Fokus auf die jungen Künstler zu richten, auch wenn sie sich auf die Vorreiter der 60er/70er-Jahre-Konzeptkunst beziehen.

Volz: Der zentrale Raum des Palazzo delle Esposizione ist sehr groß und recht schwierig zu bespielen. Wir haben uns für Tomas Saracenos Raumarbeit entschieden, weil wir sie für ausdrucksstark halten. Es gibt außerdem sicherlich nicht viele Künstler, die so mit diesem Raum umgehen können.

Erstmals kommen drei neue Einrichtungen im Palazzo delle Esposizione mit dieser Biennale hinzu. Was bedeuten diese Neuerungen für die Ausstellungen und die Biennale insgesamt?

Volz: Während in den vergangenen Jahren dieser zentrale Ausstellungsort der Biennale immer wieder bei Ausstellungsende zurück an die Stadt gegeben wurde, wird er jetzt durchgehend der Biennale Stiftung zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass ganz andere Aktivitäten geplant werden können. Als wohl wichtigster Schritt zieht bereits diesen Sommer das bedeutende Biennale-Archiv in das Gebäude und wird somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Außerdem sind ein neuer Buchladen, ein neues Café sowie ein Raum für pädagogische Aktivitäten eingerichtet worden. Wir haben drei Künstler gebeten, diese funktionalen Räume als wirklich skulpturale Arbeiten zu gestalten, die Teil unserer Ausstellung sind. Rirkrit Tiravanija hat den Buchladen entworfen, Tobias Rehberger die Cafeteria und Massimo Bartolini einen multifunktionalen Raum für kunstpädagogische Zwecke.

Vor einigen Wochen war ungewiss, ob Tobias Rehbergers Innendesign für die Cafeteria nur ein Modellentwurf bleibt - wie sieht die Situation kurz vor Eröffnung der Biennale aus?

Mit 77 teilnehmenden Ländern - mehr als je zuvor - eröffnet die weltweit größte Kunstbiennale, die 53. Biennale di Venezia, in der kommenden Woche, am 7. Juni. Erstmals stehen Daniel Birnbaum, dem Direktor der 53. Venedig Biennale, drei neue Räume - ein Raum für pädagogische Aktivitäten, ein Bookshop und die Cafeteria - im zentralen Ausstellungspavillon, dem Palazzo delle Esposizioni in den Gardini, zur Verfügung, die während der gesamten Biennale Programme aufnehmen. Die internationale Kunstausstellung im Palazzo delle Esposizioni und in den Industriehallen Arsenale haben Birnbaum und Kokurator Jochen Volz unter das Motto "Fare Mondi", "Weltenmachen", gestellt. Ausgehend von wichtigen Vorreitern, die in den 1960ern den Kunstbegriff erweitert haben, etwa Yoko Ono - die wie John Baldessari den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhält - oder Gordon Matta-Clark und Blinky Palermo, soll sich ein dichtes Netzwerk aus Korrespondenzen entfalten bis hin zur jungen Kunstgeneration. Die Biennale eröffnet am 7. Juni und läuft bis zum 22. November; Infos: www.labiennale.org

Daniel Birnbaum

1963 in Stockholm geboren, ist seit 2001 Rektor der Frankfurter Kunsthochschule Städelschule und Leiter der daran angeschlossenen Ausstellungshalle Portikus. Er war Kurator der 2. Turin Triennale. Als Kokurator war er bereits an mehreren Biennalen beteiligt: 2008 an der Yokohama Triennale, 2003 an der von Francesco Bonami geleiteten 50. Venedig Biennale und 2005 an der 1. Moskau Biennale. Seit 1998 gehört Daniel Birnbaum zum Redaktionsteam von Artforum International New York und hat zahlreiche Bücher und Essays veröffentlicht. 2007 war er Herausgeber des Buches "Teaching Art: Städelschule Frankfurt am Main". Birnbaums Kokurator Jochen Volz ist künstlerischer Leiter des Inhotim Centro de Arte Contemporanea in Brumadinho, Brasilien.

Volz: Es waren viele wirkliche Umbauten nötig, und deshalb ist das Ganze eben eine Operation, die nicht mit einem normalen Ausstellungsaufbau zu vergleichen ist. Jetzt wird aber bereits nach den Entwürfen von Rehberger gemalt, und alle von ihm gestalteten Möbel sind auch schon angekommen.

Birnbaum: Bis zur Eröffnung der Biennale wird alles fertig werden!

Rehberger, Tiravanija, Tillmans - mit vielen an der Biennale beteiligten Künstlern arbeiten Sie seit Jahren im Portikus und an der Städelschule zusammen. In welche Länder sind Sie gereist, um neue Eindrücke zu sammeln?

Birnbaum: Natürlich habe ich mich vor Ort informiert, ich war beispielsweise auf Recherchereise in China, und einige sehr interessante Positionen, die jetzt dabei sind, habe ich dort kennengelernt. Und aus Indien haben wir Sheela Gowda, Anyu Dodiya, Sunil Gawde und Nikhil Chopra eingeladen. Wir zeigen Arbeiten von mehreren afrikanischen Künstlern, zum Beispiel von Pascale Marthine Tayou. Was Südamerika betrifft, habe ich mit Jochen Volz einen Kenner der Szene an meiner Seite. Es ist aber auch interessant, wie sehr Deutschland als Produktionsland für junge Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt derzeit spannend ist. Ich denke an die Koreanerin Haegue Yang, die Schwedin Nathalie Djurberg oder an Keren Cytter aus Israel, die heute alle in Berlin leben. Aber auch an den Argentinier Tomas Saraceno, der in Frankfurt lebt und arbeitet, oder an Georges Adeagbo aus Benin, der große Teile des Jahres in Hamburg wohnt. Trotz ihrer internationalen Ausrichtung ist die Ausstellung aber nicht das Ergebnis vieler Reisen in möglichst exotische Länder, sondern vielmehr Ergebnis einer Vernetzung mit Kollegen in der ganzen Welt.

Sind die Zeiten vorbei, in denen Biennalen immer neue Länder und Künstler entdecken wollten?

Birnbaum: Man erfindet die Kunstwelt ja nicht alle zwei Jahre neu. Es gab in der letzten Vergangenheit viele Ausstellungen, die mit intensiver Recherche sehr umfassend zeitgenössische Produktion in anderen, nichteuropäischen Kulturen untersucht haben. Darauf kann und muss man einfach aufbauen.

Wie wird sich diese Ausstellung von vorangegangen Biennalen unterscheiden?

Birnbaum: Jochen Volz und ich wollen keine museale Schau zusammenstellen und haben daher darauf verzichtet, die sehr eigenen Räume der Arsenale mit vielen weißen Wänden zu neutralisieren. Das Besondere an dieser ältesten Biennale ist die historische Gartenanlage mit den verschiedenen Pavillons und die historisch-funktionale Architektur der Arsenale-Hallen. Uns geht es darum, den experimentellen Charakter der Biennale wieder zu betonen. Weshalb also diese Orte hinter weißen Wände verbergen? Wir werden die Kunstwerke auf die Orte reagieren lassen und dieses Konzept der ortsspezifischen Arbeiten so weit ausreizen wie nur möglich.

Was ist mit der Ursprungsidee, das Konzept der Utopia Station auszuweiten? Während der 50. Venedig-Biennale erwies sich das Projekt als anregende Kommunikationsplattform?

Birnbaum: Wir können nicht die gesamte Biennale in eine Utopia Station, also in eine Art Workshop verwandeln. Was wir während der Biennalezeit planen, sind mehrere performative Projekte: Der Moscow Poetry Club wird eine Lesereihe halten, Cerith Wyn Evans und Florian Hecker präsentieren ein Performance-Stück in einem großen Theater und Arto Lindsay bereitet für Venedig eine Parade vor.

Volz: Venedig ist nicht mit der Berlin-Biennale zu vergleichen, wo zuletzt ein Programm an wechselnden Schauplätzen in der Stadt stattfand. Dies war so spannend, weil in Berlin die Biennale mit einer sehr präsenten lokalen Kunstszene korrespondiert. In Venedig hingegen reisen die Kunstinteressierten extra an, sind dann aber meist nur einige Tage in der Stadt.

Birnbaum: Die zeitgebundenen Arbeiten sind ja nur ein Teil der Biennale. Schließlich soll die Ausstellung auch einen visuellen Eindruck hinterlassen, der sich erst durch das Nebeneinander von ortsspezifischen Installationen, Skulptur, Zeichnung, Video, Film, Malerei und Fotografien einstellen wird.

Ortsspezifische Projekte bedeuten einen großen Zeit- und Kostenfaktor. Sie selbst haben von einer Kürzung des Budgets gesprochen. Werden trotz der Finanzkrise alle Projekte realisiert?

Birnbaum: Die Venedig-Biennale ist nach wie vor die weltweit größte Kunstbiennale und so konnten wir auch dieses Jahr unser Ausstellungsbudget mit Förderungen durch Kulturinstitute der jeweiligen Länder oder durch private Stiftungen ergänzen. Die Finanzierung der Projekte steht.

Volz: In Venedig eine Ausstellung zu organisieren, das erfordert sehr viel logistisches Geschick. Denn nicht nur die Kunstwerke, sondern auch alle Baumaterialien müssen per Schiff an die Ausstellungsorte gefahren werden. Aber die Biennale selbst hat damit ja nun seit über hundert Jahren Erfahrung, und wir haben die großartige Unterstützung eines kleinen, aber sehr versierten Teams. In diesen Tage wird beispielsweise Mike Bouchets schwimmendes Haus zu Wasser gelassen und Tamara Grics Rettungsboote schwimmen auch schon.

Was ist mit den italienischen Künstlern, in den Jahren zuvor kritisierte die italienische Presse oft die Unterpräsenz des Gastlandes in der Ausstellung?

Birnbaum: Die Situation hat sich seit 2007 verändert, seitdem bespielt Italien einen eigenen Länderpavillon, diesmal mit einer Gruppenausstellung. Ich selbst habe in diesem Jahr die Turin Triennale geleitet und viele Ateliers besucht. In der Biennale zeigen wir nun zehn Künstler aus Italien. Ich denke also nicht, dass erneut Beschwerden kommen.

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