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50 Jahre TürkInnen in DeutschlandViertelbio-Deutsch-Bastarde

Schluss mit der Sprachverwirrung: Wer hier lebt und einen deutschen Pass hat, ist Deutscher. Oder? Ein Glossar über den einheimischen Tellerrand hinaus.

Was heißt hier türkisch? Bild: 106313 / photocase.com

Nein, Deutscher sei der unfreundliche Kunde eben nicht gewesen, "Ostlu", sagt der Kioskbesitzer: einer aus dem Osten also, aus der ehemaligen DDR - und damit kein richtiger Deutscher nach Auffassung des aus der Türkei stammenden Kioskchefs. Der Mann widerspricht umgehend: Aus der Türkei stamme er gar nicht. Von dort käme sein Vater, seine Mutter sei aber bereits hier geboren: als Kind türkischer Gastarbeiter.

Gastarbeiter? Gibt's die noch? Nein: Die Mär von einem zeitlichen befristeten Arbeitsaufenthalt ausländischer Gastarbeiter und ihrer Rückkehr nach wenigen Jahren wurde von Deutschen und Einwanderern ja aufgegeben. Migrant heißen sie nun, also eigentlich Wanderer - vor dem Immigranten, dem Einwanderer, ziert sich die deutsche Öffentlichkeit noch.

Und was heißt hier türkisch? Was heißt - Deutsche und Einwanderer? Sind Einwanderer, die den deutschen Pass haben, etwa nicht Deutsche? Etwa sieben Millionen Ausländer leben in Deutschland, Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit mit dauerhaftem Wohnsitz hier also. Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund wird dagegen auf etwa ein Viertel der Bevölkerung geschätzt - wobei die deutsche Statistik noch das Enkelkind eines im Ausland geborenen Großelternteils als Migranten zählt.

Stolz statt Vorurteil

Wohin das alles führt, hat niemand geahnt. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei, das am 1. September 1961 in Kraft getreten ist, hat die Republik grundlegend verändert. Die Türken kamen, viele blieben. Und heute? Sind sie Deutschland, genau wie der Rest. Betrachtet man diese Entwicklung einmal ganz unaufgeregt, kann man zu dem Schluss kommen: Die Einwanderung aus der Türkei ist eine Erfolgsgeschichte.

Natürlich gibt es Probleme. Wie sollte sich eine so tiefgreifende Veränderung auch ohne vollziehen? Aber verengen wir den Blick einmal nicht auf sie, wie es die Sarrazins dieser Welt so gerne tun. Dann sehen wir: Das Zusammenleben klappt vielerorts erstaunlich gut. Registrieren wir also endlich: Vieles wird besser. Die Anzahl der türkischstämmigen Abiturienten und der binationalen Ehen steigt, die Mittelschicht wächst, selbst die Anzahl der Einbürgerungennimmt wieder zu. Türkischstämmige Abgeordnete sitzen in vielen Parlamenten, sie werden Grünen-Chef und niedersächsische Sozialministerin.

Fatih Akin steht für den deutschen Film, Feridun Zaimoglu für die deutsche Literatur, Mesut Özil für den deutschen Fußball. Sie alle sind ein Gewinn. Und sie zeigen: Es kann klappen mit dem Aufstieg - und dem Mitmischen. Wir setzen auf ein Happy End. (Sabine am Orde, stellvertretende Chefredakteurin)

Die taz vom 1. September mit sieben Sonderseiten zum Thema 50 Jahre TürkInnen in Deutschland. Ab Donnerstag am Kiosk oder unter //www.taz.de/zeitung/e-kiosk/:taz.de/ekiosk

Nicht nur damit hängt es vermutlich zusammen, dass in die USA oder nach Kanada ausgewanderte Türken sich leichter damit tun, sich als Amerikaner oder Kanadier zu bezeichnen, als es den Deutschtürken fällt, sich Deutsche zu nennen. Dort wird stärker das Bekenntnis zur demokratischen Verfassung und ihren Werten als Voraussetzung betrachtet. In Deutschland wird selbst die noch als Bekenntnis zum "Deutschtum" betrachtet: Die deutsche Leitkultur liest sich wie Kultur, nicht wie Zivilisation, also Verfassung, Demokratie und Menschenrechte.

Viele Deutschtürken selbst mit rotem (EU-)Pass bezeichnen sich deshalb selber gern noch als Türken, Ausländer oder Yabanci, was Fremder und Ausländer heißt. Yabanci kann aber auch jemanden meinen, der kein Türke oder türkischstämmiger Deutscher, auch kein Biodeutscher, sondern etwas ganz Anderes ist.

Ihr Sohn habe in der Schule keine deutschen Freunde mehr, klagte mir einst eine türkische Freundin. Als ich diesen fragte, wie viele Ausländer in seiner Klasse seien, sagt er: 14 - von 29. Erst im Gespräch stellte sich heraus: Es waren 15 Türken und 14 SchülerInnen sonst wie nichtdeutscher Herkunft: Russen, Polen, Vietnamesen - Ausländer eben. Ach so.

Menschen nichtdeutscher Herkunft oder nicht deutscher Herkunftssprache, abgekürzt ndH, tummeln sich scheinbar vor allem an Schulen: als SchülerInnen oder deren Eltern, gerne in Verbindung mit dem Adjektiv bildungsfern. Den Migrationshintergrund findet man vor allem in Stellen- und Projektausschreibungen sowie Texten von SozialpädagogInnen und PolitikerInnen.

Göcmen heißt das türkische Wort für Migrant, als türk kökenli bezeichnet man jemanden, der türkischer Herkunft ist. Mit dem Wort türkischstämmig kann man sich im Deutschen aber schwer in die Nesseln setzen: Ist das Gegenüber etwa kurdischer oder tscherkessischer Herkunft, will es vielleicht lieber als türkeistämmig bezeichnet werden - ein Wort, das es eigentlich nicht gibt. Doch vielleicht ist genau das die Lösung: Neue Worte müssen her, wie etwa das Almanci, mit dem Türkeitürken Deutschtürken benennen. Deutschenähnlich bedeutet es ungefähr, deutschenartig, und meint jemanden, der in Deutschland wohnt, aber kein echter Deutscher ist.

Womit wir wieder bei den richtigen Deutschen wären: Biodeutsche oder Altdeutsche werden heute von manchen diejenigen genannt, bei denen kein Migrationshintergrund ersichtlich ist. Bei genauerem Hinsehen zeigt der sich häufig dennoch und liegt oft auch nur eine Generation weiter zurück als derjenige der GastarbeiterenkelInnen.

Wie aber entrinnt man diesem Sprachdilemma? Ganz simpel: gar nicht. Alle diese Bezeichnungen basieren auf einer Vorstellung von ethnischer Reinheit und Unvermischtheit, die vielleicht in der Theorie gedacht werden kann, aber in der Realität nicht vorkommt. Die Welt ist viel größer und bunter, und wir sind längst alle "hybride Bastarde", wie der Berliner Kulturwissenschaftler Kien Nghi Ha so lebensklug wie wissenschaftlich sattelfest festgestellt hat.

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10 Kommentare

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  • V
    vic

    Völlih richtig, Frau Wierth. Vor diesem Hintergrund wäre der von manchen geschätzte Herr Rösler Vietnamese, also der Feind schlechthin.

  • S
    Sebbl

    Es dauert einfach nur viele Generationen, bis sich die Gesellschaft - und die ist immer sehr zäh - an die bunte vielfältige Kultur gewöhnt hat...

  • CF
    c. franke

    liebe tazler/ liebe Alke Wierth,

     

    dass die Beschäftigung mit 'Migration in Deutschland' das Leib- und Magenthema der taz darstellt, welches in jeder zweiten Ausgabe mehr oder minder aufgegriffen, ist nichts Neues ... habe mich immer gefragt warum eigentlich ? Als müsste man sich ständig mit der eigenen Identität auseinandersetzen. Ob es für die hierlebenden Menschen mit ausländischen Wurzeln selbst so ein dringliches Anliegen ist, wag ich zu bezweifeln. Es ist, so scheint es, mehr eine Debatte der Deutschen, wenn nicht gar der westdeutschen Altlinken untereinander. Inzwischen ist dieses Thema auf dem weitverzweigten hiesigen Zeitungsmarkt, zu so etwas wie einem Alleinstellungsmerkmal der taz geworden.

     

    Indem die Verfasserin des Artikels den angelsächsisch/nordamerikanischen Begriff der "Zivilisation" dem deutschen der "Kultur" gegenüberstellt erklärt sie ja selbst warum das Prinzip der Integration hier anders funktioniert, als beispielsweise in den USA.

     

    Dieser bunt - fluktuierende Begriffsreigen von

    "biodeutsch/ altdeutsch" etc. klingt wenn auch ironisch, so doch gleichfalls verschämt und ist eher ein Ausdruck von Unbeholfenheit ...

     

    Man gesteht z.B. den Türken ihr Recht auf Identitätsanspruch zu und erkennt es sich selbst ab.

     

    Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan steht in einer vollbesetzten Arena in Köln und bittet seine "Landsleute" inständig sie mögen sich doch bitte nicht assimilieren.

     

    Das kann man gut finden, als Ausdruck eines deutschen 'Laissezfaire' im Umgang mit anderen Idenditäten, oder aber auch als Zunichtemachen verschiedentlicher Bemühungen kulturell zueinander zu finden.

     

    Das Ringen der Deutschen um Identität ist kein Phänomen der Gegenwart. Der Dichter Hölderlin beschreibt vor über 200 Jahren schon in seinem Hyperion:

    „Ich kann kein Volk mir denken, daß zerrißner wäre, wie die Deutschen ..."

     

    Wären wir wirklich alles hybride Bastarde, mit fließenden Identitäten, gäbe es nicht dieses große Aufheben um dieses Thema herum, aber, abgesehen von einer bestimmten Gruppe urban-alleinstehender Kreuzberger sind wir es eben nicht, sondern haben alle früher oder später ein Bedürfnis nach Herkunft und irgendwie umrissenen Identitäten.

     

    ein Ostlu, aus Doğu Berlin

  • D
    Deutsch-Pole

    Das schlimme an Deutschland ist, das hier nie die dopppelte (oder mehrfache) nationale Identität eines Menschen geachtet und respektiert wird. Man muss immer entweder Deutscher ODER Pole oder so ähnlich sein. Ein UND wird da nie akzeptiert. Immer wird man dazu genötigt sich zu 'entscheiden' oder noch schlimmer, ein anderer bestimmt einfach darüber was man ist und wam man nicht ist!

  • R
    Randbemerker

    Kia ora,

     

    wie nennt man dann eigentlich einen Biodeutschen, der ausserhalb Deutschlands einen Migrationshintergrund aufzuweisen hat?

     

    Soviel Gewese wie in Deutschland um die Herkunft gemacht wird sieht von aussen (Neuseeland) betrachtet ausgesprochen lustig aus. Andererseits ist auch hier festzustellen, dass es unterschiedliche Formen ethnischer Arroganz gibt.

    So haben schon vor langer Zeit die Maori alles was nicht Maori ist mit dem Wort Pakeha belegt. Ueber die Wurzel wird nach wie vor gestritten und es ist bis heute nicht ganz klar ob es eigentlich ein Schimpfwort ist.

    Als Kern der modernen Gesellschaft hier verstehen sich immer noch die kolonialen Herrenmenschen von der seltsamen Insel im Atlantik. So ist es auch hier nicht wirklich gelungen das koloniale Erbe in Richtung einer neuseelaendischen Mischlingsidentitaet zu vererben. Wenn dann noch wirtschaftsliberaler Unfug sich in den Cocktail mischt wird es vollends uebel, aber das war ja nicht das Thema.

     

    Kurz gesagt vom anderen Ende, es ist definitiv kein Privileg der Deutschen mit Einwanderung, potentiellen Paralellkulturen und ethnisch-nationalen Identitaetskrisen zu kaempfen.

     

    Ka kite ano

    Hansjoerg

  • T
    Tsaimath

    Wie beseitigt man das?

    Ganz einfach:

    Wir sind alle MENSCHEN, verdammt nochmal.

    MENSCH, ganz einfach, von mir aus auch Homo Sapiens, Sapiens oder wie die Biologen uns auch immer schimpfen.

     

    Also nochmal zum mitschreiben:

    M E N S C H

  • I
    Ingo

    Guter Artikel, de facto habt ihr Recht de jure sieht es aber so aus:

     

    (1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.

     

    (2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.

  • T
    T.V.

    Wunderschöner Kommentar. Jetzt noch eine Fortsetzungen über die willkürliche Festlegung von Grenzen und bald können wir uns alle fröhlich Bastarde nennen ohne es böse zu meinen.

     

    Ein "Biodeutscher" (klingt wie ne Krankheit)

  • AD
    Andrea Doria

    Danke für diesen Artikel! Die ganze Debatte ist widerlich. Mein Frisör (schwul, nett, bunt, eigentlich sehr intelligent)sagte kürzlich, er sei 'total arisch'. Nix reingemischt. Gibt es bald neue Rassengesetze? Ich wäre dann wohl mit meiner jugoslawischen Oma als nicht mehr ganz rassenrein einzuschätzen...als Abkömmling eines 'slawischen Untermenschen'. Da muß ich 45 Jahre alt werden, um Wörter wie 'biodeutsch' zu lesen. Schön is' das nich'....

  • JM
    Johannes Meyer

    Der Artikel behandelt ein -- wie ich finde -- für die sogenannte "Einwanderungsdebatte" extrem wichtiges Thema. Da wird von Türken geredet, von Arabern, von Einbürgerung, ohne zu differenzieren ob es in der Bevölkerung überhaupt eine Konsens über diese Bezeichnungen gibt.

    In meinem Umfeld ist es nämlich so, dass Menschen mit Migrationshintergrund mit der Landesbezeichnung ihres Hintergrundes benannt werden. Da ist der Bosnier eben ein Bosnier, obwohl er seit 10 Jahren eine deutschen Pass hat.

    So lange es in der Bevölkerung keinen Konsens gibt, was ein Deutscher denn nun sein mag und was nicht und welche Rolle dabei ein deutscher Pass spielt, wird auch die "Einwanderungsdebatte" zu keine Ergebnis führen.

    Das diese Betrachtung nach Abstammung noch so verbreitet ist, finde ich übrigens sehr irritierend.