50 Jahre CSU: Der Widerstand lebt!
Am 16. Oktober 1957 fiel der Freistaat Bayern in die Hände der CSU. Doch wer glaubt, sie herrsche hier ohne Widerstand, ist ihrer Propaganda aufgesessen.
Nein, auch wenn es inzwischen so gesagt wird: Bayern war nicht immer in Händen der CSU. Erst seit 50 Jahren, seit dem 16. Oktober 1957, regieren die Schwarzen den Freistaat. Aber beileibe bestimmen sie nicht das gesamte Leben hierzulande. Denn – allem Schmäh zum Trotz – Widerstand hat Tradition in Bayern.
Die Grundbefindlichkeit
Das launige Granteln über den Wind, der einem durch die Kleider fährt oder die Sonne, die einem auf den Kopf brennt, die ruhige Freude über die Schönheit der Landschaft eine halbe Bier. So etwas eint die Menschen hier in der Region, von der einst schon Thomas Mann, Franz Marc und selbst Otto von Bismarck schwärmten. „Bayern ist vielleicht das einzige deutsche Land, dem es durch seine materielle Bedeutung, durch die bestimmt ausgeprägte Stammeseigentümlichkeit und die Begabung seiner Herrscher gelungen ist, ein wirkliches und in sich selbst befriedigtes Nationalgefühl auszubilden“, übermittelte der preußische Ministerpräsident im Jahre 1865 an seinen Gesandten in München.
In sich selbst befriedigt. Das ist der Begriff, der für die Bayern an sich wohl am besten zutrifft. Für die CSU und auch für die bayerischen Widerständler. Allesamt sind sie eigentlich recht zufrieden mit sich. Wobei diese Selbstzufriedenheit echte Wut nicht ausschließt. Aber es stimmt, was Bismarck einst bemerkt hatte, diese „Stammeseigentümlichkeit“ ist ein notwendiger Bestandteil der bayerischen Ausgeglichenheit. Oder anders gesagt: Ohne die Oppositionellen würde den Mächtigen etwas fehlen. Das ist so und das war immer so.
Bierrevolution und Räterepublik
Ein Thema, das die Menschen immer wieder auf die Barrikaden brachte, ist das Bier. 1844 etwa wurde der Bierpreis in Bayern um einen ganzen Pfennig angehoben. Daraufhin stürmten am Abend des 1. Mai mehrere tausend Bürger die Münchner Brauereien. Die Polizei schränkte prompt die Schankzeiten ein und drohte den Randalierern mit „der bewaffneten Macht“ – allein, die Mächtigen hatten die Rechnung ohne die Solidarität unter Biertrinkern gemacht: Die eingesetzten Soldaten waren ebenfalls gegen die Preiserhöhung und weigerten sich, gegen die Aufständischen vorzugehen. König Ludwig I. blieb nichts anderes als nachzugeben. Am vierten Tag der Bierrevolution senkte er den Bierpreis wieder per Erlass. Als in den 1990ern die Biergarten früher dicht machen sollte gingen dann ebenfalls wieder tausende auf die Straße – immerhin ging nichts zu Bruch, das Gesetz wurde auch so wieder gekippt.
70 Jahre nach der ersten Bierrevolution rief am 7. November 1918 der Sozialdemokrate Kurt Eisner den „Freistaat Bayern“ aus und stürzt damit endgültig den letzten Wittelsbacher König Ludwig III. Unter Eisner Vorsitz kommt sogleich im Landtag ein Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat zusammen. Tags darauf wird ein provisorischer bayerischer Nationalrat gebildet, in dem der rote Revolutionär Eisner Ministerpräsident und Außenminister wird. Er begründet nicht nur die Räterepublik, sondern lässt auch bayerische Militärdokumente veröffentlichen, um die deutsche Kriegsschuld zu beweisen. Ein Affront gegen die rechtskonservativen Kreise: Im Februar 1919 wird er auf dem Weg ins Parlament von einem Reserveleutnant erschossen.
1946 dann war es mit Wilhelm Hoegner wiederum ein Sozialdemokrat, der Bayern die Apposition „Freistaat“ sicherte. Von der amerikanischen Besatzungsbehörde war er zum Ministerpräsidenten ernannt worden, die erste von zwei kurzen Phasen seit Kriegsende, in denen die CSU nicht an der Macht war. In diesen Monaten brachte er die Landesverfassung auf den Weg, übrigens die erste in Nachkriegsdeutschland – und gegen den Widerstand der Besatzungsmacht blieb es beim „Freistaat“ Bayern.
Die schwarze Macht
Lange konnte sich Hoegner nicht halten. Die erste reguläre Landtagswahl in Bayern, ein Jahr nach Kriegsende, war sogleich der Durchbruch für die CSU: 52 Prozent, ein Ergebnis wie man es immer noch kennt. Doch Richtungskämpfe zwischen dem liberalen CSU-Mann Josef „Ochsensepp“ Müller und dem katholisch-konservativen Alois Hundhammer schwächten die Partei, die sich erst im Herbst 1945 gegründet hatte. Eine dritte, bäuerlich-bayerische Gruppierung spaltete sich schließlich auch noch ab – bei der Landtagswahl 1950 brach die CSU dadurch auf 27 Prozent ein, konnte sich aber durch eine Koalition an der Regierung halten. Ebenfalls eine Koalition bescherte den Bayern dann ab 1954 drei Jahre einen SPD-Ministerpräsidenten. Wieder war es Hoegner, diesmal allerdings vom Volk gewählt und im Verbund mit der Bayernpartei, der FDP und den Heimatvertriebenen. Drei Jahre hielt die Koalition, bis zum Oktober 1957. Dann wechselten FDP und Heimatvertriebene die Fronten – und am 16. Oktober 1957, heute vor 50 Jahren, wurde im Landtag schließlich der CSU-Ministerpräsident Hanns Seidl vereidigt. An jenem Mittwoch begann die bis jetzt immer währende Hochphase der CSU. Um die 45 Prozent fuhren die Schwarzen, die sich zwischenzeitlich wieder die abtrünnige Bayernpartei einverleibten, bis 1966 ein. Seitdem heißt es an den Landtagswahlabenden immer: 50 plus X, bei der Wahl 2003 waren es gar 60,7 Prozent.
Außerparlamentarischer
Widerstand
Nun war aber natürlich nicht ganz Bayern mit der zunehmenden Bürgerlichkeit einverstanden und durchaus in der Lage deutlich zu sagen: „Mia san dageng“. In den 80ern waren es die Oberpfälzer rund um Wackersdorf, die mit Mistgabeln und Baumhäusern gegen den Bau einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage kämpften – letztlich erfolgreich. 1992 dann ließ der damalige bayerische CSU-Innenminister Edmund Stoiber 500 zumeist junge Demonstranten beim Weltwirtschaftsgipfel einkesseln und stolz erklärte die Staatsregierung, dass das eben die „Münchner Art“ sei. Am 1. März 1997 prallen auf dem Münchner Marienplatz Gegner und Befürworter der Wehrmachtsausstellung aufeinander. Die bunte Mehrheit der Befürworter, 10.000 sind es wohl, schafft es – mittels Eiern und Tomaten – den Marienplatz zu halten.
Solch pointierter Widerstand hat Tradition in München. Zum ersten Mal nach dem Krieg krachte es am 21. Juni 1962. Zwei Straßenmusiker hatten es gewagt nach halb elf Abends auf der Leopoldstraße zu spielen. Ein massiver Polizeieinsatz war die Folge – und 40.000 junge Leute, die sich fünf Tage lang Schlachten mit der Obrigkeit lieferten. Ebenfalls im Jahr 1962 finden sich Studenten der Ludwig Maximilians-Universität zur „Subversive Aktion“ zusammen, nach Meinung vieler Beteiligter eine Keimzelle der späteren RAF, zumindest aber wollen sie aus den theoretischen Einsichten der Frankfurter Schule „praktische Konsequenzen“ ziehen. Ein Jahr zuvor, 1961, war der rechtskonservative und hochbegabte Franz Josef Strauß CSU-Chef geworden. Ein Mann, der so pointierte Worte fand wie seine Gegner. Als „Ratten“ und „Schmeißfliegen“ bezeichnete er Linke und immer wieder wurden Zwistigkeiten vor Gericht ausgetragen. Zwei 15 Jahre alte Mitglieder der Münchner Punkband „A&P“ etwa wollten er und der zuständige Staatsanwalt hinter Gitter bringen, weil sie den schwergewichtigen CSU-Politiker in einer Liedzeile als „fettes NS-Schwein“ bezeichnet hatten.
Überhaupt, die Liedermacher. Sie sind und waren gemeinsam mit den Kabarettisten die Seele der Opposition in Bayern. Von der „Wuide Wachl“ und Thomas Meineckes „FSK“ bis zu den Biermösl Blosn, von Bruno Jonas bis Sigi Zimmerschied, von Gerhard Polt über Josef Bierbichler bis zu Herbert Achternbusch – bayerische Gegenbewegung fand stets in der Musik und auf der Bühne statt. In der Hochzeit der Bewegung, Ende der 70er, wurden sie und ihr Kristallisationspunkt, das Passauer Scharfrichterhaus totgeschwiegen von der bürgerlichen Presse, die Passauer Neue Presse verhängte eine Nachrichtensperre, der Generalvikar erstatte einmal eine Anzeige. Durchgesetzt haben sie sich trotzdem. Und der exponierteste von allen, der Söllner Hans, singt vom „Marihuanabam“ und von der bleeden Polizei. Seine Platten verkaufen sich in Bayern dennoch tausendfach, seine Konzerte sind ausverkauft – und stets begleitet vom LKA.
Parlamentarisches
Auch in der parlamentarischen Politik trifft zu, dass die CSU-Übermacht eine besonders umtriebige Opposition hervorbringt. Die verkörpert nicht unbedingt die SPD, die sich mittlerweile eingerichtet hat auf ihren Oppositionsplätzen und der im Moment die wirklich kreativen Köpfe fehlen. Aber die Grünen verbinden es in bester bayerischer Manier, das merkliche Glück über ein schönes Land und das Granteln über eine CSU-Politik, die zwar seit dem Tod von FJS nicht mehr so stark polarisiert, aber doch immer wieder arge konservative oder reaktionäre Züge annimmt. In Tracht und überaus pragmatisch regiert der Grüne Landeschef Sepp Daxenberger als Bürgermeister in Waging am See, mit manchmal geschertem bayerischen Zungenschlag und einer eben solchen Hinterfotzigkeit pflegt der Fraktionschef Sepp Dürr im Landtag zu reden. Und auch die Linke, zumindest der westdeutsche WASG-Teil, ist in Bayern groß geworden. Es waren vor allem wichtige Gewerkschafts- und Parteigenossen aus Bayern, die sich vor zwei, drei Jahren abgewandt haben von der IG Metall, dem DGB und der eigentlich sowieso schon sehr linken BayernSPD, um eine linke Partei zu etablieren. Apropos SPD und Widerstand: Vergessen wird im Rest der Republik auch oft, dass die drei größten bayerischen Städte nicht in CSU-Hand sind. Augsburg, Nürnberg und München werden von roten Bürgermeistern regiert. Ganz so schwarz ist Bayern eben doch nicht.
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