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5 dinge, die wir in den letzten 10 jahren über deutschland gelernt haben

1 Im Zweifel wird geklatscht

Ob 2015 am Bahnhof für die Geflüchteten oder 2020 in der ­Coronapandemie für die Pflegekräfte: Die Leute hierzulande klatschen einfach gern. Ist es, weil sie sich als Publikum sehen wollen? Irgendwie dabei, aber nie richtig involviert? Die freundlichere Deutung wäre: Beim Klatschen geht es darum, Anerkennung zu zeigen. So die neu Ankommenden zu begrüßen oder die Leute in den Kliniken, ist nett. Aber man wird den Verdacht nicht los, dass es den Klatschenden dabei immer auch ein bisschen um sie selbst geht.

2 Die Union ist masochistisch

Lieber zerfleischt sich die Union zehn Jahre lang selbst, als einzugestehen, dass sie 2015 einmal etwas richtig gemacht hat. Erst Seehofer, später Merz – allesamt steckten sie viel Energie in den Versuch, die menschenfreundliche Politik von 2015 zur Katastrophe umzudeuten. Merz arbeitet nun an der sogenannten Asylwende. Erste „Erfolge“ gibt es schon: Die AfD steht in Umfragen teils zwei Prozentpunkte vor der CDU/CSU. In diese Kategorie gehört auch: Abschottungsdebatte bei Arbeitskräftemangel.

3 Zumindest kulinarisch ist man aufnahmebereit

Man sieht das an Verwandten, die beim Berlinbesuch sofort ins arabische Restaurant stürmen. Daran ist zunächst einmal nichts ­auszusetzen, aber warum muss man das Essen als „exotisch“ loben? Haben die etwa Edward Saids „Orientalismus“ nicht gelesen? Ansonsten wird bei der Kulinarik durchaus der Spruch beherzigt, dass Integration keine Einbahnstraße sei. So wurden in einem süddeutschen Restaurant tatsächlich schon einmal Falafel-Maultaschen gesichtet.

4 Die Deutschen sind gar nicht so knauserig

Eine ganz neue Erkenntnis, gerade erst ein paar Tage alt. Die von der schwarz-roten Bundes­regierung angeordneten Grenz­kontrollen samt Zurückweisungen haben seit Mai schon satte 80 Mil­lio­nen Euro gekostet. Hunderte Jahre Vorurteil über die geizigen Deutschen – und besonders die Schwaben – einfach hinweggeblasen. Wer hätte gedacht, dass man sich als Linker mal mehr Haushaltsdisziplin wünschen würde: Die Grenzkontrollen bitte zusammenstreichen.

5 Das Land kann auch anders

Was war der Sommer 2015, wenn nicht der ganz große ­Beweis, dass Deutschland auch anders sein kann. Nicht ­zögerlich und kalt. Sondern beherzt und aufgeschlossen. Hundert­tausende halfen ehrenamtlich, CDU-Politiker organisierten fieberhaft Notunterkünfte, und sogar Bilddruckte kitschige Willkommens­botschaften an die Geflüchteten. Schon klar: It wasn’t meant to last. Aber gut war es trotzdem, dieses andere Deutschland, was da kurz durchschien.(fre)

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