40 Jahre Goldene Zitronen: Wenn schon nicht ewig jung, dann halt in Würde alt
Es ist die Band, die einfach immer weitermacht, mit immer neuen Strategien: Die Goldenen Zitronen feiern ihr 40-Jähriges auf Tour.
D er Spruch „Man ist so jung, wie man sich fühlt“, „gefühltes Alter“, alles Quatsch, hat Max Goldt einst dekretiert, zurecht. Besser: Man nimmt die durchschnittliche Lebenswartung, teilt sie durch zwei, wenn die Anzahl der Lebensjahre in die erste Hälfte fällt, ist man jung, und in der zweiten ist man alt. Bei Männern liegt der Kipppunkt bei 39,1 Jahren. Eine Band, die ihren 40. Geburtstag feiert, ist also alt. Und fühlt sich heute zumindest für die, die Jahrgang 1980 oder jünger sind, so an, als wäre sie schon immer da gewesen.
Man kann die große Rolle, die die Goldenen Zitronen für die, die in den Achtzigern und Neunzigern hierzulande popkulturell sozialisiert wurden, eigentlich nicht überschätzen, politisch wie musikalisch. Die immense Bedeutung, die diese Musik für das Publikum hat, ist bei der Berliner Gala zum vierzigsten Bandjubiläum im ausverkauften Festsaal Kreuzberg zu spüren. Die Goldenen Zitronen haben als Funpunk-Rockabilly-Schlagerparodie-Band angefangen und sich nach zehn Jahren lustigem Saufen aus der musikalischen Enge ins musikalisch Offene bewegt.
Die Lust am Theaterhaften aber war von Anfang an da, authentisch wollten Die Goldenen Zitronen nie sein, und auch deswegen ist das Frühwerk noch immer lustiger und cleverer als der deutsche, ansonsten ja sehr marschmusikverliebte Funpunk sonst. Bei der Gala werden auf der Bühne dann auch wieder schön bunte Kostüme, Kleider und bescheuerte Sex-Guru-Tanktops aufgetragen.
40 Jahre Goldies
feiern die Goldenen Zitronen mit Auftritten noch in Leipzig (7. 12.), einem Zusatzkonzert in Berlin (8. 12.), einem bereits ausverkauften Heimspiel in Hamburg (19. 12.) und in Wien (21. 12.).
Spätestens seit dem Album „Das bisschen Totschlag“ 1994 floss einiges mehr in den Songs zusammen als im deutschen Pop sonst üblich. LoFi-Punk wurde mit Sprechgesang kombiniert, die Musik quietschte lustig. Auf „Economy Class“ spielten die Zitronen dann 1996 mit Free-Jazz-Versatzstücken rum. Mit den Goldenen Zitronen konnte man lernen, was musikalisch alles möglich war, wenn einem Genregrenzen egal sind. Der Weg ging vom Punk über Experimente bis hin zu den Stadttheatern, an denen Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun heute tätig ist.
Die Goldenen Zitronen haben alle Amtszeiten überdauert
Auf der Bühne des Festsaals bildet sich dieses Machen-was-man-will in einer großen musikalischen Vielfalt ab, die zum ersten Mal seit Langem das von der Band inzwischen eher kritisch gesehene Frühwerk einschloss. Schön, wenn Menschen, die die Lebensmitte hinter sich haben, zu einem Lied wie „Die chinesische Schubkarre“ rumspringen, als wäre wieder 1987. Und weil das eine Gala ist, kamen eine ganze Reihe von Gästen auf die Bühne, die in einem Fall ein sehr altes Stück live sozusagen umschreiben. Camille O verwandelte das vor 37 Jahren bereits ironisch gemeinte „Für immer Punk“ auf der Harfe in eine queere Ballade.
40 Jahre sind eine lange Zeit, Kohl (von der Band einst als „großer, dicker König“ besungen), Merkel, die Goldenen Zitronen haben alle Amtszeiten überdauert, und man spürt im Saal die Freude darüber, dass alle immer noch da sind, mit dieser Band, seit einer Ewigkeit, also eigentlich das ganze Leben von der Adoleszenz an.
Und wie viel man als junger Mensch von ihr, ganz didaktisch, lernen konnte, kann man an dem Abend auch noch einmal nachvollziehen. Die Goldenen Zitronen haben eine neue Sprache für das, was man einst Protestlied nannte, entwickelt. Eine Sprache, die in einer Verabschiedung von Parolenförmigkeit versucht, das Geschehen in seiner Komplexität abzubilden.
Jedenfalls leben Die Goldenen Zitronen auf der Bühne vor, wie man auch als Popdödel und ehemalige Spex-Leser:in in Würde alt werden kann. Was auch deswegen gelingt, weil die Band schon seit Jahren näher am Pol Sun Ra Arkestra als Pol Die Toten Hosen vor sich hin werkelt, und das unbeirrt. Daher wird auch die Nostalgie rühren, die den Festsaal Kreuzberg an diesem Abend immer wieder leise durchweht – bei wahrscheinlich allen, die sich vom Subkulturleben, das primär in Kneipen und vor Bühnen stattfand, in eine Büro- oder Agenturensohnexistenz verabschiedet haben. Die Goldenen Zitronen machen dagegen einfach immer weiter, und das ist schön.
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