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■ 40 Jahre Bundeswehr – 40 Jahre beleidigte Leberwurst„Bezahlte Killer ist eine Tatsache“

Thomas Keller (26) richtete im Juli 1994 einen Leserbrief an das Anzeigenblatt „Salzgitter Woche“. Darin schrieb er, daß „Soldaten nicht nur potentielle Mörder“ seien, „sondern im wahrsten Sinne des Wortes bezahlte Killer“. Der Leserbrief bezog sich auf die Leistungsschau der Bundeswehr („Unser Heer“), die in Salzgitter gastierte. Nach einer Anzeige des Heeresamtes in Köln nahm die Braunschweiger Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf, ließ im Oktober 1994 die Räume des Anzeigenblattes durchsuchen und beschlagnahmte den Leserbrief. Anfang Februar 1995 wurde Anklage wegen „Volksverhetzung“ und „Beleidigung“ gegen Thomas Keller und den Redakteur der „Salzgitter Woche“, Frank Groß (36), erhoben. Ein Gerichtstermin steht noch nicht fest.

taz: Herr Keller, haben sie gedient?

Thomas Keller: Ja. Das war in den Jahren 1987/1988 als Panzeraufklärer – ich bin dann als Obergefreiter abgegangen.

Warum haben Sie als Ex-Soldat das mit den „bezahlten Killern“ geschrieben?

Wenn man bei der Bundeswehr war, bedeutet das ja nicht, daß man sieben Jahre später noch genauso dahinter steht. Ich habe den Wehrdienst abgeleistet, dazu stehe ich – ich mußte damals das Töten lernen. Und das muß man dort, davon gehe ich aus, immer noch tun. Ich halte Verteidigung auch nach wie vor noch für legitim. Doch dies mit der Institution Militär zu tun, halte ich für hochproblematisch.

Warum?

Dem einzelnen Soldaten ist ja eine situationsbezogene Gewissensentscheidung nicht möglich. In der Maschinerie von Befehl und Gehorsam geht jedes autonome Handeln unter. Gerade dies wäre aber eine notwendige Bedingung von Notwehr oder Verteidigung. Mal ganz abgesehen von Nato- Strategien wie dem atomaren Erstschlag – was hat der noch mit Verteidigung zu tun?

Ihr Leserbrief richtete sich gegen die Schau „Unser Heer“. Was hat Sie so aufgebracht? Das kannten Sie doch alles.

Ja, schon. Aber diese Großväter, die ihren Enkeln seelenruhig und detailverliebt die Panzer erklären, die haben nur einen Gedanken ausgelöst: Das darf ja wohl nicht wahr sein. Besonders gestört hat mich die verharmlosende Präsentation der zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr, ganz speziell die sogenannten humanitären Einsätze außerhalb des Bundesgebietes. Da werden Soldaten als Entwicklungshelfer dargestellt, während man in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Hardthöhe nachlesen kann, daß zu den „vitalen Sicherheitsinteressen“ der Bundesrepublik „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ gehöre. Eine etwas zynische Form von Entwicklungshilfe.

Wollten Sie mit Ihrem Leserbrief erreichen, daß Sie angeklagt werden?

Natürlich nicht. Ich habe den Leserbrief schnell heruntergeschrieben, nachdem ich über die Ausstellung „Unser Heer“ gegangen war. Ich wollte nur an jeden und jede appellieren, sich einmal mit der veränderten außenpolitischen Rolle der Bundesrepublik und der neuen Rolle der Bundeswehr auseinanderzusetzen.

Aber provozieren wollten Sie schon?

Unliebsame Wahrheiten scheinen die Angewohnheit zu besitzen, daß sie provozieren. Mangels Aufgaben und angesichts zunehmender Kriegsdienstverweigerung ist die Dünnhäutigkeit der Bundeswehr ja auch nachvollziehbar.

Warum sind Sie der Meinung, daß Sie mit ihrem Leserbrief keine Angehörigen der Bundeswehr beleidigt haben?

Wenn ich jemand beleidigen wollte, dann würde ich ihm oder ihr das direkt ins Gesicht sagen. Wer den Soldatenberuf ergreift, der muß sich darüber im Klaren sein, daß die letzte Konsequenz seines Tuns das Töten – und selbstverständlich auch das Getötetwerden – ist. Das ist völlig unabhängig davon, ob die dahinterstehenden Motive edlerer oder unedlerer Natur sind. Insofern ist der Terminus „bezahlte Killer“ eine schlichte Tatsachenbeschreibung. Ein Blick ins Lexikon würde genügen, um zu wissen, daß der „Soldat“ derjenige ist, der für Geld in den Krieg zieht. Wer das Töten erlernt, sich also zum „Killer“ ausbilden läßt, der kann auch zum Mörder werden. Das besagt das Wort „potentiell“.

Das Strafgesetzbuch bezeichnet eine Tötung u.a. dann als Mord, wenn diese aus „niederen Beweggründen“ geschieht. Sehen Sie dies bei jedem Fall einer Tötung durch einen Soldaten als gegeben an?

Eine Tötung aus Notwehr oder Verteidigung ist zumindest diskutabel. Aber ethisch verwerflich sind doch zweifelsfrei die Greueltaten im bosnischen Bürgerkrieg oder im Südosten der Türkei. Wegen ersteren wurde immerhin ein internationaler Strafgerichtshof für Kriegsverbrechen installiert, mit letzteren beschäftigt sich erstmals in einem formalen Verfahren die Europäische Menschenrechtskommission. Daß auch Armeen demokratischer Staaten Menschenrechtsverletzungen begehen, zeigen beispielsweise die US-amerikanischen GIs, die im Golfkrieg irakische Soldaten mit Bulldozern in ihren Schützengräben lebendig begraben haben.

Sie berufen sich in einem Brief an die Staatsanwaltschaft nicht nur auf den legendären Tucholsky- Satz, sondern auch auf eine Pilotin der US-Air Force, auf die kritischen Soldaten vom Darmstädter Signal und den Journalisten und Ex-Wehrmachtssoldaten Rolf Winter. Haben Sie selbst beim Bund nicht genügend Killerausbildung erhalten?

Ich bin eben nicht der einzige, der das so sieht. Die Worte der US- Pilotin lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. „Die Streitkräfte heuern keine Killer an, sie bilden Killer aus; und dazu bin ich bereit.“ Die Bundeswehr versteckt sich immer hinter Katastropheneinsätzen und humanitären Hilfsleistungen. Deutlicher wird der Generalinspekteur der deutschen Armee, Klaus Naumann, in seinem neuesten Buch: „Kein Soldat drängt sich danach, daß für ihn die letzte Konsequenz seines Berufes eintritt. Wollte man aber als Vorgesetzter diese Möglichkeit verschweigen, wäre das Feigheit und Heuchelei. Wir Soldaten stellen uns auch dieser Aufgabe, denn wir wissen, daß der Soldat in letzter Konsequenz ein Kämpfer ist.“ Das meine ich mit „bezahlter Killer“. Wenn mir die Staatsanwaltschaft vorwirft, ich würde Bundeswehrsoldaten in die Nähe der Mafia rücken, dann sollte sie ihr Interesse von Fernsehkrimis mehr auf die Verlautbarungen der Hardthöhe verlegen.

Würden Sie heute ihren Wehrdienst noch ableisten?

Nein, das würde ich, nachdem ich es erlebt habe, auf keinen Fall mehr machen. Heute würde ich wohl Zivildienst ableisten, wobei man sich aber vergegenwärtigen muß, daß auch Zivildienstleistende militärisch eingeplant sind. Aber das Konsequenteste und mit einer Gewissensentscheidung Übereinstimmenste, die Totalverweigerung, bedeutet leider auch Kriminalisierung. Interview: Hans-Hermann Kotte

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