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36 Glocken, ein Requiem und ein unerbetener Kranz

■ Bremer Beiträge zum Gedenken an den Kriegsausbruch in der polnischen Partnerstadt Gdansk: Gute Worte und ein Alleinvertretungsanspruch

Freitag nachmittag auf der Westerplatte bei Gdansk: Dort, wo am 1. September 1939 um 4.45 Uhr der zweite Weltkrieg durch Schüsse von Bord des deutschen Zerstörers Schlewig-Holstein begonnen wurde, legt Bremens Senator Horst-Werner Franke zusammen mit Bürgerschaftspräsident Dieter Klink einen Kranz nieder. Ein paar Worte, kurzes stilles Gedenken - das war's. Eigentlich wollte die Bremer Delegation am Mittag im Rahmen der Gedenkfeiern den Kranz niedergelegt haben, doch das war den Polen gar nicht recht gewesen. Franke, Klink und der Bremer Kranz quasi stellvertretend für die fehlenden Richard von Weizsäcker oder Helmut Kohl, da wollten die Gastgeber lieber gar keinen offiziellen Beitrag aus der Bundesrepublik bei der offiziellen Feier.

Bremen - Gdansk, eine Partnerschaft, die seit 1976 besteht, eine schwierige Partnerschaft, eine Partnerschaft, die für die Vergangenheit in die Pflicht nimmt. Wie kann Bremen am 1. September 1989 angemessen auf den Überfall vor 50 Jahren reagieren, war die Frage und bei der Beantwortung kam der deutsch-polnischen Gesellschaft Bremen und dem Senat die Initiative eines in Hamburg lebenden Dresdeners namens Hans Eggebrecht zu Hilfe. Eggebrecht hatte sich vor Jahren in den Kopf gesetzt, mit Spendengeldern ein neues Glockenspiel für die Kirche St. Katharinen zu beschaffen. Das alte

Glockenspiel war von den Nazis abgenommen worden, um es zu Kanonen umzuschmelzen. Aus unbekannten Gründen geschah

dies nicht. Die gestohlenen Glocken bimmeln inzwischen in der Lübecker Marienkirche.

„Wir sind der Meinung, daß

die Kunstwerke in die Kirchen zurückkehren sollten, die im Laufe des Krieges aus ihnen herausgenommen wurden“, sagt Tadeusz Goclwski, Bischof von Gedansk, am 30. August in der St. Katharinenkirche. Doch die Lübecker brauchen keine Angst mehr zu haben: Der „Verein für das Glockenspiel von St. Katharinen in Danzig“, Ableger der deutsch-polnischen Gesellschaft Bremen, hat ein Spendenkonto eigerichtet, Hans Eggebrecht 360.000 Mark beschafft, Papst Jahannes Paul II. die größte Glocke bei seinem letzten Besuch in Gdansk geweiht - rechtzeitig zum 1. September ist alles geregelt: Das neue Glockenspiel von St. Katharin läutet am 30. August

-„Großer Gott, wir loben dich“ zum ersten Mal, und einige der SpenderInnen, die per Bus nach Gdansk gekommern waren, haben bei der feierlichen Messe feucht schimmernde Augen. Denn schließlich machen die Glocken nicht nur schöne Töne, sie tragen - tue Gutes und rede darüber - auch die Namen der Spender: Bundespräsident, Bundeskanzler. Keiner mochte fehlen. Auf einer der größten Glocken beispielsweise steht: Lothar Späth, Ministerpräsident und Daimler-Benz AG, Stuttgart.

Zweite Aktivität mit Bremer Beteiligung: Am Vorabend des Kriegsausbruches wird in der riesigen Kirche St. Marien, der größte Backsteinkirche der Welt, behaupten die Gdansker, das War Requiem von Benjamin Britten aufgeführt. Das selten aufgeführte Requiem wurde von Britten für die Einweihung der von deutschen Bombern 1940/41 zerstörten Kathedrale von Coventry

komponiert, quasi eine Collage dreier Elemente. Ein Kammerorchster begleitet zwei Sänger, die vertonte Anti -Kriegsgedichte des englischen Lyrikers Wilfried Owen vortragen, die Totenmesse ist für Sopransolo und Orchester komponiert und als drittes Element soll ein nur von einer Orgel begleiteter Knabenchor für das „Mysterium von Unschuld und Reinheit“ stehen. Das ganze ist eine Gemeinschaftsproduktion zwischen dem baltischen Symphonieorchester, dem Bremer Brahmschor und dem Knabenchor „Pueri Cantores Olivensis“ aus der Nähe von Gdansk. Bei dem Gerangel um die Gesamtleitung des Werkes hat sich der deutsche Dirigent Joshard Daus gegen die beiden polnischen Kollegen durchgesetzt, die sich mit Chor und Kammerorchester beschei

den müssen. Der Aufführung lauschen mehrere tausend Menschen.

„Einer der Höhepunkte in der Geschichte der Städtepartnerschaft“, meint Kultursenator Franke anschließend beim Empfang, den Gdansk und Bremen gemeinsam ausgerichtet haben. Als einen absoluten Tiefpunkt der Partnerschaft empfinden viele SängerInnen des Bremer Chores diesen Empfang. Denn hier, im Ratskeller von Gdansk, haben die Bremer SängerInnen nach der polnisch-deutschen Coproduktion in der Kirche das Alleinvertretungsrecht: Weder das polnische Orchester noch der Knabenchor waren eingeladen worden.

Holger Bruns-Kösters

Leben in Gdansk - Bilder aus einer polnischen Stadt, Samstag in der Bremen-taz.

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