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30. Jahrestag der Landshut-EntführungEine Entführerin – selbst verführt?

Das Bild ging um die Welt: Souhaila Andrawes, blutüberströmt, auf einer Bahre liegend, reckt die Finger zum Victory-Zeichen. „Kill me, kill me“, ruft sie dabei.

„Kill me, kill me“ Bild: ap

Die auf der Bahre weggetragene Entführerin Souhaila Andrawes bittet um ihren Tod – und überlebt als einzige der Entführer der „Landshut“. Die Lufthansa-Maschine wurde vor genau dreißig Jahren, am 13. Oktober 1977, auf dem Flug von Mallorca nach Frankfurt gekidnappt.

Heute lebt Souhaila Andrawes, inzwischen 54 Jahre alt, im Osten Oslos. Über die Vergangenheit möchte sie nur ungern reden. „Es verursacht zu viel Schmerz“, sagte sie diese Woche der taz. Ein seltsamer Satz, denn schließlich war sie es, die damals als Mitglied des Kommandos „Martyr Halimeh“ Leid über die 86 Geiseln an Bord der Landshut brachte.

Und über Monika Schumann, die Witwe von Pilot Jürgen Schumann, der am vierten Tag der Entführung in Aden vom Anführer des Palästinenserkommandos erschossen wurde. Andrawes – ihr Kampfname war Soraya Ansari – wurde von den Entführten als hart und herzlos beschrieben. Co-Pilot Jürgen Vietor erinnerte sich in einem Interview vor einem Jahr: „Sie war die Brutalste, schlug die Geiseln, fesselte sie extrem stramm und übergoss sie mit Alkohol – damit sie besser brennen.“ An Bord nannten die Geiseln Andrawes „die Dicke“.

Andrawes selbst wird bei der Erstürmung der Maschine durch die GSG 9 am 18. Oktober 1977 in Mogadischu angeschossen. An Lunge und Beinen wird sie schwer verletzt. Die drei anderen Luftpiraten sterben.

In der offenen Kabinentür der „Landshut“ sitzt Pilot Jürgen Schumann Bild: ap

Für die Tat wird Andrawes vor einem somalischen Gericht zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Nach knapp zwei Jahren wird sie jedoch begnadigt und abgeschoben. Im Nahen Osten beginnt sie ein neues Leben, 1991 zieht sie mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter nach Oslo.

Doch die Vergangenheit holt sie noch mal ein: Auf den Tag genau siebzehn Jahre nach der Entführung der Landshut wird sie am 13. Oktober 1994 festgenommen, nach Deutschland ausgeliefert und 1996 in Hamburg zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Doch auch diese Strafe sitzt sie nur zum Teil ab: Ein Jahr später wird sie nach Norwegen überstellt, im Dezember 1999 kommt sie wegen ihrer schlechten Gesundheit frei – eine Folge der Schüsse. Seitdem lebt sie in Norwegen. Eine Zeit lang soll sie als Journalistin für die marxistische Zeitschrift „Materialisten“ gearbeitet haben.

Zwar hat sich Andrawes für ihre Tat entschuldigt, in einem Interview mit der taz sagte sie 1997: „Mit dieser Schuld kann ich kaum leben.“ Doch gleichzeitig hat sie sich immer wieder als Opfer von Umständen dargestellt, die ihr keine Wahl ließen. Als verführte junge Frau, die sich, nachdem sie in einem libanesischen Flüchtlingslager Zeugin eines Massakers wurde, der Volksfront zur Befreiung Palästinas anschloss. „Wir waren im Krieg“, sagte sie vor Gericht in Hamburg. Ihre Verurteilung in Deutschland sah sie als späten Racheakt der Bundesrepublik an, als eine ungerechtfertigte Zweitverurteilung für eine Tat, die sie schon in Somalia verbüßt habe. „Soll ich alle Schuld auf mich nehmen, weil ich die einzige Überlebende des Kommandos bin?“, sagte sie der taz vor zehn Jahren.

Unterhält man sich heute mit Andrawes, bekommt man das Gefühl, dass sie, die Täterin, sich auch heute noch ungerecht behandelt fühlt. Von der Welt, der Geschichte, den Medien, man weiß es nicht so genau. Sie verfolge die Diskussion zum Jahrestag des Deutschen Herbsts in Deutschland aufmerksam, sagte sie der taz. Und es gefalle ihr nicht, was sie zu lesen und zu sehen bekomme. „Die Welt ist immer noch auf einem Auge blind“, sagte sie. Noch so ein seltsamer Satz.

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