25 Jahre taz Bremen: Belcanto und Purzelbaum
25 JAHRE Drei Törns lang kreuzt die taz im Open-Ship-Format durch die Stadt: subjektive Eindrücke von der Geburtstags-Weserfahrt mit der "Oceana" am Wochenende
Muss die Weser nun vertieft werden oder nicht? Diese Frage gewann für die taz am Samstag unerwartete Revelanz: Statt von St. Martini, wie geplant, musste das taz.bremen-Geburtstagsschiff, die "Oceana", bei Hochwasser vom Jugendherbergs-Anleger aus zum ersten der drei Törns aufbrechen - der Martini-Anleger lag zu hoch.
Unbeeindruckt davon strömen unsere Gäste an Bord, auch der später ebenso unablässig strömende Regen hält sie nicht ab: Die taz ist eben keine Schönwetter-Zeitung und unsere LeserInnen offenbar hartgesotten. Leinen los, kräftig eingeheizt von De Fofftig Penns, den plattdeutschen Elektro-Rappern.
Die Weser muss natürlich nicht vertieft werden, wie Martin Rode vom BUND später an Bord im Interview erklärt - lediglich eine Verbreiterung würde die Wasserstände besser ausgleichen. Der Kurs der "Oceana" führte zu spannenden Orten, die uns im Zeitungsalltag immer wieder beschäftigen: Was etwa wird aus der Umgedrehten Kommode? Dazu hat nicht zuletzt Renate Heitmann etwas zu sagen, deren Shakespeare Company den Wasserturm bereits als Theaterort entdeckt hat.
Wie Company-Schauspieler Erik Roßbander mit purer Stimmgewalt das Publikum ins Unterdeck lockt, wo er mit Petra-Janina Schultz eine wunderbare Shakespeare-Szene spielt - daran können wir ModeratorInnen und Interviewer uns später nur neidvoll erinnern: Selbst mit Mikros haben wir Schwierigkeiten, die Menschenmengen akustisch zu erreichen. Am besten hört, wer auf dem Vorder- oder Hinterdeck die frische Luft genießt. Per Lautsprecher-Übertragung also kann man perfekt verstehen, was Hucky Heck über das Weserkraftwerk zu sagen hat. Und wie Bürgermeister Böhrnsen und Ulrike Hauffe, die Landesfrauenbeauftragte, über die soziale Spaltung der Stadt diskutieren - die ja mit jedem Stromkilometer flussabwärts zunimmt. Ebenso wie die statistisch gemittelte Lebenserwartung abnimmt, zumindest, wenn man von der City in Richtung Gröpelingen schippert.
Als kleiner Ausschnitt aus den am Fluss liegenden Themen der taz sprechen wir über die Zukunft von Weserburg und GAK, der Gesellschaft für aktuelle Kunst, die Umstrukturierungen bei Radio Bremen, den aktuellen Sternenhimmel und Bremen als Rüstungsstandort. Dazwischen zarte Blockflötentöne von Lilian von Haußen. Helge Tramsen vom Bremer Theater hält die Chef-Rede aus "Hauptsache Arbeit" von Sybille Berg - und liefert damit eine perfekte Vorlage für eine Diskussion über das kollektive Führungsmodell am Goetheplatz und die Zukunftspläne der Hal-Över-Reederei für eine elektromobile Sielwall-Fähre.
Irgendwann, die Sonne hat sich eben ihren Weg durch dramatische Wolkenfelder gebahnt, dringt durch die Lautsprecher eine lyrische Tenorstimme, eine wunderbare Grammophon-Caruso-Stimmung entsteht. In Wahrheit singt natürlich, im Zwischendeck, Luis Olivares Sandoval vom Bremer Theater. Und dass ein kleiner Junge munter vor ihm Radschlag übt, verortet die Szene auf einem taz-Schiff - als Meltingpot von Belcanto und Purzelbaum.
Während in der Bug-Lounge das Theatrium spielt, diskutiert die an Bord gesprungene Berliner Chef-Redakteurin mit Ehemaligen und taz-Urgesteinen über die mediale Zukunft. Die Erinnerungsecke füllt sich - und beeindruckend ist es schon, wenn einem die Leute guten Tag sagen, über die schon in der Vorabausgabe der taz bremen vom 10. 07. 1978 (Titel: "Bald gibt es eine linke Tageszeitung") berichtet wurde.
Schwierig, in all dem Trubel den Überblick zu behalten - weshalb der sehr subjektive Radius dieses Textes unmöglich alle Acts und Ereignisse an Bord würdigen kann. Varia Linnéa Sjöström, ebenfalls vom Theater, bezaubert mit finnischen Tangos, die Ramenoes mit ihrem Osterdeich-Song. Flowjob und Dad Man Horse Experience sollen großartig gespielt haben, ebenso Egon Rammé und Frauke Wilhelm aus der neu belebten Waller Hafenszene!
Die Streichholzschachteln mit den Wünschen für die nächsten 25 Jahre taz bremen kamen an, verteilt von den Jungen Akteuren, der Moks-Theaterschule - und sie stimmen zuversichtlich! Die taz als "Bremens andere Seite" wird auch in Zukunft präsent sein.
Ein großer Dank an all unsere Gäste, an die Organisatorin Susanne von Essen - die all dies in nur drei Wochen schaffte -, die Mitgestalter, Leser- und UnterstützerInnen - und das Hal-Över-Team.
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