: 20.00
Es gibt kein Foto, das diesen Abend erzählen würde, keinen Fotografen, der gesagt hat: „Haltet still und lächelt.“ Der Sommer war süß und klebrig. Himmelpudding. Der Tag auf der Neige. Er drehte seinen Kopf oftmals zur Sonne hin, die immer noch strahlte, ihm in die Augen hineinschaute, tief hinunter leuchtete, ihm ins Herz. Er hatte den dringenden Wunsch, dass sie unterging, und sagte: „Mensch, Mann, mach das Licht aus, großer Gott.“ Dunkel soll es werden, schwarz wie aufgeheizter Teer. Der Herr in seiner unendlichen Güte erfüllte ihm den Wunsch. Die Sonne ging unter, glutrot wie bei Capri, und ihre Fingerchen weilten pfirsischorangerosarot lieblich noch ein Weilchen auf dem elenden Sandstrand Ithaka. Bei Sonnenuntergang werfen auch kleine Menschen lange Schatten.
„Wo bin ich? Das ist nicht Ithaka. Die Berge sind blau in Ithaka.“ Auf welchem Seestück war er zu sehen? Auf jenem, auf dem das walgraue Wasser die Steine am dichtesten gegen die Küste gespült hatte. Auf dem Strandstück, auf dem Stephens Stiefel am Morgen krachend Tang und Muscheln zermalmt hatten, kritsch, krack, krick, krick. Matt schwappte das Wasser. Im Nordosten Howth Castle auf Etars alter Halbinsel, mit Flecken quietscheentengelben Stechginsters (Gelb wirkt anregend, strahlend und positiv. Na bitte!), wilder Myrte, Flächen roten Heidekrauts, Farne sowie die hängenden Gärten mit Rhododendren, Gattung Edgworthi, in Rot, Lila und Orange (Orange setzt Akzente!). Ha, da könnte doch mal so ein Maler mit seinem Pinsel wild.
Er machte es sich auf einem Felsen bequem. Frische Luft. Weg, du Kopfschmerz, elender! Quäl mir nicht die graue Substanz. Herankriechende Brandung. Funkelnde Wellen. Er ließ seine Augen umherschweifen. Najadenn.
Drei Mädchen hockten da. Cissy Caffrey, Edy Broadman und Gerty McDowell hatten sich hier, eia popeia, mit dem sabbernden Säugling Boardman und den wilden Zwillingen Tommy und Jacky Caffrey eingefunden zu Tratsch und Klatsch. Weibliches.
Tommy und Jacky waren als Blaujacken ausstaffiert, auf ihren Matrosenmützchen der Schriftzug H. M. S. Belleisle. Niedliche, herzallerliebste Krausköpfchen, die Sandburgen bauten, wie sonst nur Horst und Gabi am Teutonengrill, und diese tapfer verteidigten. So gehörte es sich für Irländer gegenüber Eindringlingen. Blaujacken, he! / Wann greift ihr an? Fürchtet ihr Ozeanstürme? / … Lasst den britischen Löwen brüllen, zahnlos fletschende Sphinx. Wühlten die Blagen nicht im Sand mit Schäufelchen und Eimerchen, spielten sie mit ihrem dicken bunten Ball, der prompt bei ihm am Felsen landete. Er warf ihn zurück mit Ungeschick. Der Ball plumpste in eine kleine Pfütze, genau unter Gertys Rock. Da geschah es, dass sie einen Blick zu ihm hinüber wagte, sein todtrauriges Gesicht sah, fahl.
Aus dem stillen Kirchlein, Maria, Stern des Meeres, drang vielstimmiges Gemurmel: „Bitte für uns …, bitte für uns …, bitte für uns, Heilige Jungfrau aller Jungfrauen.“ Die Jungfrau Gerty dachte an diesen Burschi aus der Nachbarschaft, Reggie. Stets schlug ihr Herzilein höher beim süßen Klang seiner Fahrradklingelelingeling, war er doch der Erste, der sie geküsst hatte, halb, flüchtig auf die Spitze ihres wohlgeformten Näsleins. Reggie war jedoch ein Hemd, ihr Traummann nicht. Von diesen Kerlen aus der Albion-Kaserne war es auch keiner. Nein, deren Vögelpuppe wollte sie nicht sein, die würden ihr am Ende etwas anhängen. Ihr Traummann wäre breitschultrig, und sie würde ihn mit Pfannkuchen verwöhnen, goldbraun, puderzuckrig. Er nähme sie in die Arme und flüsterte: „Schau mir in die Augen, Kleines.“ Das Schlimmste wäre logisch die Liebe.
Gerty setzte auf Blau. Sie stand auf Blau, weil es Glück zu bringen versprach. Grün hingegen bedeutete Unglück. Dosenpfand. Titteltattel. Oh Himmel, strahlender Azur! Azzurro, so ist die Welt für mich, wenn tief ich in die Augen dir schau. Blaubeerblau. Blau, blau, blau blüht der Enzian. Kornbloomenblau. Veilchenblau (wenn das Glück mal wieder ausgeteilt hat). Lividus. Himmelblau. Blau wie der Steppmantel von Land’s End. Ultramarinblau. Blau wie die Augen von Iggy Pop. Blau wie ein Bergsee. Yves-Klein-blau. Glockenblumen glockenklar. Derek-Jarman-blau: Blau ist die unendliche Liebe, in die der Mensch eintaucht, es ist das Paradies auf Erden. Blau wie die zarte Liebe in Tagen des Rittersporns. Blau wie die über den Bildschirm flackernden Interferenzstreifen. Waschwasserblau. Kaltblau wie im Buch Nichts als Gespenster. Nachtblau. Nein, nein und nochmals nein! Lichtblau natürlich wie das lange Gewand der weisesten, ehrwürdigen, lobwürdigen, gütigen, getreuen Jungfrau, Kirchenvulgär vom Italiener, dem gerissenen.
Gerty, die kein Hungerhaken war und deren Madonna Mode hieß, war schön garniert, doch nicht in einem Hasi-und-Mausi-Look für Girlies mit Hochadrenalingefühlen, nicht in den In-Farben eines stündlich wechselnden Lifestyles. Keine schiefen Nähte, vergurkte Passformen, abspringende Knöpfe. Meeresrauschen gehört zur Sonne. Wer Klassik mag, trägt Marineblau. Marine bleibt. Für alkyonische Tage. So hatte es gestanden in Poppy’s Paper oder in Florrie’s Paper, geziert-gallertig-marmeladig quoll es aus beiden. Schlüpferei hoch drei. Chicklit. Gerty hoffte, einen König fürs Nachtkastl zu kriegen, aus den Heftln, in denen sie nachlas, wohin sie führte, die Liebe. Ihr dreiviertellanger Rock (der kurze Bleistiftrock lag noch nicht im Rennen) war marineblau, auf Schritt geschnitten. Wer hat eigentlich gesagt, dass nur Models straffe Kurven haben? Ihre Bluse – das V reichte vielversprechend bis zur Teilung – hatte sie mit Dolly Dye eigenhändig gefärbt, elektrisch-blau (weil eine Love-und-Sex-Seite oder sone Tageszeitung es zum Trend erklärt hatte). In ihrer Brusttasche steckte ein Wattebäuschchen, parfumgetränkt. Magnetism. Blue di La Perla. So etwas. Un gesto sempre nuovo che ha il profumo dei tuoi gesti d’amore. Ihre neckische Kopfbedeckung war mit einem eisblauen Untersaum verziert. Das Hütchen saß auf ihrer dunkelbraunen Pracht, welligwalligwelwelwellig Haar. Kein Polymer musste sich um eine Reparatur strapazierter Strähnen kümmern. Ihr Gesicht war griechenlandweiß, seifenglatt ihre Haut. Sie wurde niemals so goldbroilerbraun wie die gackernden Mädels, die im Solarium an der Kasse arbeiten. Wenn alles auf knallbunt macht, ist Leichenblässe der letzte Schrei. Wahre Glücksgefühle bescherte Gertys makelloser Haut, auf der keine Knitterfältchen und erst recht keine tiefer sitzenden Mimikfalten zu sehen waren, das Cremegel mit dem Wirkstoff Criste Marine, gewonnen aus Küstenpflanzen, die auf felsigem Boden wachsen, vervollkommnet durch Essenzen des blauen Mohns aus dem Himalaja. Blauer als der arschiatische Mohn waren Gertys Augen, vom blauesten des Smaragdgrüninselblaus, Wimpern bis zum Himmel, mit einem glamourösen Schwung, der die Schwerkraft herausforderte.
Mochten Naomi Campbell, Angie Everhart und Daniela Pestova sich später in Dessous räkeln, Gerty war ihnen voraus mit ihrem Faible für Untersachen. Nainsook, bestickt, neueste Reizmode, keine Frotteeschlüpper, Liebestöter. Ci sono tentazioni a cui non puoi resistere.
Die weißarmige Gerty blickte aufs Meer hinaus. Und während sie so hinausblickte, pumperte ihr Herz. Sie spürte, dass der an diesem Felsen lümmelnde Fremdling, der Herr in Schwarz, der dort hinten von Sandymount Green gekommen war (er ist uns, aber nicht Gerty bekannt – es ist Poldy Bloom), ihre Jugend begehrte, in der von Androgenen und Õstrogenen bestimmten wahllosen Bereitschaft, es mit irgendeiner zu treiben. Seine dunklen Augen brannten in sie hinein. The Way of a Man With a Maid. Er hatte sein loses Vogerl schon lange in keinem Schachterl mehr bestattet, an die Tür seiner Molligen getrommelt ohne Abspritz, vorzeitig kahl von Selbstbefleckung. Er war kein in Marmor gemeißelter Hellenengott, kein Cuchulainn, und sie konnte nicht erkennen, ob er eine Adlernase hatte oder was sonst für ein Riechorgan. Dreimal glückselig dein Vater und die gebietende Mutter, und dreimal glückselig deine Brüder! Ganz gewiss strahlt ihnen das Herz um deinetwillen immer in froher Laune, wenn sie ein so blühendes Reis zum Reigentanz antreten sehen. Jene aber ist vor allem andern im Herzen am glückseligsten … Blooms innerer Monolog wurde jäh unterbrochen von der Litanei Unserer Frau von Loreto: „Zuflucht der Sünder, Du Trösterin der Betrübten …“
Gerty malte sich die Szene im Gotteshaus aus, die hell erleuchteten Buntglasfenster, den Blumenschmuck, die Kerzen, weißtropfig oft, sowie die blauen Fahnen der Schwesternschaft der Seligen Jungfrau. Bloom dachte über die Kirchenbesucher nach: „Temperenzler, vom Proleten bis zu dessen Schinder, die sich jahrelang die Nase begossen hatten, knieten zu Füßen der Unbefleckten und ließen die Predigt und den Segen des Allerheiligsten Sakraments über sich ergehen, von so einem, wie heißen die doch gleich? Pädarrest. Kinderschänder, Schnapsnase vom Messwein, Geplärr: ,Reiht euch ein, und aus euch Säufern werden Gottessöhne.‘ Der ihr Vater hat doch sicher auch die Nase tief in den abscheulichen Absud und dann die Hand wider die Frau.“ Der Wind trug den duftenden Weihrauch und ihre Flehfetzen herüber: „Du Königin der Bekenner …“ Und alsbald hörte Bloom: „Tantum ergo sacramentum … Genitori genitoque / Laus et jubilatio, / Salus, honor, virtus quoque / Sit et benedictio! / Procendenti ab utroque / Compar sit laudatio!“
Gerty sah, wie er an seiner Uhr herumspielte. Bloom sah, dass sein Chronometer stehen geblieben war, just zu dem Zeitpunkt, als Blazes Boylan wohl seine Molly rasch drannehmen würde. Ob der unverschämte Freier ihr es machte, wie das Schwein es mit der Sau macht? Er wird sie nehmen, und das nicht nur einmal und nicht nur in der zarten Eindringlichkeit ihrer Briefe, sondern mehrmals und auf immer gröbere Weise. Er wird sie in seiner Lust weit auseinander reißen, als wollte er sie ans Kreuz schlagen. Kein Schmusewollesex. Sie hatte einen jede Hose zur Höchstform bringenden Hintern (der hier, wie auch im Schundroman, nichts zur Sache tut).
Bloom sog mit der Nase die Luft tief in sich hinein, zur Witterung. Seine Hand fuhr in die Hosentasche; seine von Gott gegebenen Geschenke stiegen in ihm hoch und wollten ausgespuckt werden. Wärme überschauerte ihn sanft. Er wälzte sich im Sehnsuchtsschlick, betete mit leidenschaftlichem Blick Gertys Schrein an. Der Chor sang Laudate Dominus omnes gentes. Bloom zupfte an seinem Naturdildo; die Adern im Unterarm und in der Hand schwollen an wie bei einem Tennisspieler, sie bildeten Hügel und Täler, und letztes Aprikosensonnenlicht floss darüber wie Milch im Paradies.
Gerty spürte jenes seltsame Prickeln in ihrem Korsett, Weißes von Augen wurde ohnmächtig. Er sah, wie Gerty sich zurücklehnte, die Lider zuklappte, aber darunter schien es hoch herzugehen, wie bei einem Albtraum. Ihr schwellend gewölbter Leib. Süße der Sünde. Ihr ganzes kleines Mädchenweiß rauf konnte er sehen, die Strümpfe durchsichtig. Mit der Transparenz ist das so eine Sache. Keine Bravmieze jetzt. Fleisch gab sich hin, Leichenfarb wurde getauscht gegen Wangenrot. Im Kirchlein verstaute der Kanonikus das Gesegnete Sakrament und verschloss fest die Tabernakeltür. Auf dem durchsickerten Sand kein Laut außer Schnaufen und Keuschen. Tableau. Blicke. Rosenknospenmund. Lippenlecken. Haarewerfen.
Plötzlich war der mit Wolken behangene Himmel vom Zischen und Krosen eines Feuerwerks durchzogen. Jacky schrie: „Da oben, da oben!“ Böllern erbebt die Bastion. Papphüllen barsten, Funken sprühten, prächtige Fäden fielen herab auf die Erde und verdarben.
Ah!
Bloom kam in einem Strahl, der ihm das Sonntagshemd vollsaute, wie die Rotze zuvor Baby Boardmans Lätzchen, ihn mitriss, bis er jäh vor sich selbst zu stehen schien, die Blüte keimender Zuneigung welk im Nu. Das kannte er. Während die Ausdehnung nach Spinoza als Attribut der Substanz gilt, gehört die Dauer nicht zu ihrem Wesen. Ein unterdrückter Schrei. Sie wohl auch; nass. Ein scheuer Vorwurf. Die Fledermaus, die durch die graue Luft huschte, auf und nieder immer wieder, würde ihr Geheimnis wahren. Bloom richtete das nasse Hemd, zerrte es in die Trauerhose. Dann gingen sie in unterschiedliche Richtungen auseinander, drehten sich noch einmal um, beide für sich, dem anderen entgegen, und der Moment passte zufällig genau, und ihre Blicke trafen sich noch einmal zum Abschied, beinah heftig.
Er blieb eine Weile stehen, schaute ihr nach, atmete tief und wischte sich die Hände am nassen Hemd ab. Pah, Mädchen. Da kommen sie daher, laufen den Strand herunter in ihren Stiefeletten. Ihre Kleidung verrät mehr von ihrer Unterwäsche, als sie verbirgt, ihre Unterwäsche verrät mehr von ihrem Körper, als sie verhüllt. Der Büstenhalter erinnert an ein Fenster, kaum an züchtige Bedeckung. Die Farben ihrer Kleidung sind gewagt, die Muster noch gewagter, die Stoffe ausgefallen, die Dessins noch ausgefallener – insgesamt ein Stil, der frech und kühn, überspannt und frivol, theatralisch und ins Auge springend, der vor allem unverhohlen sexy ist, ein Stil, dem nur das Wort exzentrisch gerecht wird, der aus dem entstand, was man in Boutiken sah, in Stunden vor dem Spiegel experimentierte, der das Bedürfnis verrät, das vorgestellte Image zu entdecken. John, der alte Holmes, kennt sich da aus, hätte fast mal seine Cousine angequatscht, weil er sie nicht erkannt hatte.
Dann muss man ihnen einen ausgeben, was darf’s denn sein, ein Kaffee vielleicht, oder lieber ein Likörchen, wollen wir uns setzen, wie geht’s denn so. Manchmal kann man sie ja gleich abschleppen, muss man nicht viel reden. Einfacher ist’s auf dem Monto, Montgomery Street, zahlt man, und bums, sie müssen machen, was man sagt. Das Mädchen an dem Abend, sie hat die ganze Zeit an jemanden gedacht, ich war es nicht, ist mir doch egal. Meyer, so hat sie mich genannt. Als wenn ich irgend so ein Kuno wäre.
Goll Mena auf dem krummen Klepper, wie eine Henne in der Kirche, ein efeuumgarnter Baum, einer, der eine Speiselast auf nackter Gabel trägt, ein kümmerliches Fassgetränk, einer, der beim Trompeten die Handhabe zerbricht, ein Steuer aus weichem Holz langsamrudernder Schiffe, der Spottvogel der Gesellschaft bei der Dachsjagd, ein krummarmiges Weib, zu jedem Stelldichein bereit.
Molly hatte ihr erstes Stelldichein mit 15, vergisst sie nie, ihr Leutnant Muldoon küsste sie auf die Lippen. Dort, in einem Winkel des Stechginsterfeldes, dort, wo die Disteln blühn, stand sie wie in Bethlehem, eines Nachts im Jahre dreiund- oder vierundfünfzig. Das Mädchen, über die geteilte Tür gelehnt, sah die Kühe knien und kniete selber hin. Ach Paul, seufzt sie jedesmal, wenn sie davon erzählt, und kann den Stechginster fast riechen.
Die Mädchen vom Sandymount-Strand, die kann ich riechen, die Seebrise weht ihren Geruch vom azurblauen Meer in meine Richtung. Ist es doch Ithaka? Wie sie an mir vorbeiläuft und so tut, als ob sie mich nicht bemerkt, dabei sieht sie alles mit ihren blauen Augen. Jetzt bleibt sie am Rosenstock stehen und bückt sich. Sceitheadh síl idir a dhá cíoch - pógaim do bheola milis an deoir ghoirt ar an dteangain againn. Samenexplosion zwischen ihren Brüsten ich küsse deine Lippen süß die Salzträne auf unserer Zunge. Die Rundung ihrer Brüste. Cíochbheart earra áiféiseach go gcurireann tú ort é. Büstenhalter lächerliches Objekt bis du es anziehst. Meine Güte. Was für ein Tag. Ist allerhand passiert.
Sagt Hamlet zu OpheliaIch mal ein Bild von dir Welch Stift soll ich benutzen 2b or not 2b?
Der kleine Milligan ist auch schon erwachsen. Hat nun wenigstens seine eigenen Hosen. Wie hat er es gehasst, wenn er die abgelegten Klamotten vom älteren Bruder bekam. Hier Spike, da Spike, haste ’ne Jacke und ’ne Hose, seh’n aus wie neu, sag danke zu deinem Bruder. Danke fürn Aasch. Jetzt säuft er sich abends immer die Hucke voll, kommt wie ’ne Natter nach Hause, legt sich grunzend neben seine Alte, die auch nicht grad ’ne Schönheit ist. Komisch, die Kinder sind ganz passabel, minus mal minus ist plus. Die schicken sie dann auf die Klosterschule, zu den Nonnen und Pfaffen, die Leute aus ihnen machen sollen. Manche Frauen sind ja hinter ’nem Pfaffen her wie der Teufel hinter ’ner armen Seele. Die erkennen einen Gottesmann am Geruch, selbst wenn er Zivil trägt. Wollen ran, an den Archidiakonus Paul G. Gib mir und allen denen, die sich von Herzen sehnen, nach dir und deiner Hulde, ein Herz, das sich gedulde. Hängt wohl der Weihrauch drin in seinen Klamotten.
Und bei Frauen das Parföng. Zieht einem in die Nase, und man muss rubbeln. Auauau, die Hose ist immer noch nass. Molly habe ich immer am Geruch erkannt, rauchige, ledrige Noten, Sandelholz, aber auch Kirsch- und Veilchennoten. Lakritze, Nougat, Pflaume, Laugenbrezel, Jod, Heu und Kräuter. Im Nachhall von intensiver Frucht begleiteter Fluss. Manchmal aber auch anders. Neulich, als sie die Treppe raufgeht, schreit sie: Igitt, stinkt’s hier nach Fisch. Musst eben kleinere Schritte machen, sage ich.
Von drüben in Howth strahlt der Leuchtturm. Die Azaleen und Fuchsien, vor fast dreißig Jahren im Burggarten von Bondy angelegt, blühen jetzt. Vom zartesten Rosa, über verlockendes Himbeerrot, bis hin zum königlichen Purpurton und dem dramatischen Violett. Dazwischen ein Dolmen aus der Steinzeit: Aideens Grab. Sie starb aus Trauer über den Tod ihres Gatten. Hinter Ireland’s Eye geht die Sonne unter. The Garland of Howth.
Links der Turm des O’Brien. Und zur Rechten? Monströse Arroganz: ein mächtiges Schulterblatt aus Granit, weit ausschreitend, sein Überrock aus Stechginster und Farnkraut in ernste Reihen von Kiefern, Rottannen, Föhren und Rosskastanie gebettet, daran anschließend feine Büschel vom schlanken, säuberlichen Eukalyptus – das Ganze ein Trugbild aus sanft bewegten Blättern, ein Gemisch aus Licht, Farbe, Dunst und sehr viel Luft, ein Wunder, reich an Versionen, Verdüren, Vertikalen, Vertizillaten, Vertiginosa, im Schatten der Äste sogar vespertin. Ro, so wohlt es in mir.
Die dicke Trine sitzt im Sand. Möchte man Sand sein. Aber Sand ist zu nichts zu gebrauchen. Lieber ’ne Bank im Frühling vor Bewley’s, Kaffeekränzchen, da sitzen sie wie die Perlen aufgereiht. Wie Molly damals, war auch Juni.
Mr. Blooms Gedanken schweifen ab. Doyle’s Corner. Er war überwältigt gewesen von ihr und ihrem Schlafzimmer, als sie ihn von seinem Posten draußen vor dem Haus zu sich gerufen hatte; der Teppich, das Bett, dieses prachtvolle Gebirge von Frau, das Haar, das für fünf oder sechs Frauen gereicht hätte, das andeutungsweise Fremdländische in ihrer Redeweise, der Pfefferminzgeruch, der ihn von ihrem Mund her anwehte. Wie etwas Monumentales hatte sie sich in dem Bett da bewegt.
Vorher aber einen guten Eindruck machen. Mollys Vater, der Leutnant, trank gerne. Die Mutter lud junge Männer zum Kartenspielen ein, damit sich die heranwachsenden Töchter nicht draußen rumtreiben mussten, um einen kennen zu lernen. Warten, dass die jüngeren Geschwister und die Mutter endlich ins Bett. Ein bisschen rumknutschen, dann ohne Erleichterung nach Hause geschickt. Ist lange her, 1887 war’s. Später kam Milly, im Krankenhaus, bei Doktor McCabe. Nachts lag sie verkrampft wach und betrachtete den Mond vor dem Schlafzimmerfenster. Langsam ging ihr auf, dass nichts mehr so sein würde, wie es gewesen war. Sie hatte sonderbare Träume. Sie sah sich in den Steigbügeln des Gebärstuhls, um sich herum Ärzte in weißen Kitteln, die an ihr sägten und etwas aus ihr herauszogen. Sie spürte, wie sie ihr einen sich krümmenden Leib entrissen, und als sie hinabschaute, sah sie den grotesken Schädel eines Teufels.
Ein Kind, das in der Nacht geboren wird, hat die Gabe, Geister und Feen zu sehen, und wenn es Glück hat und genau um Mitternacht auf die Welt kommt, ist es intelligent und wird vielleicht mal Dichter oder sonstwas. Ist die Geburt aber am Pfingstmontag, wird das Kind später ermordet oder zum Mörder. Deshalb zerquetschen die abergläubigen Weiber einen Wurm in der Hand des Babys, damit es das Töten schon mal hinter sich hat.
Jetzt strömen sie wieder wie die Ratten zum Pädarresten, der ihnen ihr Mantra verpasst. Hail Mary. Hail Mary. Hail Mary. Die alte Annie wurde immer böse, wenn sie Fremde in der Nähe vom Friedhofseingang begraben haben. Die bekommen die Gebete ab, die Passanten achtlos beim Vorbeigehen für die Toten sprechen. Sie grabschen die Gebete den Einheimischen, die weiter hinten liegen, vor der Nase weg und kommen schneller in den Himmel. Na, Dignam kommt sicher auch nach hinten. War ’ne traurige Feier. Wenn einer schläft, sieht man manchmal, wie die Seele als kleiner Vogel aus dem Mund fliegt und morgens zurückkehrt. Was der Schläfer für einen Traum hält, hat in Wirklichkeit die Seele in der Nacht erlebt, als sie draußen war. Stirbt einer, fliegt die Seele geradewegs oben durch den Kopf hinaus: log an bhaitis.
Da läuft wieder die Rothaarige am Strand vorbei. Rot wie Feuer, die alten Kelten. Unheilvolles Vorzeichen. Ein Seemann kehrt um, wenn er auf dem Weg zu seinem Schiff ’ner Rothaarigen begegnet. Vielleicht, weil sie die Matrosen ablenken könnte, und pardauz sitzt man auf ’nem Felsen. Und muss mit der Hosenboje nach Hause. Am Horizont die Liverpool-Fähre. Die Männer kommen nicht mehr wieder, bauen den Engländern ’ne Eisenbahn. Glückselig, wer in seinem langgespitzten Schiff mit seinen Herzliebsten hoch und stolz dahinfährt, von seinem Heimatsitze geschieden. Meyers disiecta membra einer untergegangenen Kultur.
Schon neun Uhr, fürs Kino zu spät, besser nach Hause. War ein langer Tag, erinnert an Rosaril, an den Sommer bei Stuart. Seltsame Gedanken, längst verblichene Hoffnungen und Wünsche geisterten durch sein Gehirn, als ob er noch im Schlaf wäre und träumte. Er erinnerte sich lebhaft gewisser Szenen, die nun seit Jahr und Tag immer wieder zu seiner Qual vor ihm erstanden. Eine große Ebene breitete sich vor seinen Augen, und dahinter in der Ferne viele blaue Hügel unter einem Regenhimmel.
Ein Luftballon. Hängt ein Zettel dran, scheint von Stephen zu sein. Wie kommt der aus Berlin nach Sandymount? Zu dunkel, kann’s nicht lesen, der Tag ist fast rum. Donnerstag ist ein guter Tag, um Geschäfte zu machen. Oder um Krankheiten zu heilen. Stephen geht nur donnerstags zum Doktor, wäscht und rasiert sich nur am Donnerstag. Liegt wohl am letzten Abendmahl, das Christus mit seinen Jüngern zelebrierte. War auch an ’nem Donnerstag. Lässt sich nie von ’ner Frau die Haare schneiden oder rasieren, weil er sonst seine Manneskraft verliert. Wie bei Samson und Delilah, stammt aber aus dem Nahen Osten.
Anschwellungen Abschwellungen immer noch klebrig. Gerty, Gerty. Ihr Auge ergötzender Schlüpfer, senniert er erschöpft. Was das wohl auf Urdu heißt? Damals, als McEwan im Liebeswahn war. Es gibt Zeiten, da Erschöpfung ein großes Aphrodisiakum ist, alle anderen Gedanken auslöscht, schweren Gliedern sinnlich-bedächtige Bewegung gewährt, Großmut, Hinnahme, grenzenlose Hingabe gebiert. Wie Meerestiere, die aus einem Netz geschüttelt werden, fielen wir aus unserem jeweiligen Tag heraus.
Aon, dó, trí. Drei. Die wichtigste Zahl in Irland, rund und vollkommen. Dreifache keltische Gottheit, Triaden in Sprichwörtern, drei Mal um den heiligen Brunnen. Träumt man drei Mal hintereinander dasselbe, wird der Traum wahr. Sé trí uair a trí a naoi. Drei mal drei ist neun.
Cuach Cuach Cuach
Bringt gutes Wetter, wenn man ihn hört.
Cuach Cuach Cuach
Hört man ihn mit dem rechten Ohr zuerst, hat man den ganzen Sommer Glück. Hört man ihn links zuerst, das Gegenteil.
Cuach Cuach Cuach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen