2.000 Anschläge: Nachhaltig, glänzend, fulminant und ungeheuer effizient
■ Die Kulturdeputation hat das 500.000-Mark-Loch im Theateretat geschlossen. Intendant Klaus Pierwoß ist damit durchaus zufrieden. Doch hinter Berichten und Gerüchten über die Theaterfinanzen wittert er eine Kampagne gegen sich selbst
Das Loch im Theateretat klafft seit gestern nicht mehr. Die Kulturdeputation hat Kultursenator Bernt Schulte (CDU) beauftragt, dem Bremer Theater 500.000 Mark aus Haushaltsrestmitteln zu zahlen. Nach Mitteilung von Schultes Sprecher Markus Beyer stellt die Deputation Bedingungen. Ab der Spielzeit 2002/03 soll das Theater durch „zuschussreduzierende Maßnahmen“ einen „pauschalierten Strukturreformbeitrag“ von 500.000 Mark pro Jahr bringen – mit anderen Worten: weniger Geld bekommen. Außerdem sollen aufwändige Projekte gegenüber dem Theater-Aufsichtsrat gründlicher vorkalkuliert werden. „Es hat keine Schuldzuweisungen ans Theater gegeben“, betonte Beyer.
Theaterintendant Klaus Pierwoß ist mit dem Beschluss der Deputation durchaus zufrieden. Deputationssprecherin Carmen Emigholz (SPD) hält ihn für eine faire Lösung für die ganze Kulturszene. Pierwoß will allerdings noch prüfen, ob der „pauschalierte Strukturreformbeitrag“ mit seinem Vertrag vereinbar ist. Nicht zufrieden bis stocksauer ist er aber über Worte wie Defizit und Entschuldung. Das Theater habe weder Schulden noch eine Schuld. In einem Gastbeitrag für die taz wertet er die Diskussion als Kampagne gegen sich.
„Die Wahrheit hinter den Zahlen“
Seit einer Woche wird ein explosives Gemisch von Spekulationen, Vermutungen und Vagheiten über ein angebliches Defizit im Theater-Etat publiziert. In Wirklichkeit geht es darum, mich als unbequeme und unbotmäßige Person des öffentlichen Lebens zum Schweigen zu bringen und zu demontieren: Vorgefechte, um sich für 2004 einen willfährigen Intendanten zu suchen.
Nachdem es undenkbar schwer ist, gegen die künstlerischen, zuschauermäßigen und publizistischen Erfolge des Theaters anzugehen, suchen meine Gegner nach faulen Eiern im Theater-Etat, angetrieben von dem alten Vorurteil: Künstler könnten nicht mit Geld umgehen.
Im Weser-Report (Verleger: Klaus-Peter Schulenberg, der künftig auch das Musical HAIR betreibt), wird die millionenschwere Misere des jetzigen Musicals JEKYLL & HYDE mit dem vermeintlichen Haushaltsdefizit des vehementesten Musical-Kritikers Pierwoß verglichen, wobei die Redaktion auf ihr zugespielte Aufsichtsratsunterlagen zurückgreifen kann. Dabei geht es nicht um Information und Aufklärung, sondern darum, dem Kritiker des Musicals und dem Kritiker städtischer Kulturpolitik als Retourkutsche das Odium der Misswirtschaft anzuhängen. Die große Koalition, die fraglos viel Positives bewirkt hat, ist auf Konsens ausgerichtet; ein öffentlich argumentierender und Konflikte benennender Kritiker wird in dieser Situation zum Störenfried, Nestbeschmutzer und Querulanten. Nicht wenige politische Entscheidungsträger haben mir angeraten, zu JEKYLL & HYDE doch gefälligst den Mund zu halten.
Der Theater-Etat wird sich allerdings beim näheren Hinsehen für diese Kampagne („Etat-Loch klafft weiter“ im Weser-Report) wenig eignen. Denn: Wir sind nicht verschuldet, sondern uns wird noch die Einlösung älterer Zusagen und Versprechungen geschuldet: Aus dem Jahr 1999 250.000 Mark für das Bunker-Spektakel DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT, aus dem Jahre 2000 die Zusage für die von der Stadt gewünschte zweite Sommerbespielung mit PORGY UND BESS (96 Prozent Auslastung) in Höhe von 150.000 Mark. Der Versuch, durch die Halbierung der Feuersicherungswachen in dieser Spielzeit 100.000 Mark einzusparen, hat sich im ersten Anlauf nicht realisieren lassen, was am allerwenigsten an der Theaterleitung gelegen hat. Diese Beträge machen eine Summe von 500.000 Mark aus, die den aktuellen Theater-Etat nicht belasten sollen. Deshalb schlägt der Kultursenator und Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Schulte den parlamentarischen Gremien die Zahlung dieser Gelder vor.
Dafür gibt es gute Argumente. Beispiel Bunker. Wir haben für zahlreiche Milleniums-Projekte vom Wirtshafts-Senator Hattig dankenswerterweise 1,5 Mio. Sondermittel erhalten und davon einen Teil auch für den Bunker verwendet, aber die Produktion war teurer als kalkuliert. Gleichzeitig haben DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT von allen im EXPO-Zusammenhang finanzierten Projekten die nachhaltigste Wirkung gehabt. In den letzten beiden Jahren haben wir die Aufführung 48 mal gespielt, im kommenden Sommer sollen noch einmal 20 Aufführungen folgen, die Nachfrage ist riesig. Henning Scherf im Neujahrs-Interview: „Wir haben nicht Barenboim und die Staatskapelle, aber wir haben den Bunker ... sogar aus New York reisen die Leute an.“ Diese sensationelle Wirkung legitimiert ausreichend die versprochene Begleichung der Mehrkosten von 1999.
Von aktueller Misswirtschaft im Hause Pierwoß kann also keine Rede sein. Mein künftiger Kombattant, der designierte kaufmännische Geschäftsführer Lutz-Uwe Dünnwald, attestierte der derzeitigen Geschäftsführung auf der letzten Aufsichtsratssitzung einen sorgfältigen und sparsamen Umgang mit Geld. Und nur so ist die ungeheure Effizienz erklärbar, dass wir mit unserem im Vergleich zu anderen Theaterstädten bescheidenen Etat so fulminante Funken schlagen. Stuttgart hat einen Etat von 116 Millionen Mark, Frankfurt am Main von 107 Mio., Hannover von 96 Mio., Mannheim von 68 Mio., Bremen von 50 Mio. (davon Zuschuss inklusive Orchester 44,5 Mio.). Jüngstes Beispiel für unsere Effizienz ist ein Vergleich der Fachzeitschrift OPERNGLAS zwischen zwei Theatern, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen arbeiten: „Bereits zum zweiten Mal in der laufenden Spielzeit bewies das Bremer Theater, dass es echte Alternativen zu gleichnamigen Produktionen der Hamburgischen Staatsoper bieten kann. Andrej Woron übertraf Peter Konwitschnys Einrichtung von Weills MAHAGONNY.“
Woher die Munition für die Simmungsmache gegen mich nehmen, wenn sich der Etat dafür nicht eignet? Neuerdings wird das BREMER THEATER immer wieder als überhöhte Bezugsgröße angeführt, wie schief der Vergleich auch immer sein möge.
Ein Ensemble- und Repertoire-Theater mit vier Sparten, 770 Vorstellungen, 25 Premieren, 20 verschiedenen Stücken im monatlichen Spielplan-Angebot und großen Mitarbeiter-Gruppen wie Chor und Orchester hat logischerweise eine höhere Platzbezuschussung als ein Theater, das ensuite nur ein Musical spielt. Aber es geht auch nicht um rationale Zusammenhänge, sondern um die Stimmungsmache gegen mich als die Personifikation des Bremer Theaters.
Vollends impertinent wird es, wenn die von uns erstrittenen Tariferhöhungen für die Mittelkürzungen von TANZ BREMEN herhalten müssen. Nicht zuletzt auch unserer Bereitschaft, alle Spielstätten dem TANZ BREMEN zur Verfügung zu stellen, hat dieses Festival seine glanzvolle Entwicklung zu verdanken. Durch freundschaftliche Vermietungspreise und Einnahmeverzicht an den Spieltagen haben wir dieses Festival im letzten Jahr indirekt mit 45.000 Mark subventioniert. Uns jetzt das kulturpolitische Versagen aufzubürden, ist geradezu pervers. Argumentatives Falschgeld wird in Umlauf gebracht. Denn von einem Subventionsempfänger wird Willfährigkeit und keine Unbotmäßigkeit erwartet.
Ich habe nicht nur für das Theater, sondern immer für die gesamte Kulturszene gekämpft, als es im letzten Jahr gelungen ist, das Loch von elf Millionen Mark im Kultur-Etat weitestgehend mit 9,5 Millionen Mark auszugleichen. Kriterium meines öffentlichen Handelns ist immer: Was ist gut für das Theater und für die Kultur dieser Stadt? Dabei nehme ich auch Konflikte und Gegnerschaften mit der Politik und anderen Interessengruppen in Kauf. Davon lasse ich mich auch durch gezielte Stimmungsmache und feindselige Verdächtigungen nicht abbringen. Mein Vorschlag zur Güte: Wir sollten dies gegen mich inszenierte, schlecht gespielte Schmierenstück schnell vergessen; wir müssen Bremen als Kulturhauptstadt Europas 2010 ins Visier nehmen und uns gemeinsam dafür verfechten.
Prof. Dr. Klaus Pierwoß,
Generalintendant
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