20 Jahre Brand in Flüchtlingsheim: Anschlag in Lübeck weiter ungesühnt
Vor 20 Jahren starben in der Lübecker Hafenstraße zehn Flüchtlinge. Ob Neonazis oder Hausbewohner das Feuer legten, ist bis heute nicht geklärt.
Mit einer Demonstration erinnerten am Samstag in der Hansestadt rund 600 Menschen an die Tragödie und forderten eine Änderung der europäischen Flüchtlingspolitik, damit sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt.
„Refugees welcome“ stand auf einem Transparent, hinter dem Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft durch die Innenstadt zogen. „Wir fordern sicheren Aufenthalt, Sprachkurse und Arbeitsmöglichkeiten für alle Geflüchteten, egal aus welchem Land sie kommen. Das sind wir den Opfern des 18. Januar 1996 schuldig“, sagte Maria Brinckmann vom Lübecker Flüchtlingsforum.
Die von Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) Anfang des Jahres in einem Interview geäußerten Pläne, bis zu 1.000 ausreisepflichtige Flüchtlinge abzuschieben, nannte sie empörend.
Festnahmen, aber keine Anklagen
Die genauen Hintergründe des verheerenden Brandes vor 20 Jahren sind bis heute nicht geklärt. Fest steht nur, dass das Feuer im ersten Stock des Hauses gelegt wurde. Doch wer die Brandstifter waren – Hausbewohner, wie die Staatsanwaltschaft vermutete oder Täter mit ausländerfeindlichem Hintergrund, wie vor allem linke Gruppen und Flüchtlingsorganisationen bis heute glauben – ist juristisch nie geklärt worden.
Ein zwei Tage nach dem Brand unter dringendem Tatverdacht festgenommener Hausbewohner wurde von zwei Gerichten – dem Landgericht Lübeck im Juni 1997 und dem Landgericht Kiel im November 1999 – freigesprochen. Er war in Verdacht geraten, weil er zu einem Zeugen gesagt haben soll: „Wir waren‘s.“ Im Prozess sagte er dagegen aus, er habe mit den Worten „Die waren‘s“ ausländerfeindliche Täter gemeint.
Vier junge Männer aus der rechten Szene Mecklenburg-Vorpommerns, die die Polizei noch in der Brandnacht festgenommen hatte, wurden dagegen trotz versengter Haarspitzen und Augenbrauen wieder laufen gelassen.
Vorwürfe und Vermutungen
Die Prozesse waren von Anfang an auch ein Politikum. Vor allem linke Gruppen warfen der Justiz vor, einseitig ermittelt und Beweise für einen ausländerfeindlichen Anschlag unterdrückt zu haben. Es gab mehrfach Forderungen nach einer Wiederaufnahme der Ermittlungen, die jedoch stets abgelehnt wurden. Andere Prozessbeobachter äußerten dagegen die Vermutung, die Hausbewohner hätten durch ihre Aussagen den Verdacht von der Hausgemeinschaft ablenken wollen.
Am Jahrestag des Brandes am Montag haben die Hansestadt Lübeck und verschiedene Flüchtlingsorganisationen zu einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal für die Opfer der Brandkatastrophe eingeladen. Der schlichte Gedenkstein mit den Namen aller Opfer steht gegenüber der Stelle, wo das 1997 abgerissene Wohnheim stand. Für die Hansestadt Lübeck wird Innensenator Bernd Möller (Grüne) einen Kranz niederlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier