20 Jahre Bergpartei: Aus dem Bauch des Bergs
Die „realdadaistische“ Bergpartei feierte am Wochenende ihren 20. Geburtstag. Aber die Zeit für Spaßparteien scheint langsam zu Ende gehen.
Bis zum Abend versammeln sich rund 100 Menschen auf den Holzstegen und -inseln der Floating University am Tempelhofer Feld, genießen bei Suppe und Getränk den Blick auf das algige Regenwasserbassin oder gestalten schon mal Plakate für die Berlinwahl 2026. „Alle, die dabei sind, haben einen ziemlichen Knall, und sie wissen das auch“, sagt Spitzenkandidatin Esther Borkam und lacht.
Parteigründer und -generalsekretär Jan Theiler erinnert an die Anfänge: „Gegründet haben wir die Bergpartei im ehemaligen Palast der Republik.“ Dort, wo heute das Humboldt-Forum steht, tagte früher das DDR-Parlament. Bevor 2006 der Abriss begann, bauten Künstler*innen inmitten des Palastes einen riesigen, begehbaren Berg aus Gerüsten und Plastikfolie. In dessen Bauch fand am 21. Juli 2005 die Gründungsversammlung statt – er ist gewissermaßen die Mutter der Bergpartei.
„Wir fühlten uns damals von keiner Partei repräsentiert“, sagt Theiler. Deshalb habe er mit rund 20 Verbündeten selbst eine gegründet. Ihre Gemeinsamkeit sei die Leidenschaft für „gute Slogans und Plakate“. Die Gründung im Palast der Republik habe dabei keinerlei symbolische Bedeutung gehabt, behauptet er: „Der Raum war gerade frei.“
Ganz im Sinne der „realdadaistischen“ Bergpartei: Dada ist eine künstlerische Bewegung, die sich gegen konventionelle Kunstformen und gefestigte Ideale ausspricht. Sie werden durch zufallsgesteuerte, willkürliche Aktionen ersetzt. „Ich bin ein großer Fan von Dada“, sagt Theiler. Doch seine eigene Kunst sei dafür mit ihren politischen Botschaften eigentlich zu konkret. „Deshalb nennen wir uns realdadaistisch.“
Alles selbst gemalt
Die kreativen, selbst gemalten Plakate nach Jan Theiler – das Markenzeichen der Bergpartei – hängen am Samstag überall in der Floating University. Sogar mitten im Regenwasserbecken stehen große Schilder. Sie alle sollen am Abend versteigert werden. Denn natürlich erhält die Bergpartei, deren Mitgliederzahl sich 2021 auf 169 Menschen belief, keine staatliche Parteienfinanzierung.
Nachdem sie nach der Gründung mehrfach nicht zur Wahl zugelassen wurde, fusionierte sie 2011 in Berlin mit der öko-anarchistischen Kleinstpartei „Überpartei“, um ihre Chance auf Wahlzulassung dank ausreichender Unterschriften zu erhöhen. Das funktionierte: 2021 erreichte die Bergpartei 0,1 Prozent der Stimmen. Und im kommenden Jahr schickt sie die Theaterpädagogin und Erzieherin Esther Borkam ins Rennen.
„Diese Wahl muss zeigen: Die Berliner*innen wollen etwas anderes!“, sagt Borkam. Die Bergpartei wolle nicht zuletzt Nichtwähler*innen motivieren, mit ihrer Stimme ein Zeichen gegen rechts zu setzen. Besonders wichtig ist Borkam die Einbeziehung derer, „die nicht gehört werden“. Dazu zählt sie vor allem Kinder und Ältere. „Der gesellschaftliche Zusammenhalt steht für mich an erster Stelle.“
Zwar hat die Bergpartei überhaupt keine Ambitionen, ins Parlament einzuziehen, doch sie will mit ihren Aktionen „mentale Veränderung“ bewirken. Besonders wichtig ist den Aktiven der Wahlkampf mit selbst gestalteten Plakaten. Doch auch durch den Besuch von Demonstrationen und die Unterstützung von Bündnissen für Klimaschutz und soziale Wohnungspolitik mache die Bergpartei einen Unterschied, findet die Spitzenkandidatin.
Im bunten Stuhlkreis auf einer der Holzinseln finden auch am Bergpartei-Geburtstag Diskussionsrunden statt. Egal ob es um Mieten, Kunstkürzungen oder Feminismus ging, eines fällt auf: Die zufällig zusammengekommenen Besucher mögen sich uneins sein, aber sie hörten einander zu. Bergparteiliche Basisdemokratie in Aktion.
„Wir lehnen Macht und Hierarchie generell ab“, erklärt die Bundesvorsitzende Yanachasca Laso Solari. Jeder bringe ein, was ihm oder ihr wichtig sei. Doch kann die Partei mit Denkanstoß-Plakaten und einer freundlichen Gesprächskultur den Krisen dieser Zeit trotzen?
Der russische Krieg gegen die Ukraine und die Kriege im Nahen Osten beeinflussen selbst die „Berliner Bubble“, desgleichen der Rechtsruck. Das beschäftigt auch Jan Theiler. „Die Friedenstaube wurde uns geklaut, genau wie das Wort ‚alternativ‘ und die Farbe blau“, sagt er. Für Friedensaktivisten seien die Zeiten schwer. Und die Bergpartei stelle sich ganz klar gegen „Putin-Versteher“.
Zeitenwende im Berg
Trotzdem steht in ihrem noch nicht aktualisierten Wahlprogramm weiterhin die Forderung nach dem Austritt aus der Nato. „Das war vor der sogenannten Zeitenwende“, sagt Theiler. „Heute fände das bei uns keine Mehrheit mehr.“ Spitzenkandidatin Borkam würde darüber gern noch einmal diskutieren: Sie selbst sei gegen Gewalt, Waffen und Aufrüstung. So ändern sich die Zeiten. „Als wir uns gegründet haben, gab es keine AfD, noch nicht mal die Piraten“, sagt Jan Theiler. Angesichts der vielen Krisen neige sich die Epoche, in der man Politik mit Kunst und Spaß bereichern konnte, ihrem Ende zu. Manchmal habe er das Gefühl, die Bergpartei sei ein wenig aus der Zeit gefallen. „Vielleicht wird Berlin 2026 unsere letzte Wahl.“
Vielleicht aber auch nicht. Denn wo Freude und Lebendigkeit sind, seien auch Stärke und Solidarität, findet Bundesvorsitzende Laso Solari. Und die Freude lassen sich die Bergpartei-Fans am Samstag definitiv nicht nehmen. Ausgelassen tanzen sie in den Abend und halten ihre ersteigerten Plakate hoch in die Berliner Luft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!