: 2 Tüten Elektronik
■ Schnitzlers Cassette Concert im Pudel
Ehe das Speichern und Abrufen von vorgefundenen oder „natürlichen“ Klänge in einem kompakten, digitalen Gerät namens Sampler einfach und erschwinglich wurde, wurde derlei auf anderen Wegen umzusetzen versucht. Das Mello-tron etwa war in den 60er Jahren ein analoger Vorläuferapparat, bei dem jeder Klaviaturtaste eine Endlos-Magnetbandschleife zugeordnet war, auf der sich im Prinzip jedes beliebige (kurze) Geräusch aufzeichnen ließ, um dann leiernd abgespielt zu werden.
Ähnlich, aber ungleich provisorischer ging um Mitte der 70er Jahre der Beuys-Schüler Conrad Schnitzler, Pionier elektronischer Musik und Mitglied bei Tangerine Dream diese Sache an: Mit Hilfe von handelsüblichen Kassettenrekordern, die gleichzeitig gestartet wurden, jeweils ein bestimmtes akustisches Signal lieferten und über die Lautstärkeregelung sozusagen gemischt werden konnten. Die Zahl der Geräte variierte, angeblich arbeitet Schnitzler an der Verwirklichung eines solchen Konzerts mit 1000 Ghettoblastern.
Konsequenterweise nahm er recht schnell davon Abstand, diese Aufführungen noch selbst durchzuführen, so dass seitdem eine Handvoll Berufener mit einem Koffer voller inzwischen natürlich digitaler Apparate und Datenträger durch die Welt reist, um das Konzept zu verbreiten. Wolfgang Seidel, bis 1972 Schlagzeuger bei Ton Steine Scherben und somit damaliger Proberaumnachbar von Tangerine Dream, kommt jetzt ins elektroakustische Versuchslabor am Hafen, um in kleiner Besetzung (vier CD-Player, 100 CDs) eines von Schnitzlers „Cassette Concerts“ zu geben – und somit einen Einblick in drei Dekaden von Schnitzlers elektronischem Schaffen. „Wenn man ein Leben lang ein Schlagzeug herumschleppen muss“, sagt Seidel über das leichte Equipment für diesen Abend, das in zwei Plastiktüten passt, „ein echter Fortschritt.“
Alexander Diehl
Sonntag, 22 Uhr, Golden Pudel Klub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen