2. Literaturfest München: Wo ist zu Hause, Papa?
Beim Münchner Literaturfest geht's nicht nur um Inhalte, sondern es geht ums Ganze: um eine Standortbestimmung der deutschsprachigen Literatur.
Mit Podiumsdiskussionen ist das so eine Sache. Nicht selten werden die Bühnen dabei zu einem Ort für egomane Selbstdarstellung. Gerne wird auch mal aneinander vorbeigeredet. Wenn dann noch der Moderator eine Portion Disziplinlosigkeit walten lässt, wird es oft ziemlich grausam. Gespräche entstehen so nicht, und im Publikum kämpfen die Zuhörer noch stärker als sonst gegen die Müdigkeitsäußerungen ihrer Körper.
Deshalb ist man auch bei verschiedenen Literaturfestivals und -veranstaltungen dazu übergegangen, die Aufmerksamkeit der Zuhörer allein schon durch die Wahl der Orte zu steigern: Kirchen, Sportarenen, öffentliche Toiletten und ähnlich authentische Räume müssen als Triggerorte herhalten.
Das gerade stattfindende Münchner Literaturfest hingegen macht hier auf retro. Weg von der Inspiration der Orte, hin zu den Inhalten, also der Literatur, genauer gesagt: hin zu den Autoren und zum Podium. Der Schriftsteller Matthias Politycki hatte als Kurator der Reihe "forum:autoren" ein Jahr Zeit, um sein Programm zu realisieren.
www.literaturfest-muenchen.de noch bis zum 27. 11. 2011
Eine Standortbestimmung
Nachdem sein Vorgänger Ilija Trojanow 2010 seine Kuratorentätigkeit genutzt hat, um unter dem Dachthema "lokal/gobal" das Kosmopolitische in der Literatur zu verhandeln, kehrt Politycki vor der eigenen Tür: "Die Welt auf Deutsch" lautet der politisch zunächst etwas schlüpfrig klingende Titel. Wo ist zu Hause, Papa? Eine Standortbestimmung der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur soll versucht werden - darf es ein bisschen mehr sein?
Politycki versprüht gute Laune en gros. In fast jeder Veranstaltung der Reihe "forum:autoren" ist er präsent. Egal ob als Moderator, Kommentator, Diskutant oder einfühlsamer Vor-Redner: Immer macht er den Eindruck, als komme er geradewegs von einem Wellness-Ausflug aus dem Literatur-Spa zurück. Das erstaunt, hat er doch sehr viel geschultert: Unter der Beschriftung "Backstage" sollen Literaturgroupies dadurch generiert werden, dass einige der ungefähr 50 eingeladenen Autoren in Gymnasien auftreten und dort den Deutschlehrern unter die Arme greifen.
Grüß Gott, Herr Ostermaier! Was dabei wichtig ist: Es werden hier keine lebenden Hörbücher zu sehen sein, die Autoren sollen sich nicht hinter ihrer Lesung verstecken können, sondern der Dialog von Schülern und Schriftstellern steht im Vordergrund. Make Literature, not Facebook!
Immer auf den Punkt
In der Rubrik "Klartext" wirds akademisch: an der Ludwig-Maximilians-Universität diskutieren Autoren mit Germanisten und Sprachwissenschaftlern über den Stand der deutschen Literatur. Standpunkte, Standpunkte, Standpunkte!, fordert Politycki, der durch eine strenge Zeitdisziplin bei den jeweiligen Statements alles auf den Punkt bringen möchte. Bei der Auftaktveranstaltung wurde schnell klar, dass die Reduktion auf den einen Punkt nicht zu erreichen ist: Gerade die Autoren verweigern sich dem wissenschaftlichen Zugang über klare Kategorisierungen.
Natürlich gibt es auch den literarischen Vortrag, allerdings nicht in der klassischen Spielweise. Politycki will nämlich quatschen, will die Autoren zum Reden bringen. Sowohl bei den "Prosa-Lesungen" als bei der "Samstagnachmittagserklärung" bildet er Autorenpaare, die nach einem vorgegebenem Motto oder mit allgemeinen Fragen in den Dialog treten: "Haben Sie das alles selbst erlebt?", "Ich bin doch (k)ein Berliner" oder "Der Stoff, der auf den Nägeln brennt" sind solche thematischen Kommunikationsrouten.
Und auf wunderbare Weise scheint hier etwas zu gelingen. Wenn beispielsweise der Österreicher Josef Winkler die Blutspur, die sich in seinem Werk durch sein Heimatdorf zieht, autobiografisch grundiert, wird es Annette Pehnt, die neben ihm sitzt, fast unheimlich zumute. Hat der das wirklich alles selbst erlebt?
Ichöffnung des Literaten
Bereitwillig folgen die Autoren der Vorgabe, entweder nur ein "Statement" abzugeben oder ein paar Miniaturen zum Besten zu geben, um dann über den Schriftsteller in sich sehr offen Auskunft zu geben. Man hat das Gefühl, einem seltenen Moment der Ichöffnung von Literaten beizuwohnen. Irgendwie scheint das zumeist traditionelle Ambiente beispielsweise eines Literaturhauses oder eines Theaters den Künstlern einen Schutzraum zu bieten, der ihnen das Reden über das Schreiben leicht macht.
Ob am Ende der Reihe allerdings eine Standortbestimmung der deutschsprachigen Literatur gefunden ist, darf bezweifelt werden. Zu hochgesteckt ist das Ziel, zu vielfältig sind die vertretenen Positionen, Erzählhaltungen, Formate und Themen in der Gegenwart: Die eine will von den "ganz großen Themen", der andere nur von sich erzählen, ein Dritter beides im Never-ending-DDR-Familienroman zusammenbringen.
Politycki mag das bedauern. Jedenfalls freut er sich auch darauf, nach einem Jahr als Kurator, nun endlich bald wieder selbst zu schreiben.
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