1989 zogen acht Frauen in den Berliner Senat ein. Was ist aus dem feministischen „Herzflimmern“ geworden? Haben Frauen anders Politik gemacht, welche spezifischen Probleme haben sie? Und wie könnte feministische Politik sich stärken und schließlich etablieren? Ein Gespräch mit Jutta Limbach, Barbara Schaeffer-Hegel, Dörthe Jung und Helga Foster

Frauen, macht Politik!

taz: Als 1989 in Berlin erstmals acht Frauen als Senatorinnen an die Regierungsmacht kamen, konnten Sie beobachten, ob und wie Frauen Veränderungen in der Politik bewirken – und Ihre Beobachtungen zur Grundlage einer Studie machen. Frau Schaeffer- Hegel, hat sich ein anderer, möglicherweise weiblicher Führungsstil durchsetzen können?

Barbara Schaeffer-Hegel: Der rot-grüne Senat hat nur 22 Monate regiert; lediglich zwei der Senatorinnen sind danach im Amt geblieben. Dennoch ließ sich an diesem „Experiment“ ablesen, welche Veränderungen innerhalb der politischen Kultur möglich sind und akzeptiert werden und welche Forderungen von Frauen sich einfach noch nicht umsetzen lassen.

So haben sich beispielsweise alle acht Senatorinnen dezidiert bemüht, in ihren Verwaltungen einen kollegialeren, weniger autoritären, kommunikativeren Führungsstil durchzusetzen.

Woran machte sich der andere Führungsstil im einzelnen fest?

Schaeffer-Hegel: Die meisten Senatorinnen haben sich zum Beispiel zu Beginn ihrer Amtszeit in ihrem Haus persönlich vorgestellt. Das ist sonst durchaus unüblich und passiert höchstens auf Abteilungsleiterebene. Dies hatte zwei wichtige Effekte: Zum einen fühlten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Menschen wahrgenommen, zum anderen wußten die Senatorinnen ihrerseits auch, daß sie nicht mit Aktenzeichen, sondern mit Menschen verbunden sind. Dieses Verhalten hat bei den Verwaltungsangestellten eine sehr positive Rückmeldung erhalten, selbst bei denjenigen, die aus politischen Gründen in Opposition zu der neuen Spitze standen.

Die Veränderung des Führungsstils nach innen ist also ein Ergebnis. Wie sah es mit Veränderungen für die politische Kultur insgesamt aus?

Schaeffer-Hegel: Hier hat sich – sichtbar nach außen hin – wenig verändert. Politische Kultur wird heute überwiegend von den Medien gemacht, die als reale politische Machtstruktur erheblichen Einfluß haben. Sie beeinflussen die Kommunikations- und Organisationsformen, die Zeitstrukturen, sie beeinflussen die Art, wie eine Politikerin die eigenen Karriereinteressen, die eigenen Ressortinteressen in den Vordergrund stellt.

Dörthe Jung: Was Sie zunächst als Ergebnis Ihrer Studie präsentierten, läßt natürlich jedes feministische Herz höher schlagen, weil es alle Theorien bestätigt, die besagen, Frauen hätten humanere, kommunikativere Führungsstile. Aber kann man das generalisieren? Der Berliner Senat war 1989 aus Frauensicht wirklich eine ideale Besetzung: Alle Senatorinnen in Berlin hatten ein frauenpolitisch bewußtes Anliegen. Ein Ausdruck dafür war auch das Hexenfrühstück – ein allwöchentliches öffentliches Treffen aller acht Senatorinnen im Rathaus –, das vielleicht fragil, prekär und nicht so erfolgreich war, aber dennoch ein gemeinsames Anliegen demonstrierte. Und das ist nicht immer Voraussetzung, wenn Frauen in die Politik gehen.

Frau Limbach, Sie sind eine der Senatorinnen, die heute noch in der Regierung sind. Hat sich seit der neuen rot-schwarzen Koalition in Berlin sehr viel verändert?

Jutta Limbach: Es hat sich einfach schon durch die geringere Zahl der Frauen etwas verändert. Wir sind nur drei Senatorinnen, alle von der SPD, und von daher kann man diese Frage nur mit Bezug auf diese drei Frauen stellen. Der frauenbewegte Impetus aus der Zeit des Feminats ist jetzt in dem Maße einfach nicht mehr vorhanden. Ich habe heute meine Feminate woanders. Beispielsweise in der Justizministerkonferenz der Länder, wo wir mehr und mehr Frauen sind und uns für bestimmte Themen in besonderem Maße engagieren. Das war bei der gemeinsamen Arbeit in der Verfassungskommission so, das ist aber auch so bei der Diskussion um die Frage: Benötigt unsere Gesellschaft ein verschärftes Strafrecht? Da wird deutlich, daß ein Konsens unter Frauen besteht, der über Sozialdemokratinnen hinausgeht. Das scheint mir wieder mal so ein Aufleuchten einer Politikposition zu sein, bei der ich feststelle, daß Frauen im großen und ganzen anders urteilen.

Es ist aber nicht zu leugnen, daß dieses Aufleuchten immer wieder von Finsternis überschattet wird. Dann, wenn bestimmte Vorhaben eben nicht parteiübergreifend durchgesetzt werden können. Welche Formen sind denkbar, um die parteiübergreifende Zusammenarbeit unter Frauen zu institutionalisieren?

Limbach: Das geschieht wohl am leichtesten durch parteiübergreifende Initiativen in Themenbereichen, wo Frauen eindeutig Prioritäten setzen. Sie fragen mich, wie kann man das systematisch und methodisch tun, und da würde ich immer antworten: Dafür sorgen, daß es viele Nachfolgerinnen gibt. Das ist die Gretchenfrage einer erfolgreichen Frauenpolitik. Nicht, daß man viel über Frauenpolitik spricht, sondern daß man viele Repräsentantinnen hat, die sich ihr verpflichtet fühlen.

Schaeffer-Hegel: In den USA gibt es sehr viel effektivere Methoden, um Frauen, die in Führungspositionen sind, zu unterstützen – durch sogenannte support groups. Und es gibt Trainingscamps, wo Frauen – und das ist bezeichnend – unterschiedlicher Parteien zu Workshops zusammenkommen. Das trägt natürlich dazu bei, Formen politischer Solidarität über Parteigrenzen hinweg aufzubauen. Es nimmt aber auch jüngeren Frauen die Angst, in diese Machtetagen vorzudringen.

Jung: Ich glaube nicht, Frau Limbach, daß es ausreicht, andere Frauen, zum Beispiel über Quoten, in die Politik zu holen und damit für Nachfolgerinnen zu sorgen. Das, was man so stereotyp als Männerbündelei bezeichnet, ist ja ein System. Es ist nicht nur das Sich-gegenseitig- auf-die-Schulter-Klopfen. Und Frauen müssen daneben ein gleichgewichtiges anderes System schaffen, sonst bleibt ihre Politik wirklich ein kurzes feministisches Herzflimmern.

Limbach: Eine gewisse Schwierigkeit besteht dabei noch darin, daß viele Frauen, die gerne in die Politik gehen würden, bewußt vermeiden, sich allzusehr auf frauenpolitische Themen einzulassen und frauenpolitische Netzwerke zu spannen. Für viele, die Karriere machen wollen, sind diese Themen negativ besetzt, als provinzielle Problembereiche.

Außerdem müßten Frauen ein realistisches Verhältnis zur Macht haben. Man muß bereit sein, Entscheidungen zu treffen, sich durchzusetzen. Das bedeutet auch, mit anderen zu paktieren, nicht nur mit Frauen. Das müssen Frauen als Alltagsgeschäft begreifen – und Sie wissen wie ich, daß die Frauenbewegung immer eine gewisse Scheu vor Institutionen hatte.

Helga Foster: Aus unserer Studie geht hervor: Einen lustvollen Umgang mit der Macht scheinen alle acht Senatorinnen nicht gehabt zu haben. Außerdem haben alle acht ihre Karriere nicht geplant. Alle haben es an sich, ihr Licht ein bißchen unter den Scheffel zu stellen. Alle waren Klassensprecherinnen oder gar Schulsprecherinnen...

Schaeffer-Hegel: ...und sind auf reinen Mädchenschulen groß geworden.

Foster: Da ist schon biographisch verankert, daß sie eigentlich Karriere machen müßten. Sie sind fähig, sich darzustellen, sich auszudrücken – und waren es schon als 15jähriges Kind, als Schulsprecherin. Und dennoch sind sie nicht strategisch vorgegangen. Wenn junge Frauen fragen, wie sie vorgehen sollen, muß man ihnen jedoch sagen: Plan das und zieh es durch.

Jung: Wobei Untersuchungen zeigen, daß Frauen fast immer sagen: Das ist alles zufällig geschehen. Außerdem setze ich mich damit in die Differenz, wenn ich sage: Ich will es. Das ist für Frauen eben schwierig. Denn dafür wird man nicht geliebt.

Schaeffer-Hegel: Diese Bescheidenheit, die wir Frauen an den Tag legen, ist einfach ein Ausdruck dessen, daß Frauen sich anscheinend diesen Schleier vors Gesicht halten müssen. Frauen können offenbar nicht ohne Einbußen in einem anderen Lebensbereich – in dem des Geliebtwerdens, der Anerkennung, auch von bestimmten Männern – offen und deutlich sagen: Ich will aber, ich will vorwärtskommen, ich will Professorin werden oder Politikerin.

Limbach: Außerdem mußte ich, das kommt noch hinzu, bei meinen Berufsentscheidungen ja immer wieder überlegen: Wie schaffe ich das mit Kindern? Das ist für die Mehrzahl der Frauen im Alter zwischen zwanzig und vierzig eben ein Unsicherheitsfaktor, der sie vielfach zwingt, nicht allein an ihren ursprünglichen Zielen oder Wünschen festzuhalten, sondern so zu wählen, daß sie Beruf und Kinder miteinander vereinbaren können. Unser Arbeitsleben ist bisher so gestaltet, daß Sie nicht jede Berufskarriere ohne weiteres mit Familienpflichten verbinden können. Und nicht jede Frau findet einen Mann, der sich das mit ihr treulich teilt.

Wir haben eben davon gesprochen, daß bewußte, reflektierte Unterstützungssysteme unter Frauen ein Weg seien könnten. Anne Klein, Berliner Frauensenatorin zu Rot-Grün-Zeiten, hatte ein Beratungsgremium mit Frauen aus der Frauenbewegung. Wo lagen da die Defizite?

Foster: Ich bin der Überzeugung, daß die Frauen in dieser Hintergrundgruppe überhaupt nicht solidarisch waren, sondern ihre eigenen Machtbedürfnisse und -gelüste auf diejenige übertragen haben, die ihre eigene Exponentin sein sollte, eben die Senatorin Anne Klein. Auf einmal fühlten sich eine ganze Reihe von Frauen nicht mehr als Beraterinnen, sondern als Teilhaberinnen an der Macht – und da störte eigentlich nur die Person, die formal die Macht innehatte.

Diese Hintergrundgruppe bei Anne Klein ist in einen Machtrausch geraten – und der mündete in die Forderung an die Senatorin, zurückzutreten. Dieses Durchbrechen von Distanz ist in der autonomen Frauenbewegung zum Teil ja sogar gewollt.

Limbach: Aber das ist doch ein relativ singulärer Vorfall. Vielleicht ist das Verhältnis von Distanz und Nähe wirklich nicht so richtig geglückt.

Andererseits könnte es mit der Eigentümlichkeit des Frauenressorts zusammengehangen haben. Denn ich erinnere mich nicht, daß eine der anderen Senatorinnen dieses Problem gehabt hätte. Ich weiß aber aus meiner Professorinnen-Tätigkeit, als ich Frauenprojekte unterstützt habe, daß sich ähnliche Probleme sehr schnell entwickelt haben. Sobald sich eine Frau als kompetente Führerin herausgearbeitet hatte, arbeitete der Rest der Frauen eigentlich daran, sie zu demontieren. Das ist ein Phänomen. Aber das sollten Sie nicht benutzen, um die Idee von Frauennetzwerken zur Unterstützung ad absurdum zu führen.

Jung: Für Frauennetzwerke ist dieses „Phänomen“ aber als Wissen ganz wichtig. In Berlin war es besonders exponiert, zumal Anne Klein selbst aus der autonomen Szene kam. Doch darüber hinaus wird eben deutlich, daß Frauen untereinander noch keine Struktur haben.

Bezogen auf die Fragestellung, ob sich die politische Kultur gewandelt hat, kann man sagen: So wie sich die traditionelle politische Kultur verändern müßte, damit Frauen sich darin anders ausdrücken können, so müssen auch wir Frauen uns eine politische Kultur schaffen, in der es möglich ist, Kritik an einer Frau in einer Führungsposition zu äußern, ohne sie damit gleich zu zerstören. Letztlich ist es ein kultureller Prozeß, wenn Frauen vermehrt in die Politik gehen. Wir sind allerdings kulturell nicht darauf vorbereitet, eine öffentliche Frau zu werden.

Ein Hauptproblem von Frauen ist, nicht ertragen zu können, daß eine andere Frau anders ist. Am Anfang unseres wahnsinnigen Elans nach dem Motto „Frauen gemeinsam sind stark“ haben wir uns nur als gemeinsam fantasiert. Das Gemeinsame hat aber seine Grenzen, das haben wir mittlerweile auch in dem Projekt Frauenbewegung erfahren. Ich meine, das ist der größere Lernprozeß, den Frauen im Moment machen müssen. Und ich bin da durchaus nicht nur optimistisch.

Schaeffer-Hegel: An diesem Punkt sollten wir noch einmal auf das zurückkommen, was wir von Männerbünden und Frauennetzwerken wissen. Denn dort liegen Probleme, die in biographischen Mustern bei Männern und Frauen verankert sind.

Männer können in ihren Bünden darauf zurückgreifen, daß ihnen alle nicht im Beruf verbrachte Freizeit mehr oder weniger frei zur Verfügung steht. Sie haben die Zeit und können sie nutzen, um ihre Karriere zu befördern – indem sie sich mit den richtigen Leuten treffen, mit ihnen in die Kneipe gehen oder ihre Freizeit verbringen und sich gleichzeitig massiv für ihre spätere Entwicklung Unterstützung holen.

Freizeit ist für die meisten Frauen dagegen an singuläre Familien gebunden. Frauen versorgen ihre Kinder, die alten Eltern, da ist nicht die Kapazität vorhanden, sich mit anderen zu treffen, zu bündeln und entsprechend langfristige Karrieren zu planen.

Und dann gibt es noch die frauenbewegten Frauen, die sehr häufig Singles sind und ihre Gemeinschaften – und das ist in Deutschland besonders ausgeprägt – in der Distanz zu den herrschenden Institutionen wie Familie, Universität, Partei und Politik entwickelt haben. Natürlich gibt es historische Gründe, warum gerade die deutsche Frauenbewegung so organisations- und institutionsgeschädigt ist. Erst war es Frauen verboten, sich institutionell zu formieren, und dann waren sie im Nationalsozialismus gezwungen, sich institutionell zu formieren. Seit den 70er Jahren machen sie es freiwillig eben erstmal nicht mehr.

Abgesehen davon habe ich den Verdacht, daß unsere Gesellschaft, einfach deshalb, weil Frauen diejenigen sind, die die Kleinkinder versorgen, von psychisch manifestem Frauenhaß unterfüttert ist. Dieser Frauenhaß ist bei Männern und Frauen vorhanden. Männer meiden die Konfrontation mit ihrer eigenen diesbezüglichen Problematik. Sie sorgen dafür, daß Frauen nicht häufig in ihrer Umgebung auftauchen, vor allem nicht als wirklich potente Partnerinnen. Frauen, die intensiv mit Frauen zusammen leben und arbeiten, wollen ihren Frauenhaß gar nicht wahrhaben, wissen davon oft nichts. Ihr Frauenhaß kommt häufig auf absolut unkontrollierte Weise heraus. Und da es natürlich im Grunde ein Mutterhaß ist, wird er überwiegend gegen solche Frauen gerichtet, die sich in irgendeiner Weise exponieren.

Limbach: Sie sagten, Frauen wachsen gar nicht in diesen männerbündischen Strukturen auf, lernen also all das nicht, was man lernen muß, um eine erfolgreiche politische Karriere zu machen. Aber das ist ja auf der anderen Seite gerade ihr Vorzug. Frauen in der Politik sind weitaus spontaner, werden nicht durch Routine identitätslos. Das hängt auch damit zusammen, daß wir nicht in vorgefertigten Strukturen und Verabredungen großgeworden sind.

Wenn wir alles strategisch planen und parallele Unterstützungswerke ersinnen, habe ich Angst, daß uns eine Menge von dem verlorenginge, was derzeit noch die Besonderheit von Frauen in der Politik ausmacht.

Ich habe während des Feminats festgestellt, daß Frauen sehr schwer mit der Tatsache fertig werden, daß es politische Gegnerschaft gibt. Und die gibt es auch unter Frauen. Gleichwohl muß man auf anderen Ebenen zusammen arbeiten können. Und da verfügen die Männer meiner Meinung nach über weitaus mehr Kultur. Männer können sich bis auf den letzten Nerv zerstreiten, und wenn der Tagesordnungspunkt beendet ist, sitzen die gleichen nebeneinander, als seien sie die besten Freunde. Dieser Übergang von einem kontroversen Thema, bei dem man sich zerfetzt, zu einem ganz gewöhnlichen mitmenschlichen Umgang ist für Frauen sehr schwierig.

Foster: Frau Limbach, Sie haben was ganz Wichtiges angesprochen. Das ist unser Widerspruch im Moment. Sie sagen einerseits: Klar brauchen wir eine Strategie! – und andererseits fragen Sie: Geht da nicht etwas Wesentliches verloren, wenn Frauen im männlichen System ihre Karriere planen? Doch bisher sind Frauen in Führungspositionen natürlich handverlesene Frauen. Handverlesen durch Männer.

Man erlebt das im Wirtschaftsleben, im Berufsleben und in der Politik. Frauen werden von denjenigen, die Entscheidungsgewalt haben, also von Männern, herausgepickt. Und diese wählen sich in der ersten Runde meistens Frauen aus, die genau ihren Normvorstellungen von Führungskräften, von Politikern entsprechen. Wenn Frauen Unterstützung von anderen Frauen haben wollen, und zwar eine neue Form von Unterstützung, dann müssen sie es auch sichtbar machen. Sonst werden weiterhin Männer entscheiden, welche Frauen drankommen. Und diese Frauen sind nicht zwingend diejenigen, die man braucht, um zum Beispiel frauenspezifische Kulturformen durchzusetzen.

Jung: Sie, Frau Limbach, sagten, ist ja eigentlich schade: In dem Moment, wo es zum strategischen Handeln wird, ist auch ein Verlust für Frauen drin. Gleichzeitig steckt in der Naturwüchsigkeit, die derzeit noch vorherrscht, allerdings auch viel Mangel, viel Verlust auf Kosten von Frauen. Daher denke ich, daß Unterstützungsstrukturen für Frauen keine Parallelstrukturen zu denen der Männer werden sollten. Ein wesentliches Element politischer und gleichzeitig männlicher Strukturen ist der Ausschluß von Frauen. Gleichzeitig ist in diesen Strukturen aber auch festgelegt, daß die Männer differenziert sind, dafür steht die Hierarchie. Die bändigt all das, was wir Frauen jetzt noch ungebändigt und naturwüchsig erleben und wo so furchtbar viele Wunden entstehen. Daher ist mein Anliegen gerade die Differenzierung. Frauen brauchen keine uniformen Lebensentwürfe. Sie kommen mit einer viel komplexeren Erfahrungsstruktur in die Politik, mit einer viel komplexeren Ausbildung. In unterstützenden Netzwerken brauchen wir gerade keine Anpassung, keine Adaptionsstrukturen.

Könnte es vielleicht nicht doch sein, daß hierarchische Strukturen unumgänglich sind? Wenn Vielfalt und Differenz da sein soll, aber auch gebändigt werden muß?

Jung: Das glaube ich nicht. Die autonomen Projekte haben versucht, andere Strukturen herzustellen, eben nicht mit Hierarchien zu arbeiten. Das Interessante ist jetzt, daß man beim neuen Hit, dem Lean-Management, all das wiederfindet, was alternative Projekte in ihrer Praxis ausprobiert haben: Hierarchien werden abgebaut, Verantwortlichkeiten dezentralisiert, und darin werden gleichzeitig sehr wohl klare Verbindlichkeiten hergestellt. Das ist ein anderes Modell von Führen und von Verantwortung.

Limbach: Da man in der Politik unter Entscheidungszwängen steht, braucht man einfach Hierarchien. Schon damit nicht so etwas passiert, wie Sie vom Ressort der Frauensenatorin geschildert haben. Das, was Frauen anders machen, ist nur der vorausgeschickte Diskussionsprozeß. Ansonsten dienen Hierarchien auch entschieden der Entlastung.

Schaeffer-Hegel: Bei diesem Thema befinden wir uns mitten im Zentrum des Taifuns. Denn nach meinem Erkenntnisstand hat in der Tat die Entwicklung der strukturellen Zusammenhänge in Gesellschaften – von einem eher horizontalen Geflecht über Verwandtschaftsbeziehungen in der vorstaatlichen Gesellschaft zu dem staatlichen Prinzip der Hierarchien, dieser vertikalen Organisation von oben nach unten – dazu geführt, daß die Frauen aus dem sozialen Geflecht herausgedrängt wurden. Denn die horizontalen Verknüpfungen gingen immer über Geburt und Ehe, da waren die Frauen im sozialen Netz sogar die Schaltstellen, wenn sie auch nicht unbedingt Einfluß und Macht hatten. Im vertikalen Gefüge wurden Frauen dann dem Mann zugeordnet. Hierarchien unter Männern waren immer an dem Stammbaum der Organisation festgemacht. Und die Frauen haben sich seit dieser Umstrukturierung, also etwa seit 4.000 Jahren, in diesen Hierarchien untereinander immer über ihre jeweilige Position zu dem über sie bestimmenden Mann definiert. Egal, ob als Ehefrau, Kebsweib oder Sklavin. Frauen haben sich immer über den Mann voneinander abgegrenzt. Es gab das Kriterium der Anständigkeit – also ob man nur einem Mann oder mehreren zur Verfügung stehen mußte –, und das bestimmte letztlich die soziale Position: ob als anständige Frau, nicht-anständige Frau, private oder öffentliche Frau.

Heute merken wir: Das Gleichheitsmodell unter Frauen, das der Feminismus postulierte, funktioniert nicht, weil es zu psychischen Turbulenzen und Verletzungen führt. Das andere Modell, das wir kennen, ist das hierarchische, ist das militärisch-männliche, staatliche Modell. Es ist in Organisationen wie Verwaltungen etabliert, funktioniert und trägt dort enorm zur Entlastung bei. Aber wahrscheinlich ist es für die Strukturierung von Frauenzusammenhängen auch nicht geeignet.

Was wäre die dritte Variante?

Jung: Die dritte wäre, horizontal zu denken, breiter zu denken – darin dann aber Strukturen zu verankern.

Schaeffer-Hegel: Nein, die dritte Variante, die wir auch kennen, ist, zu fragen: Welche Frau sieht besser aus, welche hat den netteren Mann, welche hat mehr Kinder, welche hat außer ihrem Beruf auch noch Familie und Kinder, und welche hat nichts? Bei dieser Variante schätzen sich Frauen über ihre Lebenszusammenhänge gegenseitig ab, und das läuft immer unterderhand. Diese Formen von Frauenhierarchien, die längst unbewußt ablaufen, sind enorm zerstörerisch, weil sie ja immer nur zum Trennen und nicht zum Zusammenfügen erdacht worden sind. Daher stellt sich uns jetzt die Aufgabe, mit diesen Hierarchien offen umzugehen und sie nicht mehr wirksam sein zu lassen. Dann bleibt die Frage, welche Art von Strukturen wollen wir anschließen? Netzwerke sind okay. Aber mit Netzwerken ist immer noch nicht das Problem der Ungleichheit gelöst, im Status, im Einfluß, im Wissen. Und wir leben in einer Gesellschaft, für die es wesentlich ist, daß es solche Unterschiede gibt.

Jung: Aber die Gesellschaft verändert sich. Das, was SoziologInnen als die dritte industrielle Revolution bezeichnen – lean-production, Verschlankung. Darin bleiben natürlich weiterhin Hierarchie und Herrschaft existent. Aber es wird nicht mehr ausschließlich hierarchisch gedacht. Bei der ganzen Frage der Umstrukturierung des öffentlichen Dienstes heißt es jetzt: Enthierarchisierung, Entbürokratisierung! Und das sind Prozesse, in die Frauen sich vehement einschalten müßten. Einfach weil sie daran ein vitales Eigeninteresse haben sollten. Frauen werden so zu Subjekten des Handelns und der Veränderung.

Das Gespräch führten Karin Flothmann und Helga Lukoschat