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1957: Sellafield–Bericht gefälscht

■ Bericht über die Ursachen eines britischen Atomunfalls vor 30 Jahren unterdrückt und durch beschönigende Version ersetzt / Konservative Regierung fürchtete um Atomprogramm

Aus London Rolf Paasch

Ein kritischer Untersuchungsbericht über das skandalöse Management der britischen Atomanlage von Windscale (heute Sellafield) nach dem schweren Reaktorfeuer von 1957 ist vom damaligen britischen Premierminister Harold Macmillan im „öffentlichen Interesse“ unterdrückt worden. Wie ein jetzt nach 30jähriger Sperrfrist veröffentlichtes Dokument beweist, entschied sich das britische Kabinett im November 1957, die Ergebnisse der nach dem schwersten Atomunfall Großbritanniens eingesetzten Untersuchungskommission nicht zu veröffentlichen, weil mit der darin enthaltenen Kri tik der gerade begonnene Ausbau des zivilen und militärischen Atomprogrammes gefährdet worden wäre. Nach dem Feuer im militärischen Versuchsreaktor von Windscale im Oktober 1987 war damals eine schwer radioaktiv verseuchte Wolke aus dem heute noch kontaminierten Turm der Anlage in die Atmosphäre entwichen. Während der Atomunfall nach offizieller Lesart kein Todesopfer forderte, sprechen Wissenschaftler und Atomkraftgegener von rund 30 Opfern, die seitdem an den Langzeitfolgen der radioaktiven Wolke gestorben sind. Der Untersuchungsbericht sprach von einem völlig „inadäquaten Management“ und „schweren technischen Defekten“ der Atomanlage. Die Autoren kamen damals zu dem Schluß, der Unfall hätte noch viel schlimmer ausgehen können und sei direkt auf Organisationsmängel bei der Aufsichtsbehörde zurückzuführen. Für die damalige konservative Regierung kam dieser Bericht zu Beginn ihres Atomprogramms zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die unerwünschte Kritik, so stellte sich jetzt heraus, wurde von Premier Macmillan vor allem wegen der Befürchtung unterdrückt, die USA könnten den Briten daraufhin die nötigen Informationen für ihr „unabhängiges“ Atomwaffenprogramm vorenthalten.

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