: 17.Juni: „Tag der deutschen Vielfalt“
Frankfurter Streit um den 17.Juni / Stadtrat Cohn-Bendit sorgt für eine „multikulturelle Affäre“ / CDU und NPD wittern „Provokationsveranstaltung“: „Deutschland wird sich durch seine ausländischen Bewohner nicht infrage stellen lassen!“ ■ Aus Frankfurt Reinhard Mohr
Frankfurt (taz) - „Ausländerherrschaft! Geh‘ doch nach Frankreich, da kannste feiern!“ riefen Stadtverordnete der NPD durch den Plenarsaal des Frankfurter Römer.
„Deutschland wird sich durch seine ausländischen Bewohner als Staat nicht infrage stellen lassen!“ formulierte der CDU -Abgeordnete Stammler unter angestrengter Wahrung der deutschen Grammatik. Micha Brumlik von der Fraktion der Grünen schließlich hielt dem Frankfurter Stadtparlament vom Rednerpult aus die 'Bild'-Zeitung vom Tage entgegen, deren zentimeterdicke Schlagzeile wieder einmal die wahre Sehnsucht der Deutschen verkündete: „Morgen endlich: Jaa! Deutschland - Balla Balla.“
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag der vergangenen Woche, wenige Stunden vor Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft in Italien, herrschte auch im Frankfurter Römer eine fiebrige Atmosphäre: unmittelbarer Anlaß: ein Eilantrag der CDU-Fraktion und eine „dringliche Anfrage“ der NPD. Dany Cohn-Bendit, Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten, hatte wenige Tage zuvor auf einer Pressekonferenz den 17.Juni - den „Tag der deutschen Einheit“ - zum „Tag der deutschen Vielfalt“ ausgerufen, der mit einem „multikulturellen Fest“ in der Frankfurter Innenstadt gefeiert werden soll.
Der CDU-Antrag forderte Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) auf, die Veranstaltung zu verhindern. Die geplante „Umwidmung“ des 17.Juni stehe im Widerspruch zum Ziel der deutschen Einheit: „Während der Widerstand im Ausland nachläßt, versuchen in der Bundesrepublik Deutschland bestimmte Kreise, den Einigungsprozeß zu behindern und zu verzögern.“ Auch die NPD fragte den rot-grünen Magistrat, ob er durch diese „Provokationsveranstaltung“ seine ablehnende Haltung zur deutschen Einheit deutlich machen wolle.
„Die Rache der Linken“
Den Ton dieser schwarz-braunen Mesalliance hatte die 'Faz‘ vorgegeben, deren für Lokalpatriotismus zuständige Herausgeber Hugo Müller-Vogg in einem Kommentar das politische Motiv entlarvte: die Rache der Linken an der „deutschen Frage“. Sie würden am 17.Juni „besonders schmerzlich“ an ihre Arroganz und ihren Traum von einem humanen Sozialismus erinnert. Deshalb werde nun, „mit Steuergeldern finanziert“, der „deutsche Gedenktag zum multikulturellen Happening“ und die „multikulturelle Affäre“ - so heißt eine in Zusammenarbeit mit CBS produzierte LP zur „Affäre“ der rot-grünen Koalition.
Daß solch leidenschaftliche Attacken gegen linksdogmatische Geschichtsverdrängung bei dem notorischen Antikommunisten Cohn-Bendit an der falschen Adresse landen, stört den Berti -Vogts-gleichen Wadenbeißer der 'Faz‘ so wenig wie seine politischen Nach-Stammler.
Es geht um Deutschland, und da hört der Spaß auf. „Wir glauben nicht, daß der fast ausschließlich populäre Zirkusspiele und Talk-Shows veranstaltende Dezernent der richtige Mann ist, eine Neubestimmung des Tags der deutschen Einheit vorzunehmen“, stellte der CDU-Abgeordnete Stammler mit todernster Miene kurz vor Mitternacht fest. Die staatliche Einheit könne jedenfalls nicht „in irgendeiner multikulturellen Vielfalt aufgelöst werden“.
Als Dany Cohn-Bendit dann zur Geisterstunde das Wort ergriff, fand das Frankfurter Provinztheater zur „deutschen Frage“ seinen break-evenpoint. Es wurde zum teach-in. Der 17.Juni, so Cohn-Bendit, seit seit dem Fall der Mauer am 9.November 1989 vom Trauer- und Gedenktag zum Tag der Freude geworden. An ihr sollten jedoch auch die viereinhalb Millionen Ausländer teilhaben, die in der Bundesrepublik lebten: „Auch die DDR-Bürger werden lernen müssen, daß in Deutschland Menschen aus aller Welt wohnen und arbeiten.“
Als der multikulturelle Dezernent am Beispiel des „9.November“ auf den rasanten Bedeutungswandel vieler Gedenktage hinwies - „Die Erinnerung an die 'Kristallnacht‘ 1938 wird von dem Tag der Maueröffnung auf die Dauer verdrängt werden“ - und daher neue Formen des öffentlichen Gedächtnisses forderte, reagierten NPD-Abgeordnete mit Hohngelächter. Die Sozialdemokraten dagegen freuten sich, als er die Wandlung des 1.Mai vom blutigen und opferreichen Kampftag zum allgemeinen Feiertag der Arbeiterklasse schilderte - Balsam für ihre strapazierten Seelen. So blieben sie bei der Stange und lehnten zusammen mit den Grünen den Antrag der CDU ab. Das „Fest der Farben“ finden statt. Noch weiß niemand in Frankfurt, welche Schlagzeile 'Bild‘ zum 17.Juni servieren wird, denn zwei Tage vorher spielt die Fußballmannschaft der Bundesrepublik Deutschland im Mailänder Guiseppe-Meazza-Stadion gegen die Vereinigten Arabischen Emirate. Unausdenkbar, wenn Lothar Matthäus‘ Schußglück gegen die Kicker aus dem Morgenland versagte. Beim Picknick im Grünen müßten dann fünf Millioenen Deutsche in 'Bild am Sonntag‘ lesen: „Nie wieder! Deutschland Balla Balla!“
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