175. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Was haben Sie denn gesagt jetzt?“
Der angeklagte FDLR-Vizepräsident Musoni beharrt auf seiner Aussage: Er habe keine Ahnung von seiner Organisation und keinen Einfluss gehabt.
STUTTGART taz | Am dritten Tag seiner Befragung durch den 5. Strafsenat des OLG Stuttgart agiert Straton Musoni, 1. Vizepräsident der im Kongo kämpfenden ruandischen Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), ganz nach dem Motto: wenn man es oft genug wiederholt, vielleicht klingt es dann glaubwürdiger.
Es ist der erste Verhandlungstag nach der einmonatigen Sommerpause, und Musoni meldet sich mit Ergänzungen zu seiner „Einlassung“ vom August zu Wort. Seit dem 5. August packt der wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Rädelsführerschaft einer terroristischen Vereinigung Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Stuttgart aus – nachdem er über zwei Jahre lang geschwiegen hatte.
Ganz deutlich wendet sich der FDLR-Vizepräsident damit in seiner Verteidigungsstrategie gegen seinen mitangeklagten Chef: FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka, der in stoischer Ruhe neben ihm sitzt, mit dem Rosenkranz um den Hals. Die Frage steht auch am dritten Tag von Musonis Aussage im Raum: Wird der Vizepräsident seinen Vorgesetzten eher belasten oder eher mit entlasten?
Hausaufgaben gründlich erledigt
Musoni ist, als er in Handschellen in den Gerichtssaal hineingeführt wird, gut vorbereitet. Ganz wie ein Schüler, der über die Sommerferien seine Hausaufgaben gewissenhaft erledigt hat. Er wirkt ausgeruht und lächelt.
In seinen zusammengeketteten Händen balanciert er zwei Aktenordner Dokumente, die er als Beweise seiner erklärten Unschuld heranziehen möchte. Dann legt er auch gleich los: „Ich hatte jetzt mehr Zeit und habe recherchiert“, erklärt er. Seine Anwältin Andrea Groß-Bölting übergibt ihm eine Liste mit Stichpunkten der Nachträge.
Akribisch bemüht sich Musoni in den folgenden Stunden sämtliche Unklarheiten, die in den vergangenen beiden Sitzungen während seiner Befragung durch den Senat aufgekommen waren, auszuräumen. Ziel: Alle Anhaltspunkte und Beweisstücke, die bislang Aufschluss gaben, dass er sich innerhalb der FDLR engagierte, kategorisch umzudeuten. Dabei widerspricht er sich ein paarmal.
Zuerst geht es darum, die Geldüberweisungen, die Musonis (mittlerweile Ex-)Frau in seinem Namen getätigt hatte, durch harmlose Umstände zu erklären. „Meine Frau kann nichts wissen“, nimmt er gleichzeitig seine Familie in Schutz.
So erklärt er die Überweisung von 100 Euro im Februar 2009 an den FDLR-Unterstützer Felicien Mbarakiza mit folgender Erinnerung, die ihm bei der Durchsicht seiner Kontoauszüge gekommen sei: Er sei mit dem Auto nach Köln gefahren, wo er damals gearbeitet habe. Ihm sei in der Nähe von Mbarakizas Wohnstätte der Sprit ausgegangen. Da sein Konto wegen den internationalen Sanktionen gegen die FDLR gesperrt war, hätte ihm sein Freund Geld geliehen. Diese 100 Euro habe Musonis Frau später von ihrem Konto zurück überwiesen.
Bei einer anderen Überweisung von 100 Euro von einem FDLR-Anhänger und Freund namens Karera gibt Musoni zu, davon 2009 Guthaben für Satellitentelefone des FDLR-Militärchefs Sylvestre Mudacumura im Kongo erstanden zu haben. Doch er erklärt: „Ich habe nie die Idee gehabt, dass Thuraya (Satellitentelefone) als Mittel benutzt werden, auch über Krieg zu reden. Ich dachte, vor Ort gäbe es andere Kommunikationsmittel“.
Er fügt schnell hinzu, er habe seinem Vorgesetzten Murwanashyaka geraten, sie sollen alle Thuraya im Kongo ausschalten, damit man sie nicht orten könne. Nicht aus Gründen der Geheimhaltung, sondern um die in der Nähe lebenden Flüchtlinge nicht zu gefährden.
„Schick doch mal Geld für Bier“
Mit ähnlichen Erklärungsmustern wehrt Musoni auch alle Verdachtsmomente ab, er habe mit der FDLR-Militärführung um Mudacumura im kongolesischen Dschungel direkten Kontakt gehabt – ein Vorwurf, das bislang nicht genügend bewiesen ist, aber für die Anklage in Hinsicht der Kommandoverantwortlichkeit von zentraler Bedeutung ist.
In einem kürzlich dem Gericht vorgelegten Telefonat zwischen Murwanashyaka und Musoni hatte Musoni angeboten, selbst mit der Führung im Kongo zu sprechen, um Murwanashyaka in seiner Arbeit zu entlasten. Jetzt erklärt Musoni: Murwanashyaka hätte ihn gewarnt, dass er ohnehin keine Informationen erhalten würde und es deswegen „keinen Sinn“ mache, anzurufen. Daraufhin habe er auch nicht angerufen.
Auch in dieser Erklärung gibt Musoni den unwissenden Politiker, der laut eigener Aussage keinerlei Einfluss auf die Militärs vor Ort habe. Bei einem weiteren Telefonat zwischen Deutschland und dem Kongo habe er nur eine Minute lang einen alten Schulkameraden gegrüßt. „Schick doch mal einen Betrag für eine Flasche Bier“, habe dieser gebeten. „Das ist eine ruandische Art, um Unterstützung zu bitten“, sagt Musoni. Er habe aber letztlich kein Geld für Bier geschickt.
Ähnlich belanglos seien seine persönlichen Treffen mit FDLR-Präsident Murwanashyaka verlaufen, sagt Musoni. Im Jahr 2008 und Anfang 2009 hätten sich die beiden öfter in Murwanashyakas Mannheimer Wohnung getroffen, gibt Musoni zu. Er bezieht sich dabei auf eine dem Senat vorgelegte Telefonmitschrift, in welcher er Murwanashyaka angekündigt hatte, er würde ihm einen Besuch abstatten, „um über die Pressemitteilung zu sprechen“ – bislang ein Beweis, dass sich Musoni innerhalb der FDLR-Führung aktiv eingebracht hatte. Doch Musoni weist auch dieses Indiz jetzt von sich.
„Er (Murwanasyhaka) sagte, er habe keine Zeit, er müsse in die Kirche gehen“, sagt er. Getroffen hätten sie sich trotzdem. „Dabei haben wir aber nur wenig über Politik geredet, sondern mehr über Familie. Wir haben gegessen und gekocht“, so Musoni über die Treffen mit seinem Vorgesetzten.
„Erst als wir in der Haftanstalt das Lesegerät bekommen haben und ich gesehen habe, wie oft er wie viele SMS und Telefonate (aus dem Kongo) erhalten hatte, erst seitdem kann ich sagen: dann hat er mir zu wenig kommuniziert“, resümiert Musoni. „Er wollte mir die Details nicht sagen, leider, denn ich war neugierig, aber er hat es nicht für nötig gehalten“, wirft er Murwanashyaka indirekt vor. Musoni mimt ganz den ungewollt Unwissenden.
„Was haben Sie denn gesagt?“
Bei einigen aufkommenden Widersprüchen fragt der Vorsitzende Richter Jürgen Hettich dann doch noch einmal konkret nach. Hettich hält dem Angeklagten vor, bei der letzten Haftprüfung im April gegenüber dem Haftrichter gesagt zu haben: „Nach meiner Kenntnis hat die FDLR keine militärischen Angriffe zu keiner Zeit gemacht“.
Musoni: „Was bei dieser Aussage fehlt ist: ’gegen Zivilisten‘. Das hatte ich vergessen zu sagen“.
Richter Hettich: „Haben Sie denn gesagt, Angriffe auf Zivilisten?“
Musoni: „So wie ich es jetzt sage, habe ich es gesagt.“
Richter Hettich: „Was haben Sie denn gesagt jetzt?“
Musoni: „Gegen Zivilisten.“
Richter Hettich: „Gehen wir einmal davon aus…“
Musoni unterbricht: „keine Angriffe auf Ruanda und Zivilisten – das habe ich beides gesagt.“
Richter Hettich: „Dann wundert es mich umso mehr, dass das nicht so dasteht.“
Musoni: „Ich kann nichts dazu sagen.“
Richter Hettich: „Nehmen wir einmal an, Sie haben gesagt, keine Angriffe auf Zivilisten… aber Sie haben doch eine Email zu Busurungi gekriegt, warum haben Sie es nicht erwähnt?“
Musoni: „Das war kein Angriff auf Zivilisten, sondern die FARDC (Kongos Armee) hatte Stellungen in Busurungi. Dass Zivilisten dabei waren, kann ich nicht sagen“.
Bei einem Angriff der FDLR auf das kongolesische Dschungeldorf Busurungi im Mai 2009 kamen knapp hundert Zivilisten brutal ums Leben. Das Massaker ist einer der Hauptvorwürfe gegen die FDLR-Führung vor dem deutschen Gericht auf der Liste der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Fälschungssichere Stempelvorlagen
Musonis Verteidigerin Groß-Bölting schreitet ein. Nach dem Senat übernimmt sie nun selbst die Befragung, wie durch Musoni in seiner Einlassung gewünscht. Der anklagenden Bundesanwaltschaft erteilte Musoni keine Befragungsrechte.
Es klingt einstudiert, was Musoni und seine Verteidigerin an diesem Verhandlungstag dem Gericht vorführen. Durch gezielte Fragen liefert Groß-Bölting ihrem Klienten immer wieder Vorlagen, deren eingepaukte Antworten Musoni brav herunterbetet. Akribisch arbeitet er eine Liste an Beweisen ab, die seine Erklärungen untermauern sollen.
Dabei beschreibt Musoni auf Nachfrage der Richter noch einmal seine praktischen Tätigkeiten innerhalb der FDLR-Führung. Offiziell lauteten die Aufgaben des ersten Vizepräsidenten laut FDLR-Verfassung: Verwaltung, Diplomatie und Finanzen.
Als Beispiel der Verwaltung zeigt Musoni dem Gericht die von ihm angefertigten Vorlagen der FDLR-Stempel, die von den Kadern für amtliche Zwecke zu verwenden waren. Er verweist dabei auf einen Trick, wie er die Stempel durch einen absichtlich eingebautes unscheinbares Zeichen fälschungssicher machen wollte. „Eine Fälschung mit der Hand wäre eine Beleidigung an die FDLR, wir machen das professionell“, verkündet er stolz.
Diese Aussage ist relevant. Sollte die Anklage in den Prozess Dokumente einbringen, die ein FDLR-Emblem tragen - Pressemitteilungen, diplomatische Briefe, Drohungen an die Bevölkerung, Steuer-Quittungen, Mitgliedsausweise - könnte von nun an die Verteidigung in ihrer Strategie die Echtheit dieser Urkunden in Frage stellen, unter Verweis auf die Stempelvorlagen.
„Wir hatten keinen Einfluss und das wussten wir auch“
Wie bereits in seiner schriftlich formulierten Einlassung stellt sich Musoni auch am dritten Tag seiner Aussage selbst als Gutmensch dar, der bei all seinen Taten für die FDLR nur eines im Sinn gehabt habe: Menschenleben zu retten.
Vehement beharrt er auch bei Nachfragen der Richter darauf, dass er und Murwanashyaka als politische Führer der FDLR praktisch keinerlei Einfluss auf den militärischen Teil der Organisation gehabt habe: vor allem nicht auf den Generalstab der FOCA-Truppen und den hitzköpfigen Militärchef Mudacumura.
Musoni will sichj an ein Gespräch mit Murwanashyaka erinnern, kurz nachdem die ruandische und kongolesische Armee im Januar 2009 gemeinsame Operationen gegen die FDLR begannen. Musoni habe Ratschläge erteilt. Doch Murwanashyaka habe nur abgewunken: „Bezüglich der Kampfhandlungen kennt sich die FOCA gut aus, das brauchst du ihnen nicht beibringen“, habe dieser gesagt. „Das war eine Unterhaltung und kein militärischer Ratschlag an Mudacumura“, so Musoni im Gericht.
Sein Fazit: „Die Antwort von Ignace zeigte aber, welchen Einfluss wir haben, nämlich keinen. Und das wussten wir auch“.
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