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1.309 Tage Krieg in der UkraineWie Moskau ukrainische Teenager einsetzt

Die russischen Geheimdienste werben über das Internet Ukrainer für bezahlte Sabotageaktionen an. Viele sind noch minderjährig.

Schulunterricht im Keller in einem ukrainischen Dorf: Moskau versucht auch Schülerinnen für Straftaten in der Ukraine anzuwerben Foto: Evgeniy Malotetka/ap

A ls der 14-jährige Andrei (Name von der Redaktion geändert) eine seltsame Nachricht auf seinem Handy erhält, merkt er sofort, dass etwas nicht stimmt. Der Unbekannte fragt ihn, ob er etwas Geld verdienen wolle, dazu müsse Andrei mehrere Gebäude in seiner Stadt in Brand stecken. Der ukrainische Schüler lebt in Tscherniwzi – einer bislang relativ sicheren Region im Westen der Ukraine.

„Die russische Sprache hat mich stutzig gemacht. Niemand in meinem Umfeld spricht Russisch, ich habe nicht einmal eine russische Tastatur. Mir war sofort klar, dass es nicht ums Geldverdienen geht, sondern um ein Verbrechen“, erinnert sich Andrei und zeigt die Korrespondenz, die er per Screenshot aufgenommen hat.

Im Sommer 2024 begannen die russischen Geheimdienste damit, über das Internet Ukrainer für Straftaten anzuwerben. Laut des ukrainischen Geheimdienstes SBU ist jeder fünfte Rekrutierte minderjährig.

Andrei erzählt, dass er dem Unbekannten Fragen gestellt habe. Ob er Ukrainer oder Russe sei. Er habe geantwortet, dass er in einer russischen Familie geboren sei, aber in Polen lebe. Und überhaupt sei das nur ein Job.

„Er hat mich auf einen Chat mit Anweisungen verwiesen, wie man Gegenstände anzündet. Außerdem gab er mir einen Link zu einem anderen Chat, in dem Videos von Brandstiftungen als Beweis veröffentlicht werden, damit gezahlt wird. Dann schlug er vor, den Gemeinderat oder ein anderes Verwaltungsgebäude in Brand zu setzen. Mir wurde klar, dass ich die Polizei rufen musste“, sagt Andrei.

Für diese Arbeit wurde dem Teenager eine Bezahlung in Kryptowährung versprochen. Der „Preis“ liegt zwischen 100 und 1.000 US-Dollar.

über leben

Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg ein Teil ihres Alltags geworden. Trotz der Todesangst vor Luftangriffen und Kämpfen geht das Leben weiter: Die Menschen gehen zur Arbeit, zur Schule und zur Uni. Sie lieben, lachen, heiraten, bekommen Kinder, machen Urlaub. Sie trauern, sorgen sich – und hoffen auf Frieden.

„Im März dieses Jahres wurden in Iwano-Frankiwsk zwei Teenager angeworben, die sich gegen Bezahlung bereit erklärten, einen Sprengsatz herzustellen und zu platzieren. Auf dem Weg zu dem vereinbarten Ort zündete der Feind die Sprengsätze. Dabei kam ein 17-jähriger Junge ums Leben, ein 15-Jähriger verlor beide Beine und mehrere Passanten wurden verletzt. Russische Agenten rekrutieren nicht nur Kinder, sondern sie nehmen ihnen das Leben“, sagt Wassyl Bohdan, Leiter der ukrainischen Polizei, die für Minderjährige zuständig ist.

Ihm zufolge seien Kinder aufgrund ihres Alters und ihrer psychischen Verfassung am anfälligsten für eine Rekrutierung. Typischerweise handle es sich um Teenager im Alter zwischen 14 und 17 Jahren.

„Seit Jahresbeginn haben wir landesweit 75 Berichte von Kindern über Versuche von Russen erhalten, sie für Straftaten anzuwerben. „Der Trend ist derzeit rückläufig, wohl dank der Informationskampagne an den Schulen“, sagt Polizeichef Bohdan.

Kinder werden in der Ukraine hauptsächlich über den Messengerdienst Telegram, Online-Spiele-Chats und Plattformen kontaktiert. Die Rekrutierung beginnt oft mit einfachen Aufgaben wie provokanten Graffitis gegen die ukrainischen Streitkräfte. Wenn der Jugendliche diese Aufgabe erfüllt, geht der „Betreuer“ zu schweren Verbrechen über.

Andreis Fall, in dem ihm sofort Brandstiftung vorgeschlagen wurde, ist eher untypisch. Mit Screenshots von den Nachrichten ging der 14-Jährige zunächst zum Leiter seiner Schule, dann wandten sie sich gemeinsam an die Polizei. Andrei hat den Übeltäter mittlerweile blockiert.

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„Ich bin stolz, dass mein Sohn diese Situation alleine meistern konnte. Aber jetzt mache ich mir Sorgen um seine Sicherheit. Wir dachten, der Krieg wäre weit weg. Aber es hat sich herausgestellt, dass es nirgendwo sicher ist“, sagt Andreis Mutter Natalia.

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