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#110 Seitdem Polizisten auf Twitter und Facebook unterwegs sind, erscheinen vormals hartleibige Beamte wie sympathische Menschen von nebenan. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Und zugleich ein hohes RisikoWie witzig dürfen Polizisten sein?

Aus Bayreuth und BerlinPhilipp Daum (Text) und Karsten Thielker (Fotos)

Die Kameras laufen, als Hauptkommissar Heiko Mettke und Oberkommissar Bernd Elzinger ihre Messer in wackelnden Zuckerguss drücken. Mettke schneidet in eine Torte mit hellblauem Vogel, das ist das Logo des sozialen Netzwerks Twitter. Elzinger säbelt durch ein weißes F, das Zeichen von Facebook. Der Eintritt des Polizeipräsidiums Oberfranken ins digitale Zeitalter beginnt mit zwei Buttercreme-Mandarine-Torten. Die Schwester von Heiko Mettke hat für diesen Tag extra gebacken.

So erzählen es Mettke und ­Elzinger zwei Wochen später, an einem nasskalten Februartag in ihrem Bayreuther Büro. Neben ihnen stehen fünf Bildschirme, die Logos von Facebook und Twitter hängen an der Wand. Die hat Mettkes Frau gemalt. Mettke, 44, groß, schwarzsilbernes Haar und sehr blaue Augen, und ­Elzinger, 31, klein, rotes Gesicht, bilden das Social-Media-Team der Polizei Oberfranken.

Seit zwei Wochen posten die beiden über Verkehr, Glatteis, Verbrechen und ku­riose Diebstähle. Sie schreiben auf Twitter und Facebook fast dasselbe.

„Bekiffter Autofahrer in Naila.“ Daneben setzen sie ein Emoji, eines dieser gelben Kugelgesichter, das Menschen in vielen sozialen Netzwerken benutzen, um Gefühle auszudrücken oder einen Eintrag bunter zu machen. Das hier schreit.

„Rasender Pizzabote.“ Pizza­emoji.

„Über Diebe, die es auf Mandeln abgesehen haben, u. a. lest ihr in unseren Polizeimeldungen aus Oberfranken“.

An einem Montag twittern sie das Bild eines Sonnenaufgangs: „Bei einem solchen Anblick fällt der Start in die Woche doch schon viel leichter. #mondaymotivation.“ Sonnenemoji.

Und einmal posten sie eine Warnung vor einem Betrüger, der sich als Couchsurfer ausgibt. Dazu haben sie einen Mann mit Neoprenanzug und Surfbrett, der nach einem Laptop greift, auf eine Ledercouch montiert. Diese Mischung aus Informa­tio­nen und Unterhaltung hat ihnen in nur zwei Wochen 900 Follower bei Twitter und 10.000 Fans bei Face­book eingebracht.

Polizisten auf Twitter und Face­book – das hat in den Großstädten begonnen, in Frankfurt und Berlin. Aber inzwischen machen sie das auch in der Provinz. Nach Erfahrungen beim Twittern zum G-7-Gipfel in Elmau 2015 und dem Amoklauf in München, als sich Gerüchte über soziale Netzwerke wieder einmal sehr schnell ver­breiteten, gab Bayerns Innenminister Joachim Herrmann die Anweisung: Alle zehn Polizeidirektionen Bayerns benutzen künftig Twitter und Facebook. Die Oberfranken waren im Januar die Letzten. Mittlerweile zählen Experten über 200 Accounts von Polizeiinstitutionen, darunter das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei. Inzwischen haben die ersten Polizeibeamten individuelle Accounts.

Was verspricht sich die Polizei davon?

Berlin, 1. Mai. Kriminal­oberkommissarin Monique Pil­grimm öffnet ihr Lunchpaket. Sie bedient heute den Einsatzkanal der Berliner Polizei bei Twitter und gleich beginnt in Kreuzberg die „Revolutionäre 1. Mai Demo“. Sie sitzt in einem großen Raum, hohe Wände, abgewetzte Dielen. Ständig piept das Einsatzprotokollsystem der Polizei, oft klingelt das Telefon, meistens ist es der Führungsstab.

Der sitzt eine Etage über ihr. Im zweiten Stock des Polizeipräsidiums Berlin drängen sich 35 Leute in einem Glaskasten zwischen Bildschirmen und Funkgeräten. Sie koordinieren über 5.000 Polizistinnen und Polizisten.

Twitter ist für sie ein Arbeitsinstrument. „Einsatzmittel“ heißt es im Polizeijargon. Bei Demonstrationen, bei Amokläufen und Terrorattacken wollen die Beamten bestimmen, welches Bild sich die Menschen von der Lage machen. „Gerade bei Einsätzen verbreiten sich Gerüchte. Dem muss man entgegentreten, sonst gibt es Panik“, sagt Stefan Jarolimek. Er ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster und erforscht, wie die Polizei soziale Medien benutzt: „Beim Amoklauf in München war am Ende jeder Sektkorken ein Schuss. Und wenn Journalisten unter Zeitdruck arbeiten, kommt es durchaus zu Falschmeldungen.“

Während über Facebook vor allem direkt mit der Bevölkerung kommuniziert werde, richte sich Twitter verstärkt an Journalisten. „Dort sind nur 6 bis 7 Prozent der Internetnutzer“, sagt Jarolimek. „Aber gerade im Einsatz erreicht man viele Multiplikatoren.“

In seinem Glaskasten im zweiten Stock autorisiert der Führungsstab am Abend des 1. Mai „taktische Tweets“, bevor sie ins Netz gehen. Taktische Tweets sind die, die Polizei­taktik betreffen. Ein Beispiel: „Unser #Hubschrauber verschafft sich jetzt einen Überblick über das #Myfest und die Verkehrslage in #Kreuzberg. #b0105“.

Es ist 18.44 Uhr. In Kreuzberg laufen die Demonstranten los.

Im Präsidium blickt Monique Pilgrimm, 39, blonde Locken, Herzchenpullover, auf einen Bildschirm mit einem Kartenausschnitt von Kreuzberg. Diese taktische Karte zeigt Anfang und Ende des Zugs – und drei Zahlen: 8.000 Demonstranten, davon 500 Gefahrenkategorie Gelb, 250 Kategorie Rot. Dann piepst es. Das Einsatzprotokollsystem der Polizei meldet: „Kleinpflastersteine gefunden und entsorgt.“

Die Berliner Polizei hat für den 1. Mai eine Doppelstrategie. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte schon vor Tagen erklärt: „Kommunikation, solange es friedlich bleibt, und hartes Durchgreifen gegen Gewalttäter.“ Deswegen soll die unangemeldete „Revolutionäre 1. Mai Demo“ so lange wie möglich laufen, die Polizei will keine Eskalation.

Trotz Axtangriff und Bombe ein schönes Wochenende

18.49 Uhr. Pilgrimms Telefon läutet, es ist der Führungsstab mit einem Auftrag. Über Twitter soll verbreitet werden, dass die Demo keinen Verantwortlichen benannt hat, der mit der Polizei kommuniziert. Um 18.55 Uhr twittert Monique Pilgrimm mit dem Einsatzaccount der Berliner Polizei: „Revolutionäre #1Mai-Demo läuft zzt. durch Naunynstraße. Verantwortliche für die Demo haben jede Kooperation mit uns abgelehnt.“

Um 18.56 Uhr twittert @161-Ausbildung, ein linker Demobeobachter, aus dem Zug: „Bisher keine Probleme.“

Für die Polizei Oberfranken spielt Twitter als Einsatzmittel keine so große Rolle. Zwar will man vorbereitet sein, schließlich gab es in der Nähe, bei Würzburg, im vergangenen Jahr einen Axtangriff und in Ansbach einen Sprengstoffanschlag.

Doch Elzinger und Mettke benutzen Facebook und Twitter eher zur Imagepflege, um Nachwuchs anzuwerben und um Straftaten aufzuklären. Sie setzen Fahndungsaufruf auf Facebook, das mögen die Leute, das kennen sie aus dem Fernsehen, aus Sendungen wie „Aktenzeichen XY . . . ungelöst“. Vor allem aber machen soziale Netzwerke die Polizeiarbeit messbar. Was interessiert die Leute? Was nicht?

Die beliebtesten Posts der beiden waren bisher: der Imagefilm der Polizei Oberfranken, der Burgen, Schlösser und Polizeiautos zeigt; und ein kleines Video, mit dem sie den Leuten ein schönes Wochenende gewünscht haben. Mettke sagt: „Eine gesunde Mischung der Inhalte ist sinnvoll. Realität ja – aber auch Unterhaltung. Man darf das Publikum nicht mit Horrormeldungen überfrachten.“

Die Linie ihrer Kommunikation beschreiben die beiden als nah, aber seriös. Das Ende ihres Imagevideos zeigt einen Schriftzug: #aktuell #regional #echt.

„Die Polizei hat schon immer versucht, der Bevölkerung von ihrer Arbeit zu berichten“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Stefan Jarolimek. „Lange funktionierte das über den Journalismus. Aber die Öffentlichkeit hat sich verändert. Sie kann jetzt direkt medial mit den Menschen in Kontakt treten, ohne den Umweg über den Journalismus.“

Auf der Facebookseite der Polizei Oberfranken herrscht dabei große Harmonie: Ruhiges Wochenende! Danke für Eure Arbeit! Die einzige Kritik in den ersten beiden Wochen: Die Technomusik des Imagefilms gefällt manchen nicht.

Auf einem Regal steht eine Blume aus Holz mit einem Twittervogel als Blüte, Heiko Mettke hat sie am Wochenende geschnitzt. Über allem schwebt der Lärm der Bauarbeiter, die gerade das Dach abdecken. Work in progress.

Es dauert lange, eine Behörde mit klaren Befehlsketten für die Schnelligkeit sozia­ler Netzwerke fit zu machen. In Bayreuth seien vor allem die Polizeireporter der lokalen Presse skeptisch gewesen, erzählt Heiko Mettke. „In Gesprächen schwang immer ein bisschen die Angst mit, dass deren Arbeit überflüssig werden könnte.“ Dazu kamen technische Schwierigkeiten. Man musste man erst einmal spezielle Rechner einrichten, die nicht mit dem Polizeinetzwerk in Verbindung standen. Denn diese Computer mit sensiblen Daten besitzen gar keine oder nur sehr langsame Internetverbindungen.

Mettke und Kollege Elzinger sind dann zu Schulungen gefahren, zur Social-Media-Abteilung der Polizei München, die damit in Bayern am meisten Erfahrung hat. Nach knapp vier Monaten Social Media werde der Face­book-Auftritt gut angenommen, sagt Heiko Mettke. „Die Leute sind interessiert, aber sehr brav. Es gibt wenige, die Kritik äußern. Dabei stehen wir sachlicher Kritik in anständiger Form sehr offen gegenüber.“

Die Berliner schreiben weniger anständig. Der erste Kommentar, den die Polizei dort auf Facebook erhielt, war: „Wie ist denn die Haschqualität in der Hasenheide heute?“ Damals reagierten die Beamten nicht.

Vor ein paar Tagen gratulierte ein Nutzer zum dreijährigen Jubiläum: „Super Job hier, weiterhin viel Erfolg! Aber: Hat sich die Haschqualität in der Hasenheide in den letzten drei Jahren auch so prächtig entwickelt?“ Die Antwort: „Auf jeden Fall haben wir unsere Einsatztaktik dort weiterentwickelt.“ Schlagfertiger war die Polizei Frankfurt, als jemand sie auf Twitter fragte, welche Strafe fällig sei, wenn man mit ein paar Gramm „Grass“ erwischt werde. Antwort: „Welches Buch?“

Die Polizei hat über die Jahre dazugelernt. Die Behörde passt sich eher dem Netz an, nicht umgekehrt. Vor ein paar Monaten twitterte die Berliner Polizei eine Geschichte über eine Kontrollstreife, die ein völlig marodes Fahrzeug aus dem Verkehr zog, verrätselt mit siebzehn Emoticons und verlinkt auf die Auflösung bei Facebook. Andere Posts aus den letzten Tagen: Ein gefundener Hamster, den die Belegschaft eines Streifenwagens auf „Sir Henry“ getauft hat und der in einer kleinen Pappkiste mit auf Einsätze fuhr, alles mit Fotos dokumentiert. Und ein Mitarbeiter des Social-Media-Teams, der am 4. Mai, dem Star-Wars-Tag, mit Laserschwert posierte.

Die Polizei gibt sich bürgernah, authentisch, wie der nette Kollege von nebenan: Der gibt entlaufenen Hamstern Spitznamen und fragt auf Facebook: Hat jemand diesen Hund gesehen? Er feiert Star Wars und freut sich wie alle aufs Wochenende.

Wenn ihm einer blöd kommt, antwortet er schlagfertig.

Und wenn es ernst wird, verhaftet er dich.

276.000 Menschen folgen der Berliner Polizei

In den sozialen Medien verschwimmt die Grenze zwischen Polizeiarbeit und PR. Taktische Tweets wie Aufforderungen an Demonstrationsteilnehmer kommen aus derselben Hand wie die Bilder vom niedlichen Hamster. Das ist ein bisschen so, als würde ein Verkehrspolizist Tickets fürs Falschparken verteilen und dabei immer miterzählen, wie gern er Katzen mag.

Die Polizei versucht sich öffentlich so gut wie möglich zu verkaufen. Kann sie dann noch Dinge tun, die sie schlecht dastehen lassen?

Berlin, 1. Mai, 19.01 Uhr. Das Einsatzprotokoll der Polizei meldet mit einem Piepsen: „Vereinzelt Flaschenwürfe auf PolKräfte.“ Monique Pilgrimm verfasst einen Tweet, da piepst es wieder: „Pyros und Nebeltöpfe“.

Um 19.16 twittert Monique Pilgrimm: „Aus der Demo kam es zu Flaschenwürfen auf Kolleg, Pyrotechnik & Nebeltöpfe wurden gezündet. Sie wird nun ­seitlich & in der Spitze begleitet.“

Um 19.17 twittert der Beobachter-Account @161 Ausbildung: „Spalier von beiden Seiten.“

Yvonne Tamborini, Pil­grimms Chefin, sagt, dass sie natürlich berichten, wenn auf einer Demo Straftaten begangen werden. Wenn zum Beispiel Steine und Flaschen geworfen werden, folgt daraus, dass Polizisten ein Spalier bilden. „Die Leute fragen sich natürlich, warum. Polizeiliche Maßnahmen muss man begründen“, sagt Tamborini.

Werden Polizisten im Internet auf Streife gehen?

Wie könnte es weitergehen: Am 9. Mai sprach André Karsten, Social-Media-Manager der Polizei Frankfurt/Main, auf der Internetkonferenz Re:Publica in Berlin. Er will zeigen: Polizisten sind „normale Typen“, ohne die Autorität der Behörde infrage zu stellen. Der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der brandenburgischen Polizeihochschule wünscht sich mehr Behörden und Polizisten auf Twitter und Facebook. In den Niederlanden gebe es etwa 2.500 Polizeiaccounts. Er kann sich vorstellen, dass die Polizisten im Internet künftig eventuell auch polizeiliche Aufgaben wahrnehmen könnten und zum Beispiel gegen Hetze vorgehen.

Was spricht dagegen: Der Bayrische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri hält die Facebookseiten der Behörden derzeit nicht für zulässig. Er gehe von erheblichen Datenschutzverstößen von Facebook im Umgang mit den Nutzungsdaten aus. Dafür trügen die Behörden mit ihren Facebookseiten Mitverantwortung.

Das klingt ein wenig nach dem Philosophen Jürgen Habermas, der sich die ideale Kommunikation als möglichst frei von Verzerrungen durch Macht oder Hierarchien vorstellt. „Herrschaftsfreier Diskurs“ heißt das bei ihm. Das würde bedeuten, eine Behörde ließe sich auf das Niveau von Bürgern herab, vielleicht sogar bis auf Augenhöhe und die Polizei wäre angreifbarer.

Eine solche Bereitschaft zum Dialog ist ein Wagnis. Die Polizei geht Risiken ein, denn der Unmut in den sozialen Netzwerken trifft auch sie. Einmal verloste die Polizei Sachsen eine Fahrt im Wasserwerfer und wurde gefragt, ob es auch einen Schnupperkurs für Pfefferspray gebe? Sie brach das Gewinnspiel ab.

In Berlin wird der Dialog mit den Bürgern hart kalkuliert. Man antworte auf Fragen, aber nur, wenn die Antwort allen Nutzern etwas bringt, sagt Monique Pilgrimm. Auf lange Diskussionen und Vorwürfe lasse man sich nicht ein. Sie checkt bei kritischen Fragen auf Twitter: Wie viele Follower hat der Account? Kann der Post viral gehen? Bedroht er unsere Hoheit über die Information? Sie überlegt auch, ob die Antwort auf eine Frage sie und ihre Kollegen gut dastehen lässt. Oft werden die Beamten für ihre schlagfertigen Tweets und Posts gelobt. Auch eine Konsequenz aus der Vermischung von PR und Polizeiaufgaben.

Die Reichweite und den Einfluss der Polizei in den sozialen Medien beobachten auch die Autoren der Fachzeitschrift Cilip, die seit Ende der 70er Jahre über Bürgerrechte und Polizei berichtet. Einer schreibt 2014, als die Berliner Polizei sich Twitter zulegt, das werde mehr Druck auf Veranstalter politischer Demonstrationen ausüben, denn die hätten einen schlechteren Zugang zu Zeitungen und Agenturen. Er schreibt: „Im Wettstreit um die Informationshoheit verschafft Twitter der Polizei einen enormen Vorsprung.“

Dem Einsatzaccount der Berliner Polizei folgen 276.000 Menschen. Dem Bündnis „Revolutionärer 1. Mai“ 1.076 Personen.

Dein Freund und Korrektor „Beim Amoklauf in München war am Ende jeder Sektkorken ein Schuss. Und wenn Journalisten unter Zeitdruck arbeiten, kommt es durchaus zu Falschmeldungen“Stefan Jarolimek, Kommunikationsforscher

19.21 Uhr. Monique Pilgrimm öffnet ein Programm, das die Reaktion der Twitternutzer auf die Tweets der Berliner Polizei sammelt. Der Tenor ist bislang positiv, es gibt aber Vorwürfe: Warum lässt sich die Polizei eine unangemeldete Demo gefallen?

Pilgrimm bespricht das mit dem Führungsstab. Der Auftrag: Es soll kommuniziert werden, dass man die Versammlungsfreiheit hochhalte, aber Straftaten verfolge. Fünf Mal gehen Vorschläge hin und her. Um 20.14 Uhr twittert Pilgrimm: „Wir erdulden & ermöglichen Teilnehmer*innen der #R1MB Demo viel, jedoch dokumentieren wir beweissicher & verfolgen Straftaten konsequent“.

Nutzer @Gwittertott, der die SPD in einem Tweet die „Scharia Partei Deutschland“ nennt, schreibt: „Staatsversagen in 140 Zeichen.“ Bisher war es so: Die Rechten verteidigten die Polizei, die Linken kritisierten sie. In den sozialen Medien bekommt die Polizei in letzter Zeit immer mehr Kritik von rechts.

Als in Heidelberg vor ein paar Monaten ein 35 Jahre alter deutscher Student mit einem Wagen in einem Menschenmenge rast, kocht auf Twitter die Gerüchteküche: Warum veröffentlicht die Polizei nicht die Nationalität des Täters!? Das war ein Flüchtling!? Oder doch wenigstens ein Muslim! „Bei Zuwanderern hätte man es monatelang verschwiegen“, schrieb einer. Und die Polizei: „Nö, hätte man nicht, jedenfalls wir nicht.“ Noch heute zweifeln einige auf Twitter und Facebook an der Darstellung der Polizei.

Schüchtern fliegt eine ­Flasche gegen die Scheibe

Den Begriff „Lügenpresse“ benutzen viele Menschen seit Längerem in den sozialen Netzwerken. An diesem Tag schreiben welche auf Twitter von der „Lügenpolizei“.

Vielleicht irritiert die Rechten der Ton. Jahrzehntelang war der preußisch-streng, und jetzt trifft man zumindest im Internet plötzlich auf selbstironische, oft sympathische Menschen, auf Tierbilder und Sonnenemojis. In den Tweets zu einer linksradikalen Demo gibt es Gendersternchen.

Soziale Medien und die Polizei – für den Kommunikationswissenschaftler Stefan Jarolimek ist das eine Erfolgsgeschichte: „Ich bin der Überzeugung, dass die Polizei durch Social Media wieder näher an der Bevölkerung dran ist, weil sie ihre Arbeit erklärt. Das Image der Polizei ist heute besser als vor zehn Jahren, auch durch Social Media.“

1. Mai, 21.47 Uhr. Ein Reporter der Boulevardzeitung BZ twittert: „Spreewaldplatz erste verletzte Polizisten bei Auseinandersetzungen“. Dazu ein Video. Monique Pilgrimm schaut sich das an: Eine Polizeiwanne bahnt sich den Weg durch eine Menschenmenge. Eine einzelne Flasche fliegt schüchtern gegen die Frontscheibe. „Mhmjoa“, macht Pilgrimm: „Wenn der schon so was twittert, ist nichts los.“

Der Abend bleibt ruhig. Um 22.30 Uhr twittert Pilgrimm ein Dankeschön an die Polizeibeamten, die aus anderen Bundesländern zur Demo angereist sind. Nutzer @LerbsMichael, zwei Follower auf Twitter, fragt: „Warum tragen die Kollegen aus anderen Bundesländern teilweise keine Kennzeichnung an ihren Uniformen? Ich denke dies ist in Berlin Pflicht?“ Keiner antwortet.

Philipp Daum, 29, hört gern Polizistenlieder aus den 80ern: „Sie rauchen ‚Milde Sorte‘, weil das Leben ist doch hart genug.“

Karsten Thielker, 51, lebt und arbeitet als Fotograf in Berlin.

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