Abhörskandal bei Telekom: Ermittlungen gegen Ex-Telekom-Spitze
Die Telekom soll schon unter Ron Sommer Mitarbeiter bespitzelt haben. Die Staatsanwaltschaft durchsucht die Firmenzentrale und ermittelt gegen die Ex-Führungsleute Ricke und Zumwinkel.
KÖLN taz Der Bespitzelungsskandal bei der Deutschen Telekom nimmt immer größere Ausmaße an. Inzwischen besteht der Verdacht, dass schon früher und in einem größeren Umfang als bisher bekannt, Journalisten ausgespäht wurden. Die Bonner Staatsanwaltschaft hat jetzt ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am Donnerstag durchsuchten Beamte die Telekom-Zentrale in Bonn.
Unter den Beschuldigten sind Ex-Konzernchef Kai-Uwe Ricke, der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Zumwinkel sowie der frühere Sicherheitschef Harald Steininger. Ihnen wird vorgeworfen, das Post- und Fernmeldegeheimnis sowie das Datenschutzgesetz verletzt zu haben. Die Ermittlungen richteten sich indes nicht gegen aktive Vorstandsmitglieder und den Vorstandsvorsitzenden René Obermann, betonte der Bonner Oberstaatsanwalt Fred Apostel. Hierfür gebe es derzeit "keinen Anlasspunkt". Bei der Razzia habe das Unternehmen eine "sehr kooperative Verhaltensweise" gezeigt. Das Ermittlungsteam umfasse rund 50 Leute, darunter Beamte des Bundeskriminalamts.
Europas größter Telekommunikationskonzern hatte am Wochenende eingestehen müssen, dass es "nach derzeitigen Erkenntnissen in 2005 und nach aktuellen Behauptungen auch in 2006 zu Fällen von missbräuchlicher Nutzung von Verbindungsdaten gekommen" ist. Ziel der Spähaktionen war, Kontakte von Aufsichtsräten - speziell der Arbeitnehmervertreter - und wohl auch von Managern zu Journalisten aufzudecken. Beauftragt mit der Auswertung der Telefondaten wurde die Berliner Network Deutschland GmbH. Auch gegen deren Geschäftsführer Ralph Kühn wird jetzt ermittelt.
Wie die Telekom weiter eingeräumt hat, ging sie bereits im Sommer 2007 aufgrund interner Hinweise einem ersten Bespitzelungsverdacht nach. Dessen Aufklärung habe zu "weitreichenden personellen und organisatorischen Veränderungen in der Konzernabteilung Sicherheit" geführt. Aber nicht zu einer Information des in jenem "Einzelfall" betroffenen Journalisten Reinhard Kowalewsky vom Wirtschaftmagazin Capital: Es habe damals eine "Abwägung zugunsten des Unternehmens und seiner Mitarbeiter" stattgefunden, die dazu geführt habe, "die Publizität gegenüber dem betreffenden Journalisten zurückzustellen", rechtfertigte sich die Telekom jetzt in einer Erklärung. Das sei "nicht leicht" gefallen. Doch: "Letztlich hatte sich René Obermann am Unternehmensinteresse zu orientieren." So habe auch Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel von einem "verfrühten schädlichen Gang an die Öffentlichkeit dringend abgeraten". Kein Wunder: Die Enthüllung wäre dem Management seinerzeit mitten in der mit harten Bandagen geführten Tarifauseinandersetzung mit der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di äußerst ungelegen gekommen.
Zumwinkel steht ebenso wie Obermanns Vorgänger Ricke unter Verdacht, von den Bespitzelungsaktionen gewusst, wenn nicht sogar sie veranlasst zu haben. Beide dementieren dies bislang entschieden. In den Fokus rückt inzwischen aber auch Ron Sommer, der vor Ricke die Geschicke des Konzerns lenkte. Schon zu seiner Amtszeit soll die Telekom im Jahr 2000 laut einem Bericht der Financial Times Deutschland Spitzelaufträge erteilt haben, um Informanten aus dem Konzern und missliebige Journalisten zu identifizieren. Dabei sei unter anderem der frühere FTD-Chefreporter Tasso Enzweiler ausgespäht worden. Eine von Ex-DDR-Geheimdienstlern gegründete Berliner Wirtschaftsdetektei soll sogar versucht haben, mit versteckter Kamera Hinweise auf Enzweilers Kontaktperson in seinen Kölner Redaktionsräumen zu finden. Ein Telekom-Sprecher sagte, der Fall sei bisher nicht bekannt. Er forderte das Blatt auf, seine Informationen dem Konzern und der Staatsanwaltschaft vorzulegen, damit die Angelegenheit aufgeklärt werden könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus