Debatte Antifeminismus: Männer sind Opfer
Seit dem Kachelmann-Prozess grassiert ein neues Angstbild: das Bild des Mannes, der falschen Anschuldigungen einer Frau anheimfällt.
S eit dem Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann, der mit einem Freispruch des Angeklagten endete, ist in Internetforen und unter antifeministischen Bloggern ein neues Motiv aufgetaucht: das Bild des unschuldigen Mannes, der der falschen Beschuldigung einer rachsüchtigen Frau anheimfällt.
Ein Kommentator auf Spiegel Online brachte diese Ängste auf dem Punkt: "So kann Frau nach Herzenslust den Kollegen anzeigen, auf dessen Job sie scharf ist, sie kann sich aus der Affäre ziehen, wenn es ihr peinlich ist, vor ihren Eltern zugeben zu müssen, dass sie schon mit Jungs schläft, es ist so einfach, politische Gegner abzuservieren. Denn ein Blick eines Mannes genügt, und schon wurde Frau ja vergewaltigt."
Dieser "Kachelpanik" liegt ein neues Männerbild zugrunde: das Bild des männlichen Opfers. Es beruht auf der Vorstellung, dass die Falschbezichtigung jeden Mann treffen kann und die Justiz heute keine Sicherheit mehr davor bietet. Die Kritik an einer Vorverurteilung von Jörg Kachelmann in den Medien mag sicher berechtigt gewesen sein. Aber oft reicht schon der Eindruck, dass Gerichte nicht mehr wie früher von vornherein aufseiten der Männer stehen, um Ängste zu schüren. Zugleich wird ein neues Frauenbild konstruiert: das Feindbild der rachsüchtigen Lügnerin, die Männer aus Eigennutz nach Herzenslust anzeigt und der eine heimliche Macht über die Justiz zugesprochen wird.
Ilse Lenz, 63, ist Soziologin. Sie lehrt Geschlechter- und Sozialstrukturforschung an der Ruhr-Universität Bochum. Mit Michiko Mae veröffentlichte sie zuletzt ein Buch über "Die Frauenbewegung in Japan" (VS Verlag 2010).
Bei ihrem hier veröffentlichten Beitrag handelt es sich um die gekürzte Fassung eines Artikels aus den Blättern für deutsche und internationale Politik.
Wer sich den heterosexuellen Alltag in deutschen Büros und Betten ansieht, wird schnell feststellen, dass diese Bilder wenig mit der Realität zu tun haben. Diese Lücke zwischen Angstbild und Wirklichkeit versuchen antifeministische Publizisten mit Zahlenspielen zu schließen. Ihr Vorgehen dabei erinnert an den alten Satz: "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast."
Eine Studie aus Bayern
So berufen sich manche "Männerrechtler" auf eine Untersuchung des Bayerischen Landeskriminalamts von 2005. Diese gibt für das Jahr 2000 für Bayern einen Anteil von 7,4 Prozent falschen Verdächtigungen an allen Anzeigen wegen Vergewaltigung an. Wenn man die Dunkelfeldforschung einbezieht, kommen laut dieser Untersuchung jedoch auf eine Anzeige wegen Vortäuschung oder falscher Verdächtigung etwa 38 bis 125 tatsächliche Fälle von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung.
Weiterhin wurden für diese Studie 77 Polizeibeamte, die in eingestellten Vergewaltigungsverfahren ermittelt hatten, nach ihrer persönlichen Einschätzung befragt. Die Meinungen gingen sehr weit auseinander. Doch ein Kommissariatsleiter wird gern zitiert. Er sagte: "Alle Sachbearbeiter von Sexualdelikten sind sich einig, dass deutlich mehr als die Hälfte der angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht werden. Viele angezeigte Fälle lassen zwar die Vermutung einer Vortäuschung bzw. falschen Verdächtigung zu, berechtigen jedoch nicht zu einer entsprechenden Anzeige."
Diese persönliche Einschätzung eines einzelnen Beamten wird nun von interessierter Seite aus der Studie herausgepickt, um die eigentlichen Forschungsergebnisse beiseitezuschieben. Sie wird zum Grundpfeiler des antifeministischen Credos von der männerverfolgenden Lügnerin vor Gericht. So fragt etwa der Publizist und "Männerrechtler" Arne Hoffmann vom Verein Agens zunächst besorgt: "Sind Sie der nächste Jörg Kachelmann?", um gleich hinterherzuschieben: "Polizisten und Wissenschaftler: Bei Vergewaltigungsvorwürfen lügen Frauen häufig."
Massenhaft falsche Vorwürfe?
Obwohl die Studie genau das Gegenteil belegt, zitiert Hoffmann selektiv diese eine Äußerung, "dass deutlich mehr als die Hälfte der angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht" würde, um zu dem Schluss zu kommen: "Von einer hohen Zahl an Falschbeschuldigungen geht auch die Untersuchung ,Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern', herausgegeben im Jahr 2005 vom Bayrischen Landeskriminalamt, aus." Hoffmann zitiert auch einen britischen Polizisten, der unter dem Pseudonym Inspector Gadget in seinem Weblog schreibt, "dass von zehn Vergewaltigungen, die unserer Dienststelle gemeldet werden, sich mindestens acht als Unfug herausstellen. Um fair zu sein, acht von zehn Irgendwas, die unserer Polizeidienststelle gemeldet werden, sind Unfug - warum sollte es mit Vergewaltigung anders sein?"
Wunsch nach Männerbündelei
Auch bei dem antifeministischen Verein Manndat dient die Umdeutung der BLK-Studie dazu, weitreichende politische Forderungen zu stellen. In seinem Programm wird behaupt: "Eine Studie des LKA Bayern zu diesem Thema geht davon aus, dass deutlich mehr als die Hälfte der angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht werden", und die Verfolgung von Falschbezichtigungen von Amts wegen gefordert.
Woher rührt dieses brennende Interesse von Antifeministen, die zu solchen Zahlenspielen greifen, ein neues Bild von "Opfermännern" zu zeichnen? Es hat den Vorteil, dass unter dem Kampfzeichen des Opfers alle Männer gleich werden, während sie im "wirklichen Leben" oft sehr unterschiedliche Einstellungen zu Gleichheit, Frauen und Geschlecht haben. Studien zeigen: Eine große Gruppe von jungen Männern will Gleichheit in ihren Beziehungen, eine weitere ist verunsichert, der konservative Kern ist auf rund ein Viertel aller Männer geschmolzen. Mit dem Mythos vom Opfer wird eine neue Männerbündelei propagiert.
Stellt das neue Bild des Mannes als Opfer einen Fortschritt gegenüber den bisher populären Überlegenheits- und Siegerposen dar? Nein, denn auch das neue Bild des Mannes als Opfer ist tendenziell frauenfeindlich. Aber es ist auch nicht gerade männerfreundlich, läuft es doch auf eine Homogenisierung und Entmündigung aller Männer hinaus. Diesem Bild zufolge ist der einzelne Mann nicht für sein Denken und Handeln verantwortlich, sondern der bedrohlich erscheinenden Frau hilflos ausgeliefert. Kann eine solche Fantasie und Ideologie, nach der die Frau (beziehungsweise die Feministin) der Feind ist, den vielen Männern in ihren verschiedenen Lebenslagen und Zwängen nutzen? Den vielen Männern - und Frauen -, die auf ein gutes Zusammenleben setzen? Wohl kaum.
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