piwik no script img

■ Schriften zu ZeitschriftenVerweigerung heute

In der Literaturzeitschrift „Der Rabe“ geht es um Stil, Sturheit und Arroganz

Der Zürcher Rabe ist längst eine Institution, die nun schon seit 1982 der komischen Literatur im deutschsprachigen Raum eine seltene Heimstatt bietet. Nicht nur der komischen Literatur, doch vor allem der, denn die hat’s besonders nötig! Aber Nummer 57 ist anders, nicht rot wie gewöhnlich, sondern postgelb. Zu Recht! Denn wir haben es hier mit dem „Verweigerungs-Raben“ zu tun. Der Schriftsteller Max Goldt, einer der beiden Herausgeber, hat dankenswerterweise seinen Rundbrief zum Zwecke der Autorenakquise an den Anfang gestellt – so weiß man gleich, was es gibt: „Es geht um Aufstampfen und Türenknallen, um Sturheit, Stil, Arroganz als Selbstschutz und gelassen oder heimlich weinend HINGENOMMENE NACHTEILE. (Wichtig: Es müssen Nachteile da sein!) Sehr schön wäre es, wenn sich unter den Angeschriebenen jemand befindet, der schon mal die Annahme des Büchner-Preises verweigert hat.“

Nun, damit kann die Zeitschrift dann zwar nicht aufwarten, aber auch so gibt es für die Autoren genug ab- und auszuschlagen, zu verwehren und brüsk zurückzuweisen, wobei die kleinen alltäglichen Dinge in der Überzahl sind, wohl weil sie ein größeres Witzpotenzial besitzen. Beste Beispiele sind die hervorragenden – ja, was eigentlich? –, sagen wir in Ermangelung eines besseren Ausdrucks mal: Cartoons von Katz + Goldt. Da steht eine junge Frau vor einem Werbestand mit dem Aufdruck „Service Card“, selbiges Girlie spricht im schönsten Höker-German: „Die jungen Herren hier mal mitnehmen unsere Service Card?“ In der Tat gehen da zwei Herren des Weges, die aber durch ihre Glatze als doch schon etwas betagtere ausgewiesen sind und auch sogleich denselben Gedanken haben: „Die junge Dame hier mal halten ihre Fresse.“ Ein anderes Bild. Da kommt ein ums leibliche Wohl seines Filius besorgter Vater ins Säuglingsschlafzimmer und fragt das bereits in seinem Bettchen liegende Kind: „Willste’n Melba-Crossi mit Himbeermarmelade Marke Eigenbau?“ Das aber winkt ab: „Firma dankt!“

Nicht wahr? Allein, Goldts einleitende Verweigerungsparameter werden hier im Grunde desavouiert. Denn wirkliche Nachteile stehen kaum zu erwarten, im Gegenteil: Wer braucht schon eine Service Card? Aber man muss ja auch gar nicht so ein ethisches Gewese darum machen: Wo Nachteile sind, da sind auch Vorteile, und die müssen wohl überwiegen – sonst würde man nicht verweigern. Es sei denn, man heißt Bartleby. Dieser einsame, todtraurige, lebensuntaugliche Schreiber aus Melvilles gleichnamiger Erzählung, einem Verweigerungsklassiker, der in einem längeren Ausschnitt ebenfalls im Heft dokumentiert wird, hat nun wirklich keine Wahl. Wenn er sein stoisches „Ich möchte lieber nicht“ repetiert, dann spricht daraus die pure Verzweiflung, eine Tragik, die nur Nachteile kennt. Bartleby, der Totalverweigerer, der absolute Solitär, muss zwanghaft jegliche Vergesellschaftung negieren – und notwendig daran zu Grunde gehen. Im Vergleich dazu muten die anderen hier versammelten Texte nachgerade unerheblich an.

Auch Goldts Apologie seiner Interviewverweigerung (und grundsätzlichen Journalistenverachtung) krankt ein wenig an der geringen Fallhöhe; man will nicht mal so recht einsehen, dass sich bei ihm abgelehnte Interviews noch auf den Buchverkauf auswirken. Klar wird an seinen Auslassungen aber immerhin, dass die forcierte Verweigerungshaltung von krudem Snobismus mitunter nur schwer zu unterscheiden ist. Das ist nicht immer schön, wie er die von ihm so bezeichneten „junk journalists“, das mediokre Pack also, abmeiert: „Vor hundert Jahren wären sie Pferdekutscherin oder Näherin geworden. Doch sie leben heute und haben daher Abitur und fühlen sich somit für normale Tätigkeiten unumkehrbar überqualifiziert. Sie könnten so wunderbar Kartoffeln schälen, aber sie wollen urteilen und durchschauen, Menschen von vermeintlichen Podesten stoßen, nachweisen, dass alle nur mit Wasser kochen. Unter ihrer Elendigkeit, ihrem Wissen, dass sie letztendlich doch nur das Altpapier von übermorgen produzieren, heimlich leidend, zerren sie alles, was evtl. ein wenig herausragt, auf ihre eigene Durchschnittlichkeit herunter.“ Auch Melvilles Ich-Erzähler missversteht Bartlebys Verweigerungsfuror nur deshalb nicht als Arroganz und Anmaßung, weil er etwas an sich hat, das „mich nicht nur seltsam entwaffnete, sondern auch auf wunderliche Art rührte und aus der Fassung brachte“.

Max Goldt sieht man seine Outriertheit nach, weil er wirklich schlagende Argumente anführt: „Ich erinnere mich an ein Interview, das eine Autorin des Berliner tip-Magazins mit David Bowie führte. Ihre erste Frage war im Heft so wiedergegeben: ‚Ihre Achtzigerjahre-Alben waren ja alle grauenhaft. Wie kommt’s, dass Sie plötzlich wieder etwas halbwegs Hörbares produziert haben?‘ Sonnenklar unter Inhabern von Menschenkenntnis ist: Nie im Leben hat sie ihm diese Frage gestellt. Keine kleine Stadtmagazinschreiberin nähert sich einem in seiner Hotelsuite Audienz haltenden Weltstar auf eine so herablassende Art. Sie wird vermutlich mit Schüchternheit und ihren Englischkenntnissen gerungen haben und etwas in der folgenden Art gefragt haben: ‚Ihr neues Album hat ja viel bessere Kritiken bekommen als Ihre letzten. Durchleben Sie gerade eine besonders kreative Phase?‘ Hinterher wurde die Frage dem allgemeinen selbstbewusst tönenden Kläffersound angepasst ...“

Dass es allerdings auch ohne Arroganz geht, einfach mit freundlicher, höflicher Bestimmheit, zeigt uns sehr schön Martin Z. Schröder, ein Drucker und Setzer, der gewisse Druckaufträge (wie eine „gesperrte Garamond kursiv“) einfach verweigern muss, weil seine Handwerkerehre es ihm verbietet. Verweigern fällt offenbar leichter, wenn man das Gewohnheitsrecht auf seiner Seite hat. Frank Schäfer

Der Rabe . Nr. 57. Hg. von Heiko Arntz und Max Goldt, Haffmans Verlag, Zürich 1999, 256 Seiten, 15 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen