: Der subjektive Faktor
Film Helke Sander verwebt Alltägliches mit Gesellschaftsanalyse. Das Bundesplatzkino würdigt sie mit einer Werkschau
von Carolin Weidner
„Es gibt viel Falsches im Wahren“, schließt Helke Sander ihren Film „Der subjektive Faktor“ (1980/81) selbst: Es ist der letzte eingesprochene Kommentar und die Erkenntnis, die nach bald 140 Minuten Film steht. Der begann damit, dass Anni (Angelika Rommel), eine junge Mutter, mit ihrem Kind in eine Kommune gezogen war. Für Anni ein Experiment, an das sich weitere anschließen: Flugblätter schreiben, in Arbeitsgruppen engagieren, gegen den Vietnamkrieg etwa. „Der subjektive Faktor“ spielt in den Jahren zwischen 1967 und 1970, historisches Pastiche gelingt Sander durch die Verwendung von Originalaufnahmen, die Proteste auf Berliner Straßen zeigen. Der Look Inside gibt zudem einen interessanten Einblick in den Aktivistenalltag, in denen sich die politisierenden Männer gerne genervt von ihren weinenden Babys geben.
Dieser Alltagsblick verwoben mit Fragen an die Gesellschaft ist es, der das Werk von Helke Sander prägt und ausmacht. Ab diesem Sonntag kann er allwöchentlich (bis 19. März) im Bundesplatzkino nachvollzogen werden. Anlass ist der80. Geburtstag Sanders sowie eine Hommage an Jürgen Rieger, mit dem die Regisseurin und Autorin zusammengearbeitet hat und der 2015 verstarb. Rieger entwarf zahlreiche Szenenbilder, nicht nur für Helke Sander, sondern auch für Margarete von Trotta, Werner Herzog oder Claudia von Alemann. „Der subjektive Faktor“ war die erste Kooperation mit Helke Sander. Den ersten Beitrag der Werkschau stellt indessen ein anderer Film: „Die Deutschen und ihre Männer. Ein Bericht aus Bonn“ aus dem Jahr 1989. In ihm ist Elisabeth „Lieschen“ Müller aus Österreich zu beobachten, die ihre Jahresurlaub in Bonn verbringt, um sich auf die Suche nach einem Mann zu begeben. Die Männer, die Lieschen während ihrer Suche trifft, „lassen sich leicht in die Karten gucken“, die Regisseurin wird in „Die Deutschen und ihre Männer“ zur Ethnologin.
Helke Sander geht mit einiger Neugier und Forschergeist voraus, die Filme, welche dank dieser Eigenschaften entstanden sind, sind herausfordernd und nicht wenige von ihnen hatten einen steinigen Weg zu bestreiten. Nennenswerte Projekte sind unterwegs auch auf der Strecke geblieben. Eines mit dem Namen „Rote Tage“ zum Beispiel, das ein abendfüllender Film über die Kulturgeschichte der Menstruation in verschiedenen Ländern werden sollte und von dem die Redaktionen „angeekelt“ und „erschreckt“ zurückwichen. Eine eigene Sprache sprechen auch die mit verschiedenen Ziffern betitelten „Berichte der Wach- und Patrouillendienste“ – Kurzfilme mit grausamem und teils dokumentarischem Inhalt, von denen Sander lediglich Nr. 1, Nr. 5 und Nr. 8 verwirklichen konnte. Plan war einst gewesen, die einzelnen Teile zu einem Langfilm zusammenzufügen. Nun begleiten die drei Nummern das Filmprogramm im Bundesplatzkino.So ist „Nr. 1“ (1984) gemeinsam mit „Redupers – Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ (1977) zu sehen, und in beiden Filmen geht es wieder um eine alleinerziehende Frau in Westberlin. Im Kurzfilm klettert eine Mutter mit ihren Kindern auf eine Baukran und droht mit dem Sprung, sollte ihr bis zum Abend keine bezahlbare Wohnung zugewiesen werden (die Geschichte beruht auf einem tatsächlichen Vorfall), manövriert sich eine freiberufliche Fotografin (gespielt von Helke Sander) von Auftrag zu Projekt zu Galerie zu Wohnung und wieder zurück. Drei Tage im Leben dieser Frau zeigt Sander, rastlose Tage. Rastlos ist auch Freya (wieder Sander) in „Der Beginn aller Schrecken ist Liebe“ (1983), die sehr ungut an Traugott (Lou Castel) hängt, der sich selbst recht ungeniert durch ihren Freundeskreis bewegt.
Helke Sander hat in ihrer Karriere viel bewirkt, 1971 rief sie mit Claudia von Alemann das1. Frauenfilm-Festival aus, im selben Jahr gründete sie die Zeitschrift frauen und film. Sanders Filme brachten Diskussionen ins Rollen, nie angenehme, aber wesentliche. Der Zweiteiler „Befreier und Befreite“ (1991/92), eine ausführliche Recherche über die Vergewaltigungen im Frühjahr 1945 in Berlin, ist einer der eindrucksvollsten Exempel dafür. Mit ihm endet dann auch die Werkschau.
Werkschau Helke Sander: Bundesplatzkino, Bundesplatz 14,5. 2.–19. 3., bundesplatz-kino.de
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