Die Varroa-Milbe kam als blinder Passagier

Mit allen möglichen Tricks versuchen die Imker die Bienenmilbe Varroa zu bekämpfen ■ Von Thorsten Klapp

„Es war einfach eine Katastrophe“, erinnert sich Heinz Dolzmann, Vorsitzender des Landesverbandes Thüringer Imker, an die Zeit, als die Varroa-Milbe vor zehn Jahren das erste Mal in seiner Region zuschlug: „Als wir Ende August aus der Kleetracht zurückkamen, hatten wir fast keine Bienen mehr! 80 Prozent der Völker sind innerhalb eines Jahres zusammengebrochen.“ Was die Thüringer Ende der Achtziger erlebten, vollzog sich nach und nach in ganz Deutschland und schließlich in fast ganz Europa.

Das Drama begann 1977, nachdem Wissenschaftler aus dem hessischen Oberursel asiatische Bienen für Forschungszwecke nach Deutschland holten. Unbemerkt hatten sie auch deren Parasit, die Varroa-Milbe, mitgebracht, mit denen die asiatische Biene problemlos zurechtkommt. Nicht jedoch unsere europäische Honigbiene: Die 1,6 Millimeter große Milbe klammert sich an die Biene und durchschneidet mit ihren Mundwerkzeugen deren Körperdecke wie ein Konservenöffner, um schließlich Blut zu saugen, wodurch die Biene vorzeitig stirbt. Etwa ab 1980 trat ein weiterer Verbreitungsherd auf: die ehemalige DDR. Importierte Bienenvölker waren ebenfalls Varroa-infiziert. Sie stammten aus der UdSSR, wo sich die Milbe bereits in den 60er-Jahren ausbreiten konnte.

Die Milbe vermehrt sich in der Brutzelle der Biene. Unter günstigen Umständen kann sich ihre Zahl in einer Saison verhundertfachen. Verzweifelt wurden Sperrgebiete eingerichtet und tausende befallene Völker samt Wanderwagen und Bienenständen verbrannt. Aber der Siegeszug der Milbe war nicht aufzuhalten. Die Imker mussten sich nun aktiv verteidigen: Mittels chemischer Keulen hoffte man die Milbe wieder auszurotten. Aber vergebens. Immer überlebten einige der Parasiten den Gifteinsatz, die sich dann wieder rasch vermehrten.

Vor allem in Süddeutschland schlägt die Milbe zu

Noch heute ist die Varroa das mit Abstand größte Problem der Imkerei. „Selbst wenn man die Milbe konsequent in Schach hält, muss man trotzdem mit zehn Prozent Ausfall im Winter rechnen. Früher war es nur ein Prozent“, erklärt Klaus Wallner von der Landesanstalt für Bienenkunde in Hohenheim. In Süddeutschland brachen im Frühjahr 1997 sogar flächendeckend 50 Prozent aller Bienenvölker zusammen. Seitdem steht dort die Varroa-Problematik auf einem neuen Höhepunkt. „Es herrscht in Süddeutschland ein sehr hoher Befallsdruck“, so Wallner. „Es werden Milbenzahlen gefunden, die wir in Norddeutschland nie finden.“

Ein Grund dafür ist die hohe Völkerdichte: „In den Regionen, wo Imker mit ihren Völkern aufwandern und sich tausende Völker treffen, sei es im Schwarzwald oder im Pfälzer Wald, stecken sich die Völker auf wundersame Weise gegenseitig immer wieder an.“ Das funktioniert so: Nach guter Bienensitte räubern starke Völker schwache oder kranke Völker aus. Dabei übertragen die kranken Bienen den Plünderern ihre Milben, mit der Folge, dass nun die starken einen hohen Varroa-Befall haben und – falls nicht eingegriffen wird – zu Grunde gehen. Jetzt stürzen sich andere starke Völker auf diese sterbenden und nehmen ebenso zahllose Milben in ihre Völker mit. „Die Völker gehen kaputt, die Milben aber bringen sich in Sicherheit und stiften in anderen Stöcken neues Unheil“, so Wallner. „Sie sind wie Ratten, die das sinkende Schiff verlassen und ein neues besteigen.“

Je enger die Völker beisammenstehen und je höher ihre Anzahl, desto größer die Gefahr der „Reinfektion“, wie die Imker dieses Phänomen bezeichnen. Wallner: „Alle Imker, die nicht konsequent die Varroa bekämpfen und sich Wissen aneignen, werden gnadenlos ausselektiert.“ In manchen Regionen Süddeutschlands „hat man das Gefühl, dass alles sehr aggressiv läuft, man sich keine Fehler erlauben kann, was die Milbenbekämpfung angeht.“ Der Schwarzwälder Berufsimker Roland Maier ist sich sicher, dass die Varroa sich dort immer schneller vermehre. „Es gibt immer mehr Milben in kürzerer Zeit.“

Die Varroa hat der Imkerei einen immensen Schaden zugefügt, den die Bienenzüchter ohne finanzielle Unterstützung selbst tragen müssen. „Der Hauptschaden aber“, meint Klaus Wallner, „ist, dass die Varroa potenzielle Neuimker abschreckt. Der einfache gemütliche Weg, das Imkern einfach mal auszuprobieren, funktioniert nicht mehr. Nach dem Honigschleudern, wenn der Imker eigentlich urlaubsreif wäre, muss er dableiben und die Varroa im Auge halten und bekämpfen.“

In Sachen Bekämpfung jedoch scheiden sich die Geister. Die ersten Medikamente sollten in erster Linie das nackte Überleben der Völker sicherstellen. „So kamen Mittel auf den Markt, die wegen ihrer Rückstände im Honig problematisch waren“, erinnert sich Wallner. „In Einzelfällen lagen die Rückstände sogar über dem zulässigen Grenzwert.“ Das Hohenheimer Institut führt schon seit 1988 Rückstandsanalysen im Auftrag des Deutschen Imkerbundes durch. “Auf Grund der verfügbaren Messdaten konnten wir rasch reagieren und haben die Imkerschaft aufgefordert, diese Mittel zu meiden. Und sie haben reagiert, sodass die Mittel vom Markt verschwanden.“

Die Varroa zwang die Imker zum Chemieeinsatz

Heute sind das Varroa-Gift „Bayvarol“, das aus dem synthetischen Pyrethroid Flumethrin besteht, sowie das Mittel „Perizin“, das einen organischen Phosphorsäureester enthält, weit verbreitet. Aber die Rückstandsproblematik ist keineswegs vom Tisch. Vor allem Perizin können die Hohenheimer Wissenschaftler immer wieder im Honig nachweisen. Jedoch weit unter dem zulässigen Grenzwert. Der Chemieeinsatz hat die Imker in eine unangenehme Situation gebracht. Denn vor dem großen „Auftritt“ der Milbe saßen die Imker auf der „Insel der Seeligen“, wie Wallner es ausdrückt. „Es war einfach nicht notwendig, Medikamente einzusetzen. Doch die Varroa zwang die Imker plötzlich zum Chemieeinsatz.“

Aber trotz der Varroa-Medikamente, so versichert Wallner, „zählt der Honig nach wie vor zu den saubersten Lebensmitteln, die wir haben, nicht vergleichbar mit den Rückständen, die in Gemüse oder Fleisch gefunden werden.“ Dennoch handelt es sich bei den Rückständen um Fremdstoffe, „die im Honig einfach nichts verloren haben“, meint Alfred Schulz, Leiter des Fachbereichs Bienenkunde an der Landesversuchsanstalt in Mayen.

Auch die Hohenheimer Bienenkundler sind der Meinung, dass im deutschen Honig keine Fremdstoffe nachweisbar sein dürfen. Ebenso beschäftigt die Bienenforscher, dass die Milben vor allem auf Pyrethroide, wie sie in Bayvarol enthalten sind, mit der Zeit resistent werden. In Süddeutschland und neuerdings auch in Hessen wurde beobachtet, dass diese eigentlich hochwirksamen Mittel erfolglos blieben.

So fühlten sich die Wissenschaftler gleich doppelt bewogen, nach alternativen Konzepten zu suchen. Eine Beobachtung aus der Natur brachte sie auf die Idee: Ein Ameisennest befand sich direkt unter einem Bienenvolk, das auffallend weniger mit den Milben befallen war als andere. Die These war, dass die in den Stock wandernden Ameisen sich gegen die Angriffe der Bienen wehren mussten und dabei ihre Ameisensäure verspritzten, die möglicherweise die Milben auf den Bienen tötete. Gerhard Liebig, einer der Hohenheimer Bienenforscher, entwickelte die Ameisensäure, die heute großtechnisch hergestellt wird, zu einem hervorragenden Bekämpfungsmittel. Der Vorteil dieser Methode ist, dass Ameisensäure natürlicher Bestandteil des Honigs ist und durch sein Einbringen in den Bienenstock – außerhalb der Trachtzeiten – der natürliche Gehalt des Honigs nicht nachweisbar beeinflusst wird.

Neben der Ameisensäure stellten sich Milchsäure und Oxalsäure, ebenfalls Inhaltsstoffe des Honigs, als geeignete Mittel gegen die Milbe heraus, sodass heute eine Reihe alternatver Mittel zur Verfügung stehen. Es wurden nun neue Behandlungskonzepte entwickelt, denen jedoch viele konventionelle Imker skeptisch gegenüberstehen.

Roland Maier gehört zu jenen, die sich konsequent den Alternativen verschrieben haben. Für seinen 300 Völker starken Betrieb praktiziert er ein Konzept, das weit über die Anwendung der organischen Säuren hinausgeht: Neben den Einsatz von Ameisen- und Oxalsäure führt er so genannte biotechnische Maßnahmen durch, da sie nicht beliebig oft eingesetzt werden können.

Zu häufige Säurebehandlung schädigt die Bienen selbst, und Königinnen können verloren gehen. Zum Beispiel entnimmt er während der Brutphase im Frühling und Sommer stets zum richtigen Zeitpunkt die Drohnenbrut und vernichtet sie. Denn darin befinden sich ganz besonders viele Milben, weil sie die größeren Drohnenzellen bevorzugen. Eine andere wichtige Maßnahme ist, immer neue Jungvölker aufzubauen. Denn große Völker, die früher über viele Jahre für den Imker arbeiteten, haben unter der aktuellen Varroa-Problematik geringere Chancen, trotz aller Bekämpfungsmaßnahmen alt zu werden. Um diese Verluste auszugleichen, müssen die Imker also ständig für neue Bienenvölker sorgen.

Eine dritte Maßnahme ist das so genannte Bannwaben-Verfahren. Dazu wird die Königin eines jeden Volkes für einen gewissen Zeitraum auf nur eine einzelne Brutwabe gesperrt, sodass 90 Prozent der Milben des Bienenstocks in den Zellen dieser Brutwabe sich aufhalten, die dann vernichtet wird. „Wenn das Volk etwa 10.000 Milben hat, dann fange ich damit 9.000 Stück. Es bleiben 1.000 übrig, die auf den Bienen sitzen. Die behandle ich dann mit Oxalsäure und töte damit wieder 90 Prozent ab. Übrig bleiben 100. Damit kann das Volk leben“, erklärt Maier.

Der Kreativität scheint in Sachen Varroa-Bekämpfung keine Grenze gesetzt. Auch bei anderen Imkern wird probiert und nach neuen Wegen gesucht. Die einen versuchen es mit ätherischen Ölen wie Thymol. Andere wiederum experimentieren mit Schallwellen, die ab 6.000 Hertz milbentötende Wirkung haben sollen.

Das ferne Ziel aber, darin sind sich alle Imker einig, muss eine neu gezüchtete Bienenrasse sein, die mit der Varroa fertig wird. Hoffnungslos sei diese Vision nicht, meint Stefan Fuchs, vom Institut für Bienenkunde in Oberursel. „Denn Beispiele in anderen Ländern haben gezeigt, dass dies im Prinzip möglich ist.“