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taz FUTURZWEI

Unterwegs in Südamerika ohne Smartphone Mein Handy ist weg

Auf ihrer Reise durch Südamerika wird unserer Kolumnistin das Handy gestohlen. Zum Glück ist sie von diesem blöden Gerät nicht abhängig, oder?!

Leider nur eine Fake-Telefonzelle... Foto: Axel Bradatsch

Mein Handy ist weg. Ein Typ hat es mir einfach aus der vorderen Hosentasche rausgezogen. In der einen Millisekunde, in der ich meinen Rucksack zurecht gerückt hatte. Während ich versuchte, durch ein Gewühl von Menschen und Marktständen voller Plastik-Schrott durch zu kommen.

„Fuck, fuck, fuck!“ schreie ich und schlage mit der Faust gegen die erstbeste Hauswand. Vollbepackt mit unserem ganzen Hab und Gut – zwei große Rucksäcke und ein kleiner, in letzterem haben wir, total schlecht durchdacht, alle lebensnotwendige Medikamente und Wertsachen verstaut – stehen wir, Arsen und ich, nun auf halbem Weg zum Hauptbahnhof von Santiago de Chile. Seit fast drei Monaten reisen wir mehr oder weniger auf den Spuren von Che Guevara durch Lateinamerika. Die Episode heute hat wohl eher weniger mit Che zu tun.

„Mein Handy ist weg“, schreie ich eine Frau auf Spanisch an, die neben mir an einem Marktstand steht. Sie schaut mich verstört an, zuckt mit den Schultern.

Ich weiß schon, sie kann ja nichts dafür, aber hat sie es nicht gesehen? Wie ich dem Typen mit meinem Handy hinterhergerannt bin – was man übrigens nie machen sollte, weil die Gefahr extrem hoch ist, abgestochen zu werden, wie uns später erklärt wird. Hat sie nicht gesehen, wie ich gefühlt hunderte Menschen angeschrien habe, dass der Typ da mein Handy geklaut hat. Als ginge es um mein Leben.

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fotos, Kontakte, Erinnerungen - alles weg!

Ich meine, es geht ja um mein Leben! Fotos, Kontakte, Termine, Notizen, Bankkonten, alles was mich ausmacht, gesammelt in einem kleinen elektronischen Gerät. Alles würde verblassen, die Erinnerungen, die die Fotos abrufen, meine ganzen Gedanken, die ich beim Warten auf die Bahn in die Notizenapp geschrieben hatte. Diese vielen Nummern, die ich nie anrufe, aber gesammelt hatte, falls es sich mal ergeben sollte, dass – ach, ich weiß auch nicht so genau.

Ich lasse mich auf den Bordstein fallen. Ich bin am Boden. Wir sind am Boden. Nicht nur mein Leben ist jetzt weg, sondern unser beider Leben. Arsens Handy war ja auch gestohlen worden, wenige Tage zuvor, in Argentinien.

Wir brauchen einen Plan.

Ich fasse an meine Hosentasche, um auf google maps zu checken, wo wir eigentlich genau sind.

Fuck. Google maps ist natürlich auch weg, die Wegbeschreibungen sind weg!

„Wie sollen wir hier nur je wieder wegkommen?“, rufe ich verzweifelt. „Wie sollen wir was kaufen? Wie bezahlen? Wissen, wann die Busse fahren? Einen Platz zum Schlafen finden?!“

Arsen hält mir eine Wasserflasche hin und sagt mir, dass ich ganz ruhig atmen soll. „Wir gehen erstmal zur Polizei und schauen, dass deine Karte gesperrt wird“, sagt er.

Erstmal zu den Carabineros

Die Polizei nennt sich hier „Carabineros de Chile“, sitzt wenige Meter vom „Tatort“ entfernt in ihren gepanzerten Wagen und hat nichts gesehen. „Das passiert hier öfter. Da müsst ihr halt aufpassen“, sagt der eine Beamte. Die Frage, ob wir Anzeige erstatten können, ignoriert er.

Stattdessen erzählt er von den vielen kriminellen Venezolanern hierzulande und sagt dann noch:„Zum Glück haben wir die Andenkette, das macht es denen schwerer, einfach hier reinzuspazieren.“ Am Ende begleiten uns zwei Carabineros zur nächsten Metrostation und erklären uns noch den Weg zur deutschen Botschaft. Die sollen uns helfen.

In der völlig überfüllten U-Bahn überlege ich, was der Typ mir lieber hätte stehlen sollen. Ehrlich gesagt: Alles wäre mir lieber gewesen. Nur nicht das Smartphone. „Vielleicht können wir meine Nummer anrufen und ihm Geld fürs Handy anbieten“, sage ich zu Arsen. Und weiß, das ist genauso unrealistisch, wie mein Smartphone irgendwo auf dem Markt zufällig wieder zu sehen.

Verzweiflung steigt in mir hoch.

Ich bekomme Entzugserscheinungen

Plötzlich ist da ein Vibrieren an meinem Körper. Eine Nachricht! Ich fasse an meine Hosentasche und spüre die Leere, wo bislang immer mein Mobiltelefon war. Eine Phantomvibration! Drehe ich jetzt völlig durch? Ich, die doch ihre Bildschirmzeit (fast) immer unter Kontrolle hat, die nur bewusst soziale Netzwerke konsumiert und sich doch aus Prinzip nicht von so einem doofen Gerät abhängig macht.

Ich starre in die Gegend – hab’ ja keinen Bildschirm mehr, in den ich mich verkriechen kann. Niemand schaut mich an, alle blicken in ihre Bildschirme.

Letztens hatte ich mit einem Freund telefoniert, der als Lehrer arbeitet. „Also bei uns ist es so: die eine Hälfte der Schüler steht in der Pause in der Raucherecke. Die andere ist am Handy“, hatte er gesagt. Krass, hatte ich gedacht. Zum Glück hat meine Generation noch eine handyfreie Kindheit erlebt und kann deswegen viel besser damit umgehen. Als wir aus der U-Bahn raus sind, zünde ich mir erstmal eine Kippe an.

Dann hatte mir mein Lehrer-Freund noch von einer Studie erzählt, die gezeigt habe, dass allein die Anwesenheit eines ausgeschalteten Handys zu Konzentrationsschwierigkeiten und Ablenkung führt. Na, das Problem habe ich jetzt nicht mehr, denke ich. Ich habe auch keine Fomo mehr, keine Angst irgendwas zu verpassen. Keinen Stress mehr, dass irgendwelche Nachrichten seit Tagen unbeantwortet immer wieder aufploppen. Dafür innere Leere, Isolation, das Gefühl, als hätte man ein Teil meines Lebens gelöscht.

„Jetzt übertreib mal nicht“, sagt Arsen. Aber der hat gut reden, er hat seine Daten in der Cloud gespeichert.

Schlafen und vergessen...

Nach einer langen Odyssee zur deutschen Botschaft, wo wir sehr gut betreut werden und man uns mit Haribo und Laugengebäck etwas tröstet, lassen wir uns – da wir ja keine Handys haben und sonst nicht wissen wohin – für viel zu viel Geld, aber in einem sicheren Taxi, zurück zum Hostel fahren, aus dem wir vor einigen Stunden ausgecheckt hatten.

„Habt ihr noch ein Zimmer für zwei?“, frage ich völlig fertig den Rezeptionisten. Ich will mich nur noch hinlegen, schlafen und vergessen. Heute Abend wird es kein entspanntes Scrollen auf Instagram geben, keine lustigen Reels, keine Schachpartie auf der Schach-App, kein voyeuristisches Mal-schauen-was-die-anderen-grad-erleben.

Kein kurzes Update auf tagesschau.de, was sonst so auf der Welt passiert ist. Wie sind die Menschen eigentlich schlafen gegangen, als es noch keine Smartphones gab?

Der Rezeptionist reißt mich aus den Gedanken: „Zimmer müsst ihr online buchen“, sagt er. Bevor ich ihn anschreie, was denn dann sein Scheißjob hier sei, halte ich nochmal inne und fasse einen Beschluss: Morgen kaufe ich mir eine Analogkamera, und dann werde ich erst Postkarten schreiben, und dann auch den ein oder anderen Brief. Ich denke sogar drüber nach, mir ein Festnetztelefon zuzulegen, wenn ich wieder in Deutschland bin.

Aber jetzt brauch ich erstmal ein Handy.