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Aktivismus an der Front in der Ukraine Zwischen Drohnen und Denkblockaden westlicher Linker

Der linke Aktivist Sergey Movchan spricht über seinen Aktivismus an der Front in der Ukraine und über mangelnde Solidarität aus dem Westen. Yelizaveta Landenberger hat Movchan besucht. Sie kommt zum tazlab.

Drohnen Marke Eigenbau: Für die Ukraine sind diese improvisierten Drohnen ein wichtiges Element der Verteidigung Foto: Stringer/REUTERS

taz lab | Auf dem Kaminsims stehen Fotos von im Krieg gefallenen Ge­noss*in­nen, im Raum verteilt stapeln sich Kisten mit Hilfslieferungen für die Front. Anfang März bin ich im Lagerraum der anarchistischen NGO Solidarity Collectives in Kyjiw zu Besuch, um mit dem Aktivisten Sergey Movchan zu sprechen. Er hat uns Kaffee gemacht, neben ihm auf dem Sofa liegt eine kugelsichere Camouflage-Weste.

„Einmal im Monat sammeln wir die Anfragen von unseren Genossen, unseren Kämpfern, kaufen dann alles ein und verschicken es an die Front“, berichtet er. Medizinprodukte seien dabei besonders gefragt, manchmal handele es sich aber auch um größere Anschaffungen wie Autos. Die Spendengelder für die Einkäufe erhält die NGO über Social Media und Veranstaltungen. Während am Anfang der Großinvasion vor allem kleine Beträge über Social Media zusammenkamen, haben die Ak­ti­vis­t*in­nen in den letzten drei Jahren Netzwerke mit anderen Linken in Europa bilden können.

Zu ihnen zählt auch die Berliner Hilfsorganisation Radical Aid Force, die ich vor einem Jahr bei ihrer Fahrt bis wenige Kilometer vor die Front in der Region Donetsk begleiten durfte. Damals verteilten die deutschen Ak­ti­vis­t*in­nen Hilfsgüter an die dortigen Zivilist*innen, die sonst nur selten Hilfe erreicht. Auf dem Weg dorthin machten wir Halt bei Solidarity Collectives, um Lieferungen auszutauschen und um zu quatschen. Linke NGOs, die Ukrainehilfe leisten, halten zusammen – international.

Bild: Privat

Yelizaveta Landenberger

studierte u. a. Philosophie, Jüdische Studien und Slawistik. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ostslawische Literaturen und Kulturen der HU zu Berlin und ist als freie Journalistin tätig, wobei sie auch für die taz schreibt.

Die Verwechslung von Besatzung mit Frieden

Doch nicht alle An­ti­fa­schis­t*in­nen ziehen mit. In Griechenland etwa gebe es zwar viele Anarchist*innen, so Movchan, aber die meisten seien gegen eine Unterstützung der Ukraine. Die Kyjiwer NGO erreichten Vorwürfe, sie seien Militaristen, Nationalisten, keine Linken. Nur wenige würden dabei direkt Putin unterstützen, der Großteil nehme „abstrakt-pazifistische Positionen“ ein.

„So was wie ‚Krieg ist schlecht, Menschen sterben, wir müssen ihn sofort aufhalten – hier und jetzt, egal mit welcher Methode‘.“ Unter welchen Umständen das passiere, darüber würden viele gar nicht erst nachdenken, sagt Movchan. „Sie sind dazu bereit, die Besatzung zu unterstützen. Ich stimme zu, dass Krieg schlecht ist, wir möchten ja auch, dass er aufhört. Aber das sollte nicht durch Kapitulation geschehen.“

Die Verwechslung von Besatzung mit Frieden ist etwas, was auch mir immer wieder in Gesprächen mit westlichen Linken begegnet. Setzt Russland seine Interessen durch, bedeutet das für die Menschen in der Ukraine Unterdrückung, Angst, Gewalt, Verschleppung, Mord – all das, was sich in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten beobachten ließ und lässt. Den russischen Imperialismus kann man nicht mit Wunschdenken und Friedenstauben bekämpfen.

Neben den westlichen Linken mit Denkblockaden gibt es Movchan zufolge auch „Vulgärmarxisten“, die in ihrem ideologischen Weltbild gefangen seien. „Überall sehen sie ökonomische Gründe als einzige Ursache. Dieser Ansatz führt sie in eine Sackgasse. Es geht Russland hier nicht primär um Ressourcen, es geht wirklich um neoimperiale Politik, um Einflusszonen, darum, Kontrolle zu schaffen.“

„antifa drones against russian imperialism“

Während unseres Gesprächs bekommt Movchan eine Nachricht auf sein Handy, die wiederum Hoffnung macht. Die tschechische anarchistische Gruppe Solidrones hat DIY-Drohnen, die zu etwa 80 Prozent fertiggestellt sind, per Post an die befreundete Kyjiwer NGO verschickt. Er werde die Lieferung nachher abholen und Ak­ti­vis­t*in­nen von Solidarity Collectives werden dann weiter an den Drohnen löten, erzählt Movchan. Im nächsten Schritt würden die kleinen Quadrocopter an die Front verschickt, wo die Sol­da­t*in­nen sie mit Sprengsätzen ausstatten und einsetzen.

Linke, die an der Vorstufe von Waffen basteln – das mag zunächst befremdlich klingen. Dafür haben sie aber gute Gründe. „Unsere Freunde waren mit einer furchtbaren Situation an der Front konfrontiert, und wir wollten nicht einfach dasitzen und warten und dabei zusehen, wie sie verwundet und getötet werden“, schreiben die tschechischen Ak­ti­vis­t*in­nen in einem Erklärungs-Post mit dem Titel „antifa drones against russian imperialism“ auf Instagram.

Ihre Mutmaßung: „Vielleicht haben Menschen in manchen Ländern nicht dieselben Traumata und Erfahrungen. Vielleicht ist das der Grund, wieso manche Menschen in der westlichen Welt für die Sowjetzeit schwärmen und sich Entschuldigungen für den russischen Imperialismus ausdenken.“

🐾 Unsere Autorin Yelizaveta Landenberger ist zu Gast auf dem tazlab am 26.April, auf der Bühne mint um 13 Uhr.