Gedankenspiel einer taz-Neugründung (5): Clara Vuillemin : Mit Gewohnheiten brechen
taz die Tageszeitung? Nein, heute würde keine Tageszeitung mehr gegründet werden, so taz-Autorin und Gründerin Clara Vuillemin.
Aus der taz | Erstens: Niemand würde heute eine Tageszeitung gründen.
Schon gar nicht auf Papier, aber genau so wenig online, egal ob als Website, App, E-paper oder was auch immer. Der einzige Grund, warum es Tageszeitungen noch gibt, sind alte Gewohnheiten des Publikums. Ansonsten ist die Tageszeitung passé.
Der hoffnungslose Versuch, täglich die Welt abzubilden, kann nicht eingehalten werden, und selbst wenn: Wer kann schon Tag für Tag die ganze Welt aufnehmen? Tageszeitungen geben uns das Gefühl, gut informiert zu sein, während sie uns tiefer in die Verzweiflung über eine kuratierte Wirklichkeit drücken.
Autorin der taz und Co-Gründerin des digitalen Magazins „Republik”, wo sie sich von 2016 bis 2022 um Technik, Produkt, Geschäft, Kampagnen und Strategie kümmerte.
Zweitens: Die taz wurde nicht von Journalist:innen gegründet.
Hans-Christian Ströbele, zentrale Gründungsfigur und selbst Anwalt: "Es gab Taxifahrer, Sozialarbeiter, Lehrer, viele Studenten, aber kaum gelernte Journalisten." Das wäre heute nicht anders.
Wer etwas wirklich Neues erschaffen will, muss einerseits mit den Gewohnheiten des Alten brechen und andererseits viele unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen.
In Zukunft: kollektiv wach machen
Damals war die taz anders, und das war auch zu sehen. So schrieben zum Beispiel die Schriftsetzer, andernorts als technische Hilfsarbeiter betrachtet, zur Freude der Leserschaft und zum Leid der Autor:innen als „Säzzer“ in eckigen Klammern eigene Kommentare und Gedanken in die Texte.
Drittens: Die neue taz würde nicht Journalismus um des Journalismus willen machen.
Nochmal Ströbele über die taz-Gründer:innen: "Sie wollten zukunftsweisende Ideen propagieren." Die zentrale Frage für eine neue taz, um die alle Beteiligten, vom Koch in der Kantine über die Redakteurin bis zum Leser ständig kreisen würden, würde lauten: "Wie sieht eine bessere Welt aus, wie kommen wir dahin und was sollten wir jetzt dafür tun?"
Das Format? Vieles ist vorstellbar. Ein digitales Magazin wie die Republik? Ein Newsletter, an dem über hundert Autor:innen mitwirken wie The European Correspondent? Dazu Bücher und Youtube-Kanäle?
Was ist die Seitenwende und warum machen wir das? Unser Info-Portal liefert ihnen weitere Hintergründe, Einblicke und Ausblicke: taz.de/seitenwende
Unabhängig davon, ob es Texte, Bilder, Videos, Podcasts, Events oder alles zusammen wäre, würden die Inhalte die Themen so gut erklären, dass hinterher tatsächlich alle klüger sind. Und sie wären gespickt mit kleinen und großen Überraschungen, um ganz viel Lächeln in die Welt zu zaubern.
Es wäre ein kollektives Projekt, das mit viel kritischem Geist, Sachverstand, Witz und Liebe jeden Tag die Köpfe des Publikums wacher machen würde. 🐾