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Wuppertal-OB Schneidewind im Gespräch Die unendliche Kraft der Nein-Sager

Warum ist in der Theorie alles so klar und in der Praxis stockt es dann überall? Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister von Wuppertal, über seine Erfahrungen nach dem Wechsel von der Wissenschaft in die Politik und die Macht der Nein-Sager.

Uwe Schneidewind, grüer Oberbürgermeister und selbsternannter Oppositionsführer in Personalunion Foto: picture alliance/dpa/Oliver Berg

taz FUTURZWEI | Uwe Schneidewind ist seit Ende 2020 Oberbürgermeister von Wuppertal. Er ist zwar Grünen-Mitglied, war allerdings gemeinsamer Kandidat von Grünen und der CDU. Am 27. September 2020 gewann er mit 53,5 Prozent die Stichwahl gegen den SPD-Amtsinhaber Andreas Mucke. Vor seiner „Politiker-Karriere“ war er Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie sowie Präsident der Uni Oldenburg.

taz FUTURZWEI: Lieber Herr Oberbürgermeister Schneidewind: Sie sind vor drei Jahren von der Theorie in die Praxis gewechselt, von der Leitung des Thinktanks Wuppertal Institut ins Wuppertaler Rathaus. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Uwe Schneidewind: Das ist eine sehr allgemeine und abstrakte Frage. Früher hätte ich so was verstanden.

Sie lachen. Kleiner Scherz zum Aufwärmen?

„Es geht im konkreten politischen Tun erst mal gar nicht um die Sache und Inhalte. Es geht um Menschen, es geht um Vertrauen.

Im Ernst: Mir war sehr bewusst, dass das, was man glaubt, theoretisch verstanden zu haben, doch nur ein kleiner Teil der Wahrheit ist. Deshalb habe ich den Schritt ja gemacht. Dieser Gestus der Wissenschaft: Wir haben verstanden. Und jetzt erklären wir euch mal, wie's geht: Das war für mich zunehmend belastender geworden. Gerade nachdem ich das Buch zur Großen Transformation geschrieben hatte, ein Kondensat von dreißig Jahren Forschung im Wuppertal Institut. Man denkt, da ist jetzt alles drin. Aber wenn es konkret wird, dann lassen sich schnell ganz viele Leerstellen entdecken: Denen näher zu kommen, hat mich gereizt, als sich diese Gelegenheit auftat, Oberbürgermeister von Wuppertal zu werden.

Sie haben die Leerstellen entdeckt?

Ja. Ich habe viele wichtige Erfahrungen gemacht und verstehe sehr viel besser, warum Umsetzung im Konkreten so schwer ist und dass Dimensionen eine Rolle spielen, die man in ihrer Tragweite und Intensität gar nicht erfasst, wenn man das nur konzeptionell und theoretisch untersucht.

Die Stimmung in Wuppertal ist heute nicht gerade von Schneidewind-Begeisterung geprägt, um es mal vorsichtig zu sagen.

Ich bin weit hinter dem zurückgeblieben, was ich selbst als Anspruch hatte, und was insbesondere diejenigen als Hoffnung hatten, die mich gewählt haben, weil sie dachten, jetzt kommt da der Nachhaltigkeitspapst und dann wird gleich alles gut. Auf der anderen Seite: Dadurch, dass man im System angekommen ist, weiß man jetzt, wie man an den Rädchen und Schrauben drehen muss, damit es sich nach vorn bewegt, wenn vielleicht auch langsamer, als man sich das ursprünglich erhofft hätte.

Können Sie das mal konkretisieren?

Es geht im konkreten politischen Tun erst mal gar nicht um die Sache und Inhalte. Es geht um Menschen, es geht um Vertrauen. Es geht um die Frage: Was bewegt eigentlich Einzelne in diesem System und wie bewegt man dann so ein ganzes System und eine Menge von Menschen? Das ist eine Dimension, die bei unserer theoretischen Betrachtung unterbelichtet ist. Ich kam als komplett Systemfremder, der ja vorher weder in der Lokalpolitik noch in der Verwaltung unterwegs war, und das auch noch in der Coronazeit.

Heißt?

Man kann so einen Neuen erst mal nicht einschätzen. Wenn der dann noch mit irgendwelchen konzeptionellen Vorstellungen kommt, die vielleicht auch bedrohlich wirken, wird das nicht durch Grundvertrauen auf der persönlichen Ebene abgemildert. Die schlimmste Diffamierung war, wenn von mir als »der Herr Professor« gesprochen wurde.

Die Diffamierung der Theorie als praxisfern?

Ja. Nach dem Motto: Alles, was der jetzt als Nächstes sagt, könnt ihr schon mal vergessen. Das zu durchbrechen, hat anderthalb, zwei Jahre gedauert, weil während Corona die Erfahrung des persönlichen Kontaktes fehlte, den du als Oberbürgermeister zu den Menschen hast. Erst dadurch lernen Menschen dich kennen und denken, hey, mit diesem Professor kann man ja reden. Und dann gab es in Wuppertal noch mal Sonderfaktoren, weil meine Wahl durch ein grün-schwarzes Bündnis möglich wurde, das aber keine Mehrheit im Rat hatte.

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Die SPD ist die stärkste Fraktion, dann CDU, dann Grüne.

Die SPD war tief getroffen, dass ihr Amtsinhaber aus dem Amt verdrängt wurde, und vom ersten Tag an in ganz starker Oppositionsrolle, sehr gut aufgestellt als Fraktion mit einem sehr erfahrenen Fraktionsvorsitzenden. Die haben dann die Minderheitskoalition aus CDU und Grünen kaum richtig durchatmen lassen. Durch diese Konstellation hat es dann auch das schwarz-grüne Bündnis zerrüttet. Dadurch stand ich dann plötzlich allein da. Ich sage immer, ich bin erster Oppositionsführer.

Was ist die prägende Erkenntnis über die Umsetzung von sachorientierter Politik?

Da ist die unendliche Kraft des Neins. Jemand, der eigentlich überhaupt keinen Gestaltungsanspruch hat und vielleicht auch gar kein Gestaltungsvermögen, hat im politischen Betrieb einfach dadurch eine Machtposition, dass er verhindert und nein sagt.

Warum macht ihn das stark?

Damit baut er eine gewaltige Verhandlungsposition gegenüber denjenigen auf, die im System produktiv etwas nach vorn bewegen wollen. Typen wie ich sind die dankbarsten Opfer. Leute, die in die Politik gegangen sind, weil sie echt was gestalten wollen, sind beliebig erpressbar, wenn sich jemand reinstellt und sagt: Also, Herr Schneidewind, das sehe ich überhaupt nicht so, das werde ich auf jeden Fall verhindern. Du hast die ganzen guten Argumente und dann sagt der andere: Herr Schneidewind, jetzt reden wir erst mal darüber, was ich will. Und wenn wir das verhandelt haben, kann ich gucken, was ich von Ihrem abstrusen Zeugs unterstütze. Nein-Profis haben eine starke Ausgangsposition und können sich gerade in diesem System hervorragend entwickeln. In der Wirtschaft, in der Wissenschaft und anderen Bereichen kommst du mit so einem reinen Nein nicht weit. Im politischen System ist das eine Machtquelle.

Ein Nein kann auch gute Argumente haben.

Selbstverständlich haben Nein-Profis eine wunderbare Rhetorik drumherum, warum sie nur das Beste für die Stadt und den Globus wollen. Es gibt aber noch einen interessanten Punkt: In der Lokalpolitik kann viel Relevantes ermöglicht oder eben auch verhindert werden bei strukturell angelegter Verantwortungslosigkeit.

Was heißt das genau?

Jemand, der sich ehrenamtlich in einen Stadtrat wählen lässt, der muss sich nicht verantworten. Es droht keine Klage, dass er den Fortschritt in dieser Stadt systematisch verhindert hat oder völlig unqualifiziertes Personal ausgewählt hat, weil es vielleicht gerade das richtige Parteibuch hatte. Und damit trifft man immer auch auf Personen, die destruktive Strategie beliebig praktizieren können, ohne dafür in Rechenschaft zu kommen. Das gilt auch mit Blick auf den populistischen Rand: Das sind in besonders krasser Form Verhinderer und Demokratiezerstörer. Die richten Schlimmstes an, aber werden von niemandem in Haftung genommen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie entlarvt werden, und dann werden sie nicht mehr gewählt.

Für das, was du nicht tust, wirst du nicht haftbar gemacht. Das gilt auch für die Bundespolitik der Merkel- und SPD-Jahre. Wenn wir jetzt mal unseren Wirtschaftsminister nehmen, den Vizekanzler, er gilt als Meister des guten Kompromisses. Zufrieden mit seiner Transformationspolitik ist niemand.

Ja. Robert Habeck hat eine ähnliche Herausforderung. Ein Transformationsanliegen ist völlig ungeeignet, um Politik zu machen. Damit ist man ein unwahrscheinlich angreifbares Wesen. An Beispielen wie Herrn Weselsky lässt sich eindrucksvoll beobachten, wie weit du als disruptiver Neinsager kommst. Das ist ein Phänomen im politischen Betrieb, das hochgefährlich ist.

Was braucht man, um als professioneller Neinsager dauerhaft erfolgreich zu sein?

Als Neinsager erwirbt man sich Verhandlungskapital. Die andere Seite muss dir irgendetwas bieten, um das Nein zumindest abzumildern. Die erfolgreichen Neinsager setzen dieses Verhandlungskapital zu ihrer persönlichen Stabilisierung ein. Du versorgst Leute mit Jobs, die sie nie bekommen würden, wenn du sie nicht besorgt hättest. So entstehen Netzwerke der Mittelmäßigkeit. Zum Teil ist es dann eben ein bestimmter Ausschussvorsitz oder eine Verwaltungsratsmitgliedschaft, die mit Status und vielleicht auch mit Aufwandsentschädigungen verbunden ist. Das sind alles Währungen in dem System. Das geht dann nach dem Motto: Herr Schneidewind, dieses Verkehrsanliegen ist nicht unsere Sache, das verhindern wir jetzt erst mal, aber wir haben doch da noch den Verwaltungsrat zu besetzen. Dadurch entstehen dann Systeme von Abhängigkeiten, die innerhalb von Fraktionen Mehrheiten sichern und die Macht derjenigen stabilisieren, die ihr durch das Nein erworbenes Kapital klug eingesetzt haben.

Ein Oberbürgermeister-Kollege sagte uns: Wenn du da neu reinkommst, dann testen die auch erst mal, wer du bist und was du draufhast und wie weit sie mit dir gehen können. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?

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Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?

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Absolut. Die Hoffnung war: Wenn wir den Schneidewind gleich mürbe schießen, dann sind wir den 2021 mit der Bundestagswahl wieder los. Wenn der merkt, was das für ein Höllenritt für ihn wird, wird der mit fliegenden Fahnen nach Berlin gehen, sobald er irgendeinen Anruf bekommt. Es kam noch dazu, dass die wichtigste regionale Zeitung sich auch auf mich eingeschossen hatte. Die Fachqualifikation, auch die persönliche Qualifikation, ist erst mal überhaupt nichts wert, solange man sich nicht in die Spielregeln der Machtproduktion einklinkt. Hat man das erfolgreich gemacht, ist es vielleicht irgendwann nicht mehr schädlich, dass man auch was draufhat.

Wenn Sie die Politik-Realität beschreiben, dann würde ich als politischer Gegenspieler sagen: Ja, wenn der Herr Professor die Hitze nicht aushalten kann, dann soll er nicht in die Küche gehen.

Stimmt. Deshalb habe ich auch extremen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die schon lange und erfolgreich im Amt sind. Das ist ein Zehnkampf. Und da kann man sagen: Toll, Schneidewind, wie du acht Sachen beherrschst. Aber wer im Stabhochsprung immer schon bei zwei Meter reißt, der wird eben nie Olympiasieger. Und wenn du dann so zart besaitet bist, dass du so was nicht abkannst, dann ist das eine der nicht beherrschten Disziplinen, die nötige Härte mitzubringen. Aus inneren und äußeren Kraftquellen schöpfen zu können, das ist in einem solchen Amt genauso wichtig, wie andere Fähigkeiten. Viele in meinem persönlichen Umfeld hatten mich deshalb von vornerein gewarnt: Uwe lass das, das ist nichts für dich.

Und?

Ich kriege auch Stabhochsprung inzwischen hin.

Ihr sozialökologischer Oberbürgermeister-Kollege Boris Palmer sagt, man brauche eine zweite Amtszeit, um Dinge wirklich entwickeln zu können. Bei Ihnen hört sich das fast so an, als hätten Sie schon abgeschlossen.

Boris Palmer und auch andere, die in dem System viel länger und auch erfolgreich unterwegs sind, ziehen Kraft und Motivation aus Quellen, die man, glaube ich, komplett unterschätzt. Dazu gehört vor allem die Verwurzelung in der Stadt. Wenn ich zu einer Feuerwehr-Veranstaltung gehe, und das ist vielleicht jetzt nicht so mein Terrain, dann treffe ich da aber den Dieter und den Klaus, mit denen ich in die Grundschule gegangen bin und eine gemeinsame Geschichte habe. Oder du kommst an Orte, mit denen du ganz bestimmte Dinge aus deiner Jugend oder Kindheit verbindest. Das ist eine emotionale Bindung an den Ort und die Menschen über einen sehr langen Zeitraum. Wenn jemand von außen kommt, hängt die Verankerung stärker an Fakten. Das ist nicht die gleiche Intensität.

Sie leben doch seit Jahren in Wuppertal?

Die Leidenschaft, mit der man sich für die Stadt einsetzt, kann ähnlich sein. Aber die biografische Bindung ist entscheidend dafür, was du bereit bist, einzustecken und wie viel eigene emotionale Energie und Kraft man in eine zweite oder dritte Amtszeit stecken kann.

Und?

Ich habe das noch nicht entschieden. Ich habe angekündigt, dass ich das Ende dieses Jahres entscheide, weil ich eben merke, dass mir der Job mit jedem Monat mehr Spaß macht.

Das kommt jetzt überraschend.

Ja. Seit ich aus dieser Hölle der ersten beiden Jahre heraus bin, spüre ich immer mehr, wie viele befriedigende Momente gerade durch die unmittelbare Interaktion entstehen und wie die Dinge auch vorangehen. Ich verstehe jetzt, warum Leute total gern Oberbürgermeister sind. Aber es geht auch um eine Konstellation, die der Stadt dient. Wir haben aktuell eine Grundstimmung mit viel Grünen-Bashing. Es ist alles dafür angerichtet, einen Wahlkampf zu inszenieren, in dem es nur um eines geht: deutlich zu machen, was das für ein Griff ins Klo war.

Sie.

Fünf Jahre mit diesem Grünen Oberbürgermeister und seinen theoretischen Konstrukten. Wenn das so käme, entstünde für die Stadt etwas total Destruktives und eben kein Wahlkampf, der nach vorn geführt wird und die Frage klärt: Wo wollen wir hin? Am Ende gewinnt die- oder derjenige die Wahl, die oder der dieses destruktive Geschäft am besten beherrscht. Ich sage den beiden großen Parteien heute schon: Wenn ihr Kandidaten präsentiert, von denen ganz viele das Gefühl haben, die sind für die Stadt gut, die bringen sie voran, die verbinden wieder, bin ich der Letzte, der das verhindern will. Wenn es aber keine richtig guten Kandidaten sind, dann müsst ihr mit mir rechnen.

Dieses Auseinanderfallen des Symbolischen und des Praktischen ist ja vermutlich auch der Grund, warum in bestimmten, gerade sich progressiv nennenden Kreisen das Symbolische so unglaublich große Bedeutung hat. Symbolisch kann man leicht progressiv sein. Wenn man aber anfängt, Ernst zu machen, wird es schwierig und diffus. Und da ist die Frage, wie man dann trotzdem praktisch etwas voranbringen kann.

Ja, dieses Auseinanderfallen des Symbolischen und Praktischen macht mir auf eine besondere Art zu schaffen. Gar nicht jetzt wegen Grüncodierung, sondern weil ich stets einen Hang gehabt habe, konkrete Umsetzungsverantwortung zu übernehmen. Als Unipräsident und auch im Wuppertal Institut habe ich auf Kosten des Äußeren und Symbolischen oft viel zu sehr daran gearbeitet, dass nach innen der Laden läuft.

Was meinen Sie?

Nehmen Sie Ernst Ulrich von Weizsäcker, der durch seine geniale Persönlichkeit nach draußen einen großen Effekt erreichte, weil er wusste, darum geht es. Ob der Laden ökonomisch läuft und drinnen alles gut funktioniert, darauf habe ich dagegen immer viel Energie verwendet. Das ist hier in der Stadt ähnlich. Ich versuche, die konstruktiven Leute zu empowern, schaue auf die richtige Kultur und Strukturen in der Verwaltung, um eine Organisation mit 5.000 Menschen handlungsfähig zu machen. Die Institutionen, die ich verlassen habe, sind auch nach meinem Weggang weiter aufgeblüht, weil die Grundlagen gelegt wurden. Wie gut ein Manager war, merkt man wirklich erst zwei bis drei Jahre, nachdem er gegangen ist. Politik dagegen läuft im Wesentlichen über die symbolische Inszenierung im Hier und Jetzt.

Verstehen wir das richtig: Sie machen zu wenig Symbolpolitik?

Sagen wir so: Ich verstehe inzwischen besser, warum in Spitzenpositionen Verantwortliche nicht nur ihre Büroleitung, sondern auch immer ihre Kommunikationschefin mitnehmen. Du brauchst eine Person und ein Team, das sich ganz auf die symbolische Story konzentriert: Mach das oder mach das nicht. Aber was es wirklich braucht, um komplexe Systeme gut zu machen, ist oft etwas ganz anderes als das, was es in der Symbolwelt braucht, um gewählt oder wiedergewählt zu werden. Mein Hauptanliegen in den kommenden zwei Jahren ist es, einen Verwaltungsvorstand zu schaffen, der unabhängig vom Ausgang der nächsten Kommunalwahl produktiv zusammenarbeitet. Es geht um eine Leitungsmannschaft, die mit dem ganzen Führungskräfte-Team eine Kultur des produktiven Bewegens etabliert. Nur so ist zu verhindern, dass eine Stadt nach Wahlen erst mal über einige Zeit lahmgelegt ist, bis sich alles komplett neu eingependelt hat.

Sie sagten, Ihre Stimmung steigt. Was genau führt dazu?

Das eine ist das lustvolle Experimentieren. Wir haben in einer Stadt, in der verkehrspolitisch überhaupt nichts gelaufen ist, über Modellversuche und Experimente plötzlich Plätze frei bekommen, die über zwanzig Jahre immer autodominiert waren. Über dieses Ausprobieren und die positiven Erfahrungen kriegst du dann auch die entsprechende Unterstützung und die Mehrheiten. Dann gibt es in Wuppertal grandiose Initiativen aus der Zivilgesellschaft: Die Wuppertalbewegung mit der Nordbahntrasse, das soziokulturelle Zentrum Utopiastadt und alles, was um diesen ehemaligen Bahnhof Mirke herum entstanden ist, das Klimaquartier Arrenberg und vieles mehr. Diese Initiativen sind ein Motor, den wir mit vollem Elan aus der Verwaltung heraus unterstützen und flankieren. Das ist ein zweiter zentraler Mechanismus, der dazu führt, dass wir Erfolgsgeschichten aus Wuppertal erzählen.

Und der dritte?

Eine dritte Strategie, und darum habe ich mich da so reingekniet, ist es, ein Dachprojekt zu schaffen, in das ich ganz viele Themen reinhängen kann. Dafür haben wir die Bundesgartenschau 2031. Bundesgartenschauen sind ja heute keine Blümchenschauen mehr. Sie sind ein schönes Projekt für die Bürger und ein großes Stadtentwicklungsprojekt zugleich. Für den produktiven Teil der Stadtgesellschaft ist eine Buga etwas, mit der Zukunfts- und Transformationsthemen vorankommen, ohne dass man ideologischen Ballast mit sich trägt, weil man einfach gern die eigene Stadt ins Schaufenster stellen und etwas vorzeigen will, wenn dann zwei bis drei Millionen Menschen kommen, um sich das anzuschauen.

Um den Bogen zu schließen: Ihre praktischen Erfahrungen sind ja auch theoretisch sehr ertragreich. Es bringt die Sache voran, wenn die Theorie versteht, weshalb Prozesse praktisch eben doch sehr komplex sind, langsam sind und dass Widerstände häufig nicht mit Überlegung, Argumentation, Fundament zu tun haben, sondern ganz andere Grundlagen haben.

Richtig. Parallel zu meiner Arbeit mache ich mir ständig Notizen. Das ist vermutlich etwas Wichtiges und Wertvolles, was ich eines Tages in den Diskurs zurückgeben kann, dann als Sprecher mit einer besonderen Autorität durch die eigenen Erfahrungen im System, die die Debatte erweitern und fundieren.

Die Große Transformation, Teil 2, also »Die Kleine Transformation«. Sie lachen?

Mir wird hoffentlich ein originellerer Titel einfallen. Aber ich kann dann tatsächlich erklären, was warum funktioniert hat und warum anderes nicht gekommen ist.

„Eine lokale Postwachstums- und Suffizienz-Debatte auch nur als Diskursraum aufzumachen, wäre der komplette politische Selbstmord.

Eine Grundthese ist, dass die soziale Frage im Grunde so mit der Gegenwart verhaftet ist, dass diese verständliche Fixierung auf die Gegenwart ökologische Politik extrem erschwert oder sogar unmöglich macht. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Entsprechend. Vor Ort zeigt sich das sehr deutlich. Was jetzt wirklich in den Kommunen unter den Nägeln brennt: Wo kommt der Kitaplatz her? Wie und wo beschule ich eigentlich die Kinder? Jetzt zu argumentieren, dass du auch mal aus städtischem Haushalt zwanzig bis dreißig Millionen in die Hand nehmen musst, um bei der energetischen Gebäudesanierung richtig Power zu machen, würde mir sofort abgeräumt werden, weil es eben heißt: Jetzt muss erst mal diese Schule fertiggebaut werden. Auf der lokalen Ebene ist Klimaschutz nur dann argumentierbar, wenn das Basale geregelt ist. In Städten wie Wuppertal und vielen anderen ist das Basale aber noch nicht geregelt. Und so bleibt diese grüne Transformation oft nur ein reines Randthema. Das ist frustrierend.

Wie steht’s denn mit unserem schönen Thema Postwachstum?

Es ist schon auf Bundesebene schwierig, einen weiterentwickelten Wirtschaftsdiskurs zu führen. Wie gestalten wir wachstumsresilientere Gesellschaften? Auf lokaler Ebene hast du im politischen Raum mit diesen Fragen faktisch keine Chance. Da geht's um mehr Gewerbeflächen und den Ausweis von neuen Wohnflächen. Eine lokale Postwachstums- und Suffizienz-Debatte auch nur als Diskursraum aufzumachen, wäre der komplette politische Selbstmord. Das Skandalisierungspotenzial ist viel zu groß, nach dem Motto: Jetzt dreht der Schneidewind komplett durch.

Ist also, und das ist ja wirklich eine Frage, die man ernst nehmen muss, ist Politik mit postfossilem Transformationsanspruch unmöglich?

Das sollte man jetzt nicht anekdotisch an meinem Einzelfall analysieren. Wichtig ist es, zu verstehen, warum jemand, dem man besonders viel Potenzial zugetraut hätte, genauso gnadenlos in der Realität ankommt wie andere. Und dann wiederum andere viel mehr hinkriegen, als man von ihnen vorher gedacht hätte. Es läuft ja eben an vielen Ecken doch relativ viel, weshalb es wichtig ist, diese Erfolgsfaktoren herauszuarbeiten. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich glaube nach wie vor, dass Transformationspolitik möglich ist.

Da bietet sich jetzt das wunderbare Aperçu von Daniel Cohn-Bendit an: Wir haben keine Zeit mehr, aber wir müssen sie uns nehmen.

Ich würde das eins zu eins unterschreiben, Politik mit Transformationsanspruch ist langsamer und extrem voraussetzungsvoll. Es geht ja um ein gesellschaftliches Transformationsprojekt. Und wenn uns die Gesellschaft auseinanderfliegt, und das droht sie ja zurzeit, dann wird es unmenschlich. Auch in einer 1,5-Grad-Welt. Das muss einem bewusst sein. Es gibt nicht den Imperativ der Physik. Es gibt einen Imperativ des gesellschaftlichen Miteinanders.

Dieser Beitrag ist in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°28 erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt es im taz Shop.