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Umstrittener Bahnstreik der GDL Sozial oder asozial?

Die freizeitorientierten Streiks der GDL sind reaktionäre Erpressungsmanöver zur Absicherung des eigenen Status Quo. Die Lage verlangt nicht weniger, sondern mehr Arbeit, meint Udo Knapp.

GDL-Chef Claus Weselsky spricht zu den Seinen picture alliance/dpa/Daniel Karmann

taz FUTURZWEI | Nach dem Abbbruch des Bahnstreiks in der Nacht zum Montag wird nun wieder verhandelt. Während der Verhandlungen wird die GDL bis März auf weitere Streiks verzichten.

Die GDLer erhalten schon mal einmalig 1.500 Euro Inflationsausgleich. Das aktuelle Angebot der Bahn: Lohnerhöhungen bis zu dreizehn Prozent in drei Schritten. Wenn die Lokführer auf den ersten Schritt verzichten, das wären 2,7 Prozent Lohnerhöhung, können sie ohne Lohneinbußen ihre Arbeitszeit von jetzt 38 auf 37 Stunden verkürzen. Die GDL lehnt dieses Angebot ab. Ihre Forderung: Eine schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden bis 2028 bei vollem Lohnausgleich und 535 Euro Lohnerhöhung, das sind etwa fünfzehn Prozent. Weniger Arbeit und mehr Lohn – das ist ihr Streikziel. Begründung: Die Transportleistungen der Bahn haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, die Zahl der Mitarbeiter aber hat nicht zugenommen.

Man muss sagen, dass die Bahnkunden die Streiks mehrheitlich ziemlich gelassen genommen haben. Für Arbeitgeber und andere gilt das weniger.

Ohne Streikrecht keine soziale Gerechtigkeit

Rainer Dulger, Präsident der Arbeitgeberverbände, zürnte: „Regellose Streiks schaden dem Land“. Die Politik solle über Regeln für faire Streiks nachdenken, die die öffentliche Infrastruktur nicht so sehr in Mitleidenschaft zögen. Gitta Connemann, Vorsitzende der CDU-Mittelstandsunion, dringt auf eine gesetzliche Regelung des Streikrechts in der Bundesrepublik. Denn jenseits der im Grundgesetz (Art.9, Abs. 3) garantierten Koalitionsfreiheit gibt keine gesetzlichen Regelungen zur Ausgestaltung des Streikrechtes. Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Uni Bonn: „Die scharfe Waffe Streik sollte erst gezückt werden, wenn pflichtige friedliche Verhandlungen nicht weiterführen, sie sollten nicht auf Dritte (etwa die Bahnkunden) gerichtet werden.“ Hagen Lesch, Tarifexperte des Institutes der deutschen Wirtschaft: „Das Gebaren der GDL verkommt zunehmend zum Klassenkampf “. Wie schrecklich.

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Nur zur Erinnerung: Ohne die Streiks der Arbeiter in der unregulierten und auf Ausbeutung fußenden ersten Industrialisierung vor 150 Jahren, ohne ihre Organisation in Gewerkschaften, gäbe es den heute in der Sozialen Marktwirtschaft eingehausten Kapitalismus nicht. Es gäbe keine rechtsverbindlichen Standards sozialer Gerechtigkeit, keine Chancen auf Zugang zur Bildung für alle undsoweiter undsofort.

Das Streikrecht ist vor diesem Hintergrund bis heute das Versprechen, dass soziale Gerechtigkeit auch mit Streiks und Massenstreiks durchgesetzt werden kann. Dafür wird es gebraucht und dafür kann es gebraucht werden.

Geht es beim GDL-Streik noch um soziale Gerechtigkeit?

Dass die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht auch immer wieder, geradezu revolutionär, an politische Systemgrenzen heranführen und sie sogar sprengen können, haben die polnischen Werftarbeiter 1980 bei ihrem erfolgreichen Massenstreik gegen die kommunistische Diktatur demonstriert. Dass solche Streiks auch scheitern können, hat sich in Großbritannien 1984/85 bei den Massenstreiks der Bergarbeiter gegen den neoliberalen Kurs der Premierministerin Thatcher erwiesen. Bei den aktuellen Massenstreiks in Argentinien gegen den menschenfeindlichen Anarcho-Liberalismus des neuen Präsidenten Javier Milei ist der Ausgang noch offen. Wer jedenfalls wegen der GDL-Streiks das Streikrecht einschränken will, der will nur die Gelegenheit nutzen, um historisch gewachsene und bewährte Freiheitsrechte einzuschränken, anstatt über Sinn und Unsinn der GDL-Forderungen nachzudenken. Hier geht es eben nicht um soziale Gerechtigkeit.

Weniger Arbeit, aber höhere Löhne, das scheint heute das allgemein geltende sozialpolitische Paradigma zu sein. Die Versprechen, soziale Ungerechtigkeit abzubauen, sind weitgehend eingelöst. Das heißt nicht, dass alle gleich sind, sondern der gesellschaftlichen Schichtung entsprechend, leistungsabhängig ungleich, aber staatlich durch Mindestsicherungen geschützt. Jedenfalls gibt es dadurch für eine systemsprengende Zukunftsidee von Gleichheit und Gerechtigkeit kein politisches Subjekt mehr.

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Es gibt keine kollektiven Kampfperspektiven, keine mobilisierenden politischen Utopien mehr. Heute bestimmen die Forderungen der Gewerkschaften das Streben nach immer mehr individuell ausgedehnter Freizeit in einer sich immer tiefer ausdifferenzierenden Konsumwelt, die dazu noch beliebig virtuell erweitert werden kann. Das schnelle Erreichen der Frührente als Lebensziel jenseits der Selbstverwirklichung in Arbeit und gesellschaftlicher Verantwortung, so kennzeichnet Hans Ulrich Gumbrecht, Emeritus in Stanford und Professor an der Hebrew University in Jerusalem, diese deutsche Haltung.

Der Gesellschaft stehen harte Zeiten bevor

Die demographischen Tatsachen des Rückgangs der Bevölkerung und dessen Wirkungen auf die Arbeitsmärkte, alle Infrastrukturen sowie auf die sozialen Sicherungssysteme, verlangen keine kürzeren, sondern generell längere Wochen- und Lebensarbeitszeiten. Zumindest, wenn die staatlichen Leistungen auf dem heutigen Niveau erhalten werden sollen.

Das Eindämmen der Klimakrise, die wirtschaftliche Globalisierung auf dem Weg in die eine Weltgesellschaft, die kommenden Systemkriege, verlangen höhere öffentliche Ausgaben und höhere Steuern, sowie eine Abkehr vom exzessiven, Ressourcen verbrauchenden Konsumismus.

Wer an der Bewältigung dieser Herausforderungen arbeiten will, der muss die dabei entstehenden Kosten mit Mehrarbeit, höheren Steuern und intelligent eingeschränktem Konsum aller Bürger finanzieren. Bei der GDL, bei den Bauern, den Spediteuren und den Träumern von einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich ist dieser Zusammenhang noch nicht angekommen. Ihre Streiks sind reaktionäre Erpressungsmanöver zur Absicherung des eigenen Status Quo. Es ist an den Arbeitgebern, sich nicht erpressen zu lassen. Das Streikrecht aber braucht wegen GDL & Co nicht eingeschränkt zu werden, es wird auch für politische Streiks in der Zukunft noch gebraucht.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.