Hartmut Rosa über Optimismus : „Zuversicht braucht Religion“
Der Soziologe Hartmut Rosa plädiert für den gezielten Kontrollverlust in Anbetracht der Krise. Religion kann dabei Selbstvertrauen lehren, meint er.
taz lab, 11.03.2023 | Interview AARON GEBLER
taz lab: Herr Rosa, unsere Gesellschaft steht vor verschiedenen Herausforderungen: Wir werden bedroht von der Klimakrise, einer Krise der repräsentativen Demokratie und wir haben einen Krieg in Europa. Was macht Sie zuversichtlich, dass wir diese Krisen lösen können?
Hartmut Rosa: Die Frage ist: Bin ich überhaupt zuversichtlich? Geschrieben habe ich immer mit einem gewissen Optimismus. Also es muss doch möglich sein, Dinge zu ändern, mit dem Appell: Guckt mal hin, das kann doch nicht sein, das können wir besser! Aber mit Blick auf diese Krisen ist meine Zuversicht zumindest erschüttert. Wir leben aktuell in einem Aggressionsverhältnis zur Welt. Zuversichtlich macht mich dabei aber das Wissen, dass Weltverhältnisse veränderbar sind. Ich glaube, dass unsere Urbeziehung zur Welt eine Resonanzbeziehung ist.
Was verstehen Sie unter einer Resonanzbeziehung zur Welt?
Jahrgang 1965, ist Soziologe und Politikwissenschaftler, Direktor des Max-Weber-Kolleges in Erfurt und lehrt Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Foto: Annegret Günther
Man versteht sie am besten über das Gegenteil: Unsere Krisen sind Folgen eines Aggressionsverhältnisses zur Welt, das wiederum mit der Einstellung zum Leben zusammenhängt, die auf Verfügbarkeit zielt. Wir versuchen überall zu optimieren und zu kontrollieren. Eine Resonanzbeziehung ist jedoch eine Beziehung, durch die ich mit etwas in Verbindung trete, ohne es beherrschen oder kontrollieren zu wollen. Liebe ist dafür ein gutes Beispiel: Liebe bedeutet, mit etwas in Verbindung zu treten, das sich meiner Beherrschung entzieht und damit unverfügbar ist.
Ist der technische Fortschritt ein Grund für den Verlust der Resonanzbeziehung zur Welt?
Nein, gerade die Moderne und der technologische Fortschritt haben uns Resonanzbeziehungen ermöglicht. Ein Beispiel: Menschen finden in Büchern Resonanz. Deshalb ist beispielsweise die Technik des Buchdrucks ein technologischer Fortschritt, der die Resonanzfähigkeit des Menschen erhöhen kann.
Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit Menschen Zuversicht empfinden?
Zuversicht hängt mit Kontrollüberzeugung zusammen. Wenn ich das Gefühl habe, alles unter Kontrolle zu haben, fällt es mir leichter, Zuversicht zu entwickeln. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich alles wissen muss. Darunter leidet unsere Kultur massiv: Wir denken immer, ohne Kontrolle bin ich verloren. Bei Zuversicht geht es darum, dass ich Vertrauen zu mir selbst habe, auf unkontrollierbare Situationen zu reagieren. Ich würde für Zuversicht plädieren, die eben nicht nur auf Kontrolle beruht, sondern auf einem Urvertrauen aufbaut.
Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit: Welche Unterschiede bestehen in Bezug auf Zuversicht zwischen den 1970er bzw. 1980er Jahren und heute? War es nicht schon immer so, dass Menschen elementaren Krisen ausgesetzt waren?
Ja. Dass Menschen sich fragen, ob man in diese Welt Kinder setzen kann, ist nichts Neues. Seit der Französischen Revolution haben wir eigentlich Dauerkrise. Ich frage pessimistische Menschen immer: Wann hättest du denn leben wollen? Während der Weimarer Republik, dem Ersten oder dem Zweiten Weltkrieg? Im Vergleich zu den 1970er und 1980er Jahren hat die Idee an Überzeugungskraft verloren, dass man Gesellschaft planen und gestalten kann. Außerdem hat heute die ontologische Verunsicherung eine neue Ebene erreicht.
Was meinen Sie damit?
Die ontologische Sicherheit ist die Tatsache, dass wir fraglos Dinge als gegeben annehmen. Beispielsweise, dass morgen die Sonne aufgeht. Die Klimakrise hat einen entscheidenden Anteil daran, dass diese Sicherheit ins Wanken kommt. Wenn Sie heute aus dem Haus treten, die Sonne scheint und es heiß ist, dann freut man sich nicht mehr nur über schönes Badewetter, sondern macht sich bewusst, dass Wetter oder Natur nicht mehr einfach gegeben sind.
Kirchen, die in Krisenzeiten wichtige Bezugspunkte für Menschen sein können, verlieren an gesellschaftlicher Bindungskraft. Was bedeutet das für unsere Zuversicht?
Man könnte sagen, Zuversicht braucht Religion. Dabei ist natürlich die Frage, wie man Religion definiert. Theologische Fragen interessieren mich dabei weniger. Für mich ist Religion eine Chiffre für ein Weltverhältnis. Gott ist für mich die Vorstellung, dass am Grunde meiner Existenz ein Resonanzverhältnis besteht, das für ein Grundvertrauen sorgt, das das Leben lebenswert macht und für Zuversicht sorgt. Die Krise, die wir heute haben, ist auch eine Vertrauenskrise. Menschen haben ständig Angst, etwas falsch zu machen. Dagegen und für dieses Grundvertrauen und damit auch für die Zuversicht scheint mir Religion eine wichtige Rolle spielen zu können.
Das hört sich so an, als wenn wir dieses Resonanzverhältnis nur in der Kirche aufbauen könnten. Warum ist gerade die Kirche dafür geeignet?
Wir können auch an anderen Orten Resonanz erfahren. Menschen sind von Natur aus Resonanzwesen. Nur stellt uns die Kirche einen Satz an Praktiken und Institutionen dafür bereit. Und die Kirche hat ein Potenzial, uns zu helfen, unsere Resonanzfähigkeit zu aktualisieren.
Und auf dem taz lab: „Ohne Religion keine Demokratie?“ – Ein Gespräch mit Hartmut Rosa und Christiane Florin.
• taz lab Zukunft & Zuversicht – der große taz-Kongress fand am Samstag, 22. April 2023 statt.
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