Junge Menschen auf Kuba : Und das nennt ihr Sozialismus!
Mit romantischem Che-Bild im Herzen kommt Ruth in Havanna an. Sie findet ein Kuba, das sich verloren hat.
Von RUTH FUENTES
taz FUTURZWEI, 11.01.2023 | Fast dreißig Grad Celsius hat es heute, die Klamotten kleben salzig am Körper. Winter in La Habana, Kuba. In frisch lackierte Cadillacs lassen sich reiche Amerikaner am Malecón entlangfahren. Vor einigen Tagen, an Neujahr, haben sie den 64. Geburtstag der Revolution gefeiert. Die Kubaner natürlich, nicht die Amis. Die Ray-Ban im Gesicht laufe ich durch die touristische Innenstadt. Die Brille secondhand, natürlich. Aber sie schützt wenig vor Blicken, und sie hält auch nicht zwei Kinder davon ab, mich nach ein paar Pesos zu fragen.
Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Immer schön darauf achten, wo man hintritt, denke ich, um nicht auf dem seit Jahren nicht mehr erneuerten Gehweg zu stolpern. Halb eingestürzte Villen, daneben neueste Hotelbauten. Die will ich nicht sehen. Sondern das echte Kuba. Das Kuba, das sich gegen die Amis gestellt hatte. Gegen den Kapitalismus. Und für die Unabhängigkeit.
Ich laufe in eine Nebengasse, es riecht nach Müll. Tatsächlich; zwei Hunde und drei Kubaner wühlen in einem riesigen Müllberg, der sich in, auf und um eine blaue Tonne herum anhäuft. Ich laufe weiter, nehme meine Ray-Ban jetzt ab, aber ich falle trotzdem auf. Touristin, das heißt Geld. Geld aus dem Ausland. „Hey, where are you from? Where are you from?“ rufen sie mir hinterher.
Ich treffe Naldo in einem dieser kubanischer Cafés, in denen sechs Kellner rumstehen, um drei Gäste zu bedienen. Sozialismus-Style, wie ich es nur aus DDR-Erzählungen kenne. Immerhin gibt es kaltes Bier. Aus Spanien.
„Können wir auch Kroketten dazu haben?“
„Haben wir heute nicht“, sagt der Kellner.
„Okay, dann eben nur Bier.“
Arbeit ohne Ansporn
„Du fragst dich vielleicht, warum die so viele Kellner einstellen. Kriegt eh jeder nur 20 Dollar im Monat. So wie wir alle hier.“ Naldo nippt an seinem Bier. Dafür, dass er noch so jung ist, wirkt er ziemlich gelangweilt vom Leben. Er arbeitet in einem wissenschaftlichen Labor. Eigentlich von neun bis fünf. Um zwölf geht er dann normalerweise. Interessiert niemanden. Da macht er lieber stattdessen seine Musik.
Der immer gleich klingende Beat des Reggaeton und eine Autotune-Stimme, die von Herzschmerz singt, füllen die Stille.
„Dieser Scheiß-Reggaeton betäubt die Leute“, grummelt Naldo. „Techno ist mir lieber.“ Er erzählt, dass er selbst produziert. Am Laptop, Controller, um selbst aufzulegen, hat er nicht. Gibt es nicht oder nur sehr teuer. Und wer einen hat, teilt ungern oder arbeitet für den Staat.
„Dann solltest du unbedingt nach Berlin – Hauptstadt des Techno.“
Naldo schaut mich resigniert über das Bier hinweg an. Ich schweige. Kuba hat er nie verlassen. Wie auch? Selbst in die Lobby des staatlichen Hotel Nacional kommt man als Kubaner schwer. Bringen ja keine Dollars ein, die Einheimischen.
„Ihr Touris kommt alle hierher, um euch den beispielhaften Sozialismus anzuschauen, was?“ Bei dem Wort Sozialismus malt er Anführungszeichen in die Luft.
„Ich bin hier, um die Kubaner kennenzulernen. Und das Land.“ Ich weiß, dass ich lüge. Ich bin froh, mein Che-Shirt daheim gelassen zu haben. Von Che Guevaras „Motorcycle Diarys“, die ich gerade lese, erzähle ich wohl lieber nicht.
Che oder Scarface?
Hinter ihm auf der anderen Straßenseite prangt das altbekannte Portrait des Che. Der „Guerrillero Heroico“ – der Heroische Krieger. „Venceremos!“ steht da groß in geschwungener Schrift: „Wir werden siegen!“ Ein Kubaner mit Fake-Goldkettchen und einem Scarface-Hemd läuft daran vorbei, ohne es zu beachten. „Taxi, Geldwechseln?“ ruft er auf Englisch ein paar Touris hinterher.
„Ist ja mehr Kapitalismus als Sozialismus“, sage ich zaghaft.
Naldo schüttelt den Kopf. „Ist alles nur wegen des Embargos.“ Wieder die Anführungszeichen in der Luft. „Und warum wehrt ihr euch nicht?“
„Wie willst du dich wehren?“ Er lacht verbissen. „Ich mache lieber meine Musik und halte mich da raus … Wer was sagt, kommt in den Knast, verschwindet, was weiß ich, kommt gebrainwashed zurück.“
Er erzählt mir, dass seine Mutter bald seine Tante in Brasilien besuche und dass er hoffe, dass sie einfach nicht wiederkomme.
„Aber …“ Ich will irgendetwas sagen über Verantwortung. Über Freiheit, für die es zu kämpfen lohnt. Lieber frei sterben, als auf Knien leben. Irgend sowas. Und, dass Kapitalismus auch nicht unbedingt besser sei. Ich komme mir aber nur intellektuell und überheblich vor und deshalb halte ich lieber den Mund.
Keine Kraft zum Widerstand
Naldo schaut mich müde an: „Wenn du den ganzen Tag damit beschäftigt bist, in Schlangen zu stehen, um das Essen für den Tag zusammenzubekommen, hast du kein Bock mehr auf Stress mit dem Regime. Du hast nicht mal Zeit dafür.“
Es muss eine Lösung geben, denke ich. Fühle schon bei dem Gedanken ans tägliche Schlangestehen eine Mischung aus Ohnmacht und Wut in mir aufsteigen. Die Freiheit, einfach zu sagen, was einem gerade so durch den Kopf geht. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, nein, eine Pflicht. Das zu sagen, fühlt sich zu pathetisch an. Ich erinnere mich sogar daran, dass ich den Klimastreik im September verschlafen habe. Und mein politisches Engagement der letzten Monaten sich auf eine Spende an Sea-Watch beschränkt.
„Das ist kein Leben hier. Die Freiheit zu denken gibt es, die Freiheit, sich zu äußern, nicht.“ erklärt mir Naldo noch das kubanische Konzept von Meinungsfreiheit. Wo bleiben die heroischen Guerrillas in diesem Land? Weil mir keine gute Antwort dazu einfällt, verschwinde ich auf die Toilette. Und flüchte gleich wieder; es stinkt mörderisch nach Pisse.
„He! Sie müssen für das Urinieren bezahlen!“ höre ich eine Frau rufen, als ich wieder raus laufe.
Ich stocke, laufe weiter. Sie ruft nochmal, ich drehe mich in Gottes Namen um.
„Drei Pesos.“ Sie zeigt auf einen grünen Schein. Das Bild von „el Che“, einsam und vergilbt, schaut mir entgegen.
Jetzt bloß nichts sagen, Ruth, halt einfach die Fresse und leg da was rein, denke ich. Und schaue wieder in Ches Augen. Ich frage mich, ob ich schon eine Paranoia entwickle, weil ein Mann in weißem T-Shirt langsam aus einer Ecke des Cafés auf mich zu kommt.
Das Privileg des Touristen
„Sorry, aber ich seh' nicht ein, wofür ich zahlen muss. Die Spülung geht nicht, es gibt keine Türen in den Kabinen, kein fließendes Wasser, ich kann mir nicht mal die Hände waschen … Außerdem denke ich, dass Urinieren ein Menschenrecht ist.“ Ich zahle selbst bei Sanifair nie, will ich sagen. Aber das würde sie ja wohl kaum umstimmen.
„Geben Sie einfach was“, sagt eine Stimme hinter mir.
Ich finde nur eine Ein-Euro-Münze in meiner Hosentasche und werfe sie in die Schale.
„Und das nennt ihr Sozialismus“, sage ich noch. Niemand reagiert. Die Kellner starren weiter geradeaus.
„Ist das dein erstes Mal hier in Kuba?“ Der Typ im weißen T-Shirt ist jetzt ganz nahe.
Ich nicke.
„Studentin?“
Ich nicke wieder. Fragt er mich gerade aus? Ich bin richtig froh, dass Naldo in dem Moment nach mir ruft. Und, dass ich Touristin bin, keine Familie auf Kuba habe und das Land verlassen kann, wann immer ich möchte. Das privilegiert mich, an der Toilettentür rumzupöbeln. Und jetzt auch noch meine Meinung hier aufzuschreiben. Aber eine „guerrillera heroica“ bin ich noch lange nicht.
Und was den „Heroismus“ der kubanischen Revolutionäre anbelangt, damit sollte ich mich auch nochmal näher auseinandersetzen. Mein Che-Shirt werde ich jedenfalls dem nächstbesten Touri andrehen, der gerade erst angekommen ist und noch so verblendet, wie ich es bis vor wenigen Tagen war.
Die Recherchereise unserer Autorin wurde finanziert von der taz Panter Stiftung.