Zukunft der Kinokultur fraglich : Umbruch der Gewohnheiten
Die Corona-Hilfen haben vielen Kinos das Überleben ermöglicht. Jetzt sollen sie wegfallen und die Kinos stehen vor einer ungewissen Zukunft. Wie geht's weiter?
Die Sonne kitzelt, irgendwelche Inzidenzen scheinen allen egal zu sein, doch Verena von Stackelberg, Betreiberin des Neuköllner Indiekinos Wolf in Berlin, sagt: „Es wäre besser, wenn jetzt die Wintersaison anfangen würde.“
Text von Andreas Hartmann
taz Thema: Ein Thema, viele Perspektiven – regelmäßig in der taz am Wochenende und der taz Nord. Das taz Thema ist ein Angebot des Verlags der taz. Die Redaktion der taz macht sich die Inhalte der taz Themen nicht notwendigerweise zu eigen.
Denn nach mehr als zwei Jahren Coronakrise samt Lockdowns ist es zwar schon so, dass sich alles weitgehend normalisiert hat und auch das Kulturleben zurückkehrt, doch bei dem schönen Wetter stürmen die Leute eben doch lieber die Biergärten als die Kinosäle.
Elisa Rosi, Betreiberin des kleinen Filmkunstkinos Lichtblick im Berliner Prenzlauer Berg, sagt: „Nach dem Lockdown dachten wir, die Leute sind so kultur- und ausgehhungrig, dass sie uns das Kino überlaufen. Das ist nicht der Fall.“ Und jetzt kommt auch noch der Sommer samt lockenden Badeseen und geplanten Urlaubsreisen, der traditionell die trostloseste Jahreszeit für Kinos ist.
Noch Corona- oder schon Kinokrise?
„Es ist sehr zäh gerade und man fragt sich schon, wie es weitergehen soll“, sagt von Stackelberg. Diese Verunsicherung spürt man auch bei anderen Kinobetreibern, die man so zur aktuellen Lage befragt. Hervorragende Filme könne man gerade zeigen, sagen sie, am Programm könne es also nicht liegen, dass das Publikum die Kinos nicht unbedingt überrennt.
Sind also tatsächlich einfach die milden Temperaturen schuld oder gibt es doch grundlegendere Gründe? Trauen sich die Leute noch nicht so richtig zurück in die geschlossenen Räume? Haben sie das Kino gar nicht so sehr vermisst wie erhofft, weil sie gemerkt haben, dass die Streamerei doch eigentlich auch ganz schön ist? Unklar.
Christian Suhren, Mitbetreiber des Arthouse-Kinos FSK in Berlin-Kreuzberg, sagt: „Wir sind in einer Phase, wo man nicht so genau weiß, was ist noch Corona- und was schon Kinokrise.“
Zuversicht während der Corona-Monate
Man muss sich ja nichts vormachen: Es war eine ziemlich lange Zeit, in der Kinos mehr oder weniger kaum noch wahrgenommen wurden. Durften sie mal zwischen zwei Lockdowns kurz öffnen, dann nur unter relativ strengen Auflagen. Die Kapazitäten waren begrenzt, mal galt 3G, mal 2G, meist Maskenpflicht: einfach nur spontan einen Film auf der großen Leinwand ohne großes Brimborium ansehen, das war jedenfalls nicht möglich.
Trotzdem waren während der langen Corona-Monate die meisten Kinobetreiber recht zuversichtlich. Sie berichteteten davon, wie dankbar die Leute waren, wenn sie doch mal wieder ins Lichtspielhaus gehen durften und dass sogar Geld gespendet wurde, damit ihr Kiezkino unbedingt überlebt. Und die Überbrückungshilfen kamen im Großen und Ganzen auch immer an.
Doch das war ein Durchhangeln in einer Ausnahmesituation, ein Leben in der Blase. Die Frage, wie sehr die Kinos wirklich noch gebraucht werden, stellt sich erst jetzt wieder, wo alles „back to normal“ gehen soll.
Publikumsstruktur als Problem
Aber man sei eben noch nicht wieder ganz in der Normalität angekommen, so von Stackelberg. Aktuell begrenzen viele Kinos ihre Kapazitäten immer noch. Weil sich ein Teil ihres Publikums einfach sicherer fühlt, wenn weiterhin Abstand gewahrt werden kann. Und Überbrückungshilfen fließen auch noch. Anscheinend bis Juni, danach müssen Kinos wieder vollständig als wirtschaftliche Unternehmen funktionieren wie vor der Pandemie. Und wenn dann das Publikum wegbleibt oder arg geschrumpft ist, aus welchen Gründen auch immer, dann haben sie eben ein Problem.
Kinos sind zudem in einer anderen Lage als andere Kultureinrichtungen: Theater, Opern, Konzerthäuser für klassische Musik, werden im Normalfall subventioniert, wenn da jetzt ein paar besonders Corona-Sensible wegbleiben, ist das weitgehend egal. Für Museen gilt dasselbe.
Clubs und Popkonzerte werden eher von jüngeren Leuten besucht, bei denen die Angst vor dem Virus nicht so ausgeprägt ist. Für Kunstfilme im Kino interessiere sich, so Christian Suhren, mehrheitlich ein Publikum, dass schon etwas älter und deswegen vorsichtiger sei.
Wandel der Konsumgewohnheiten
Vor allem aber kommt beim Kino etwas hinzu, was in den anderen Kulturbranchen nicht so stark spürbar ist: ein radikaler Umbruch der Konsumgewohnheiten. Für einen Theaterbesuch gibt es keinen adäquaten Ersatz, für eine Party im Club erst recht nicht. Doch einen guten Film, das mögen echte Cineasten noch so sehr anders sehen, kann man sich eben auch gut daheim auf der Couch reinziehen. Und Serien, für viele inzwischen sowieso interessanter als Filme, erst recht.
Die Kinos schauen den Umwälzungen in ihrer Branche nicht tatenlos zu, sondern versuchen zu reagieren. Viele haben während der Pandemie eigene Streamingplattformen eingerichtet, um auf die sich verändernden Sehgewohnheiten zu reagieren.
Von Stackelberg sagt, immer mehr würden Mitgliedschaftsmodelle einführen, um ihr Stammpublikum besser zu binden. Ein paar Extra-Euros würde es auch bringen, das Kino tagsüber an Filmfirmen zu vermieten, die etwa Schnittfassungen sichten, so Christian Suhren.
Blockbuster laufen gut, alles andere nicht so sehr
Doch die Hauptaufgabe, auch im ökonomischen Sinne, sei es für Arthouse-Kinos weiterhin, ein Publikum für gute Filme zu finden, so Christian Bräuer, Geschäftsführer der Berliner Yorck Kinogruppe und Vorstandsvorsitzender der AG Kino. Und das sei gerade nicht so einfach.
„Events und Eventfilme, meist Blockbuster wie James Bond, Spiderman oder Batman, laufen gut, alles andere tut sich schwer. Und das hat nicht nur etwas mit der Pandemie zu tun. Es wird immer schwerer für Filme ohne großes Marketingbudget“, sagt er.
Und von Stackelberg glaubt, dass der allgemeine Anstieg der Lebenshaltungskosten dazu führe, dass das Publikum sich eher auf die „Must-See-Filme“ konzentriere, die auch ausgiebig in der Presse besprochen werden, und sich das Geld für Filmexperimente lieber spare.
Corona ist nicht weg
Die Herausforderungen, vor denen die Kinos derzeit stehen, lauten also, so Bräuer, das Vertrauen des Publikums zurückzugewinnen, das während der Pandemie gelernt hat, die dunklen Säle als unsichere Orte anzusehen. Und eine Antwort auf die Frage zu finden: „Wie schaffen wir in einer von Hypes und Likes geprägten Medienwelt eine bessere Sichtbarkeit für Filme, von denen wir überzeugt sind?“
Hier passende Strategien zu finden, das ist schon schwer genug. Doch kommt er dann, der Herbst und danach der Winter, die Zeit der Hoffnung für die Kinos, könnte es auch wieder ein ganz anderes Problem geben. „Wir wissen ja alle, dass Corona noch nicht weg ist“, sagt Verena von Stackelberg.
• Dieser Text erscheint im taz Thema Kulturrausch, Ausgabe Mai 2022. Redaktion: Ole Schulz. Frühere Ausgaben des taz Themas Kulturrausch können Sie hier nachlesen.