Die Bionade-Story : Auf zum nächsten Fehler!
Ein Fehler macht Bionade ganz groß, ein Fehler macht Bionade wieder klein. Und was nehmen wir mit aus dieser Geschichte? Eine Begegnung mit Peter Kowalsky.
Von PETER UNFRIED
Den Fehler, der den Wahnsinnserfolg von Bionade begründete, kennt keiner. Den Fehler aber, der zum Absturz von Bionade führte, glaubt die ganze Welt zu kennen: Es war der Verkauf an die Radeberger-Gruppe, die zum weltweit agierenden Dr.-Oetker-Konzern gehört. Die politisch total aufgeklärten Leute hatten mit dem Trinken einer biologischen Limonade vom urigen Arsch der Welt dieselbige besser zu machen geglaubt. Nun fühlten sie sich verraten und stoppten den Konsum.
»Wie bescheuert bist du denn?«, sagten sie zu Peter Kowalsky, der Geschäftsführer, Miteigentümer und Gesicht von Bionade war.
„Die politisch total aufgeklärten Leute hatten mit dem Trinken einer biologischen Limonade vom urigen Arsch der Welt dieselbige besser zu machen geglaubt. Nun fühlten sie sich verraten und stoppten den Konsum.“
Das ist etwa ein Jahrzehnt her. Heute ist Kowalsky 52 und gerade sitzt er in Berlin-Mitte, nahe Oranienburger Tor, in den Geschäftsräumen des neuen Unternehmens INJU, das er mit seiner Frau führt. Jeans, Karohemd, dazu trägt er blonde Locken und ein großes Dauerlächeln. Mit diesem Lächeln im Gesicht wird er drei Stunden über Fehler sprechen. Fehler, die ihn erst groß machten, dann wieder klein, die er gemacht hat, die er verantworten musste, obwohl er sie nicht beeinflussen konnte, warum er unbedingt dafür ist, Fehler zu machen und wie er damit umgegangen ist, dass die Leute am Ende überhaupt nicht mehr zuhörten, wenn er ihnen erklären wollte, dass alles deutlich komplizierter war, als es den Anschein hatte.
Bionade war ein Symbolprodukt für Ökobewusstsein im Mainstream
Die Millennials wissen das nicht mehr, obwohl sie selbst bei Kindergeburtstagen mit Bionade abgefüllt wurden, denn das Getränk ist heute weitgehend aus den Spätis, Supermärkten und dem Bewusstsein verschwunden: Bionade war ein »Dream come true«. Der erste Softdrink mit Biosiegel wurde zum Symbolprodukt für eine neue Art von Ökobewusstsein im Mainstream.
Es ist gefühlt ein Jahrhundert her, als die »LOHAS« daherkamen, die Lifestyles of Health and Sustainability. Der Trendforscher Eike Wenzel war ihr deutscher Vater, der Menschen zur neuen gesellschaftlichen Mehrheit erklärte, die ökologisches Bewusstsein in ihren Lebensstil und Konsum integrierten, angestoßen von Al Gore, warmen Wintern, dem Stern-Report über die immensen Kosten des Klimawandels und was weiß ich noch sonst. Linke und Altökos waren erwartungsgemäß erbost und werteten die LOHAS als schwäbisches Prenzlauer-Berg-Pack ab, unpolitische, doofe, »neoliberale« Distinktionskonsumisten, die auf Greenwashing hereinfielen.
Jedenfalls wurde ab Mitte der Nullerjahre das negative Stereotyp von Öko als Birkenstock-Runzelrüben-Nische umgedreht zur positiven Aufladung und Mainstreamisierung als angesagter Lifestyle. Das Signature-Produkt dieser Umkehrung war möglicherweise Bionade (es gibt keinen Beleg dafür, aber Indizien) mit seinem Bio-, Regio- und Nachhaltigkeitsanspruch, Anti-Corporate, zeigen, dass es anders geht, aber ohne Ökoverzichtsappeal und in der richtigen Welt. Linke und liberale Grünen-Skeptiker würden sagen: Bionade nahm die Grünen als 20-Prozent-Partei vorweg.
Familienunternehmen mit dem »Unsere kleine Farm«-Touch
Klar, manche tranken es, weil es schmeckte, andere, weil sie auch vorn sein wollten, aber etwas überspitzt kann man sagen: Das Bestellen von Bionade in der Kneipe wurde zum gesellschaftlichen Statement aufgeladen. Economy and ecology in perfect harmony, das war damals schon der Gedanke, der mehrheitsfähig war.
Und dann war da die Familie mit dem »Unsere kleine Farm«-Touch: Skurrile »Hobbits«, wie Kowalsky zu sagen pflegt, aus dem früheren deutsch-deutschen Grenzgebiet, genauer gesagt dem unterfränkischen Städtchen Ostheim. Der Braumeister Dieter Leipold, seine Frau Sigrid Peter-Leipold und deren beide Söhne Stephan und Peter Kowalsky: Sie kamen aus der Rhön, wo immer das war, sie waren »anders«, sie stemmten sich gegen die Zeitläufte, den Niedergang von Arbeitern, Handwerk und Provinz, sie forderten den Global Player Coca-Cola heraus.
Das war die Story, die die Leute liebten – obwohl sie überhaupt nicht stimmte. Coke verkauft 1,5 Milliarden Flaschen – täglich. Bionade verkaufte im erfolgreichsten Jahr 2007 insgesamt 200 Millionen. Aber das war ein immenser Anstieg um 198 Millionen innerhalb von fünf Jahren. Das Image war perfekt. Die Markenbekanntheit ging gegen 100 Prozent, und Kowalsky bekam Auszeichnung um Auszeichnung. Er ist gelernter Brauer, ja, aber alles andere als ein Hobbit. Manchmal sagt er »mir« statt »wir«, aber das tun schwäbische Weltmänner auch. Ansonsten: Witzig, eloquent, nicht abgehoben, ein echter Selfmademan. Und die Leute liebten ihn.
Profitgier und Verrat, schrien die Leute empört
Dann aber kam Bionade mit einer heftigen Preiserhöhung ums Eck und kooperierte mit dem Global Player Dr. Oetker. Profitgier und Verrat, schrien die Leute empört. Und das war es dann. »Das Gegenteil von Liebe ist Hass«, sagt Kowalsky. Emotion hatte Bionade groß gemacht und Emotion, nun negative, machte sie wieder klein. Weil die Marke das eigene supertolle Weltbild abzubilden schien. Und da passte ein Multi nicht rein.
Die Fehlerdefinition wurde von außen vorgenommen und genauso wenig, wie die Leute daran zweifeln wollten, dass sie durch Saufen einer fermentierten Limonade die Welt besser machten, wollten sie nun wissen, warum es zu Preiserhöhung und Verkauf kam.
Der Fehler kam aber nicht am Ende, sondern wurde am Anfang gemacht. Genauer gesagt waren es zwei Fehler. Einer führte zum Erfolg, der andere ins Verderben.
Bestimmer waren die Banken
Es war so, dass schon in den 1980er-Jahren die familiengeführte Peter-Brauerei gescheitert und verschuldet war. Sie brauchten ein neues Geschäftsfeld und fanden es nach vielen Jahren auch mit ihrer gebrauten Limo. Aber die fehlende Liquidität brachte sie aus Kowalskys Sicht mehrfach in ein Dilemma, in dem jeder eingeschlagene Weg der falsche war. »Wir waren immer abhängig vom Wohlwollen des Finanzamtes und der Banken«, sagte er. Konkret war es so, dass sie, um überhaupt loslegen zu können, das Unternehmen Rhön-Sprudel als Mehrheitspartner nehmen mussten. Und wer bezahlt, bestimmt, das weiß ja jeder.
Das war ein Fehler, aber nur zu vermeiden, wenn man gar nichts gemacht hätte. Das ging aber angesichts der maladen Brauerei auch nicht. Als der Partner dann finanzielle Probleme bekam (durch die damals anstehende superteure Umstellung von Glas- auf PET-Flaschen) und er seine Bionade-Mehrheit verkaufen musste, hatte die Familie weder das Geld, um sich selbst zu kaufen, noch Mitspracherecht bei der Wahl des neuen Partners. Bestimmer waren die Banken, denen Rhön-Sprudel Geld schuldete. Die diktierten die Preiserhöhung und die suchten Dr. Oetker aus.
So wurden sie an einen Konzern verkauft, der sie dann versenkte, obwohl er das selbstverständlich nicht wollte. »Die konnten sich nicht vorstellen, dass ihr Name sich negativ auf Bionade auswirken würde«, sagt Kowalsky. Tat er aber.
Bionade sollte ursprünglich ein Kindergetränk sein
Als Sprecher von Bionade war Kowalsky eine Idealbesetzung, smart, aber erdig, eloquent, aber kein akademischer Quatscher. Er wollte zeigen, dass man im globalisierten Markt anders wirtschaften konnte, Region, Gesellschaft und Natur im Blick. Aber auch er kam an seine Grenzen, als er der Öffentlichkeit weismachen wollte und musste, dass es überhaupt die tollste Idee von allen sei, mit dem Tiefkühlpizza-Multi »wohldurchdacht« den nächsten Schritt zur ökologisch-gerechten-flachhierarchischen Weltherrschaft zu machen. Hier stimmte leider gar nichts mehr, denn auch die inhaltliche Zusammenarbeit war ein Desaster.
Nun aber zum grandiosen Fehler, der dazu führte, dass Bionade überhaupt erst groß wurde. Das war ein kapitaler Zielgruppen- und Strategiefehler. Bionade sollte ursprünglich ein Kindergetränk sein.
Eine gebraute, gesunde Kinderlimonade, sehr nahe an natürlichen Prozessen. Daran hatten sie zehn Jahre rumentwickelt. Dann ein paar Jahre vergeblich versucht, das loszuwerden und nach 14 Jahren kapiert, dass die »Zielgruppe« das Getränk gar nicht will.
Millionen Leute hatten das Gefühl, individuell, aktiv und selbstständig Bionade »entdeckt« zu haben
»Kinder wollten es nicht trinken, weil es ihnen nicht schmeckte«, sagt Kowalsky.
Ein gesundes Getränk mit wenig Zucker, wenig Kunstfarbe und wenig künstlichem und daher dezenten Geschmack? Get a life. Da stehen Kinder doch nicht drauf. Ihre Eltern aber. Es ist irgendwie schon auch witzig: Die Kommunikation an eine völlig verfehlte Zielgruppe brachte eine Nicht-Zielgruppe dazu, Bionade zu trinken. Zunächst waren das sogenannte Hipster, Werber, Was-mit-Medien und Studis. Die fanden es charmant, dass sie nicht plump angemacht wurden von dem Produkt. Das war eine geniale Folge des Zielgruppenfehlers, dass irgendwann Millionen Leute das Gefühl hatten, individuell, aktiv und selbstständig Bionade »entdeckt« zu haben und nicht getargeted zu sein. Irgendwann war Bionade das Produkt, das jeder Laden haben musste, um »auch Bio« zu haben. Der Biogedanke ging mit Bionade in den Mainstream, und die Classic-Bio-Pioniere sagten: »Kowalsky, wir lieben und wir hassen dich«. Das war ihnen alles zu Pop und zu bunt und zu mainstreamig. Aber Bionade brachte eben auch Leute in »Kraut und Rüben« (oder wie die Läden hießen), die vorher nie gekommen waren.
Das Problem an einer »trendaffinen« Zielgruppe ist allerdings, dass sie bald wieder auf dem Sprung sind, denn sie wollen und müssen ja auch beim nächsten Trend vorn dran sein. »Wir wollten als Brauer ein nachhaltiges Unternehmen für Jahrhunderte schaffen«, sagt Kowalsky, »aber dann haben wir gesagt: Okay, wir bleiben bei denen, bis ihre Kinder soweit sind.« Dazu kam es nicht, aber es könnte sein, dass Bionade auch ohne Dr. Oetker bald wieder out gewesen wäre.
Der Grundfehler war, dass sie immer zu wenig Geld hatten
Dann ist da noch eine Sache, über die sich ein normaler Mensch keine Gedanken macht: Das Leergut. Eine Mehrwegkiste Bionade mit Flaschen kostet über 7 Euro, man konnte aber nur etwa 3,50 Euro in Rechnung stellen und musste also 4 Euro vorfinanzieren. Wenn nun der Verkauf immer besser läuft, braucht man auch immer mehr Kisten, weil die lange brauchen, bis sie in die Rhön zurückkommen, manchmal ein Jahr. Für eine verkaufte Kiste sind fünf, sechs, sieben leere Kisten unterwegs. In der Hochphase von Bionade waren 10 Millionen Kisten unterwegs und damit auch etwa 40 Millionen Euro. Soll heißen: Das wahnsinnige Wachstum kostete sehr viel Geld, und als man es gebraucht hätte, um sich freizukaufen, hatte man keines.
Der Grundfehler war also, dass sie immer zu wenig Geld hatten. Hätten sie aber nicht zu wenig Geld gehabt, dann hätte es Bionade nie gegeben, denn dann hätten sie ihre lokale Brauerei schön gemütlich weitergeführt. Und hätten sie keinen Fehler bei der Strategie gemacht, wäre aus Bionade nie die Bionade geworden, die so groß wurde, dass ihr Scheitern irgendjemand interessiert hätte.
»Und da fällt mir noch ein Fehler ein«, sagt Kowalsky in Berlin-Mitte nach zweieinhalb Stunden. »Wir haben immer versucht, den Leuten zu erklären, was das für ein geniales Produkt ist durch seine Herstellung und die Fermentierung.« Sie dachten, das sei das Erfolgsgeheimnis, aber kaum einer wollte wissen, was Fermentierung eigentlich genau war. »Die fanden es einfach cool.« Und gleichzeitig war es so, dass der aufrichtig gescheiterte Kommunikationsfehler der unterfränkischen Brauer in die Premiumkategorie »authentisch« einsortiert wurde und essenziell für den Erfolg war.
Fehler haben Kowalsky dahin gebracht, wo er heute ist
Heute gehört Bionade zu Hassia Mineralquellen und soll als »leicht zugängliche Wohlfühlmarke für die Späteinsteiger im Biomarkt« neu durchstarten. Kowalskys Stiefvater Leipold, der Bionade-Erfinder, ist tot, Mutter und Bruder leben nach wie vor in Ostheim und wurden ganz schön durchgeschüttelt von ihrer großen Abenteuerfahrt und vor allem auch von den Erfahrungen danach. Und Peter Kowalsky zog nach Berlin, der Liebe hinterher, der Transformationsforscherin Luise Tremel, die er bei einem Workshop der Zukunftswerkstatt FUTURZWEI kennengelernt hatte.
„In der Gesellschaft ist ja ein Fehler etwas Dummes, aber wenn man den Fehler als etwas sieht, das man einfach nicht in seine Betrachtung gezogen hat, dann ist er eine Horizonterweiterung und die einzige Möglichkeit, um wirklich neue Felder zu entdecken.“ – Peter Kowalsky
In seinem Laden in Mitte hat er ein großes Labor im Keller, wo er seine neue Erfindung entwickelt hat und auch produziert. INJU ist ein Energiedrink, der das Gegenmodell zu Red Bull sein soll, wie Bionade das Gegenmodell zu Coke war. Ohne Koffein, tierische Stoffe und Farbstoffe. Es gehe heute nicht mehr darum, Flügel zu bekommen, um abzuheben, sagt Kowalsky, sondern den Kontakt mit dem Boden wiederherzustellen. »Zeitgemäße Energieversorgung« nennt er das. Einige Trendsetter-Hotels und Kantinen in Berlin sind schon eingestiegen, man wird sehen, wie es weitergeht.
Soweit man das nach einem Nachmittag sagen kann, scheint Peter Kowalsky ziemlich im Reinen mit sich. Und völlig unverbittert. Fehler haben ihn dahin gebracht, wo er heute ist – und das findet er gut. »In der Gesellschaft ist ja ein Fehler etwas Dummes, aber wenn man den Fehler als etwas sieht, das man einfach nicht in seine Betrachtung gezogen hat, dann ist er eine Horizonterweiterung und die einzige Möglichkeit, um wirklich neue Felder zu entdecken. Dann steht man plötzlich an einem Punkt, mit dem man nie gerechnet hat.« Dann sei die Frage: »Was mache ich jetzt?«
Die Antwort ist klar: den nächsten Fehler.