eject : JOCHEN SOMMER über das Von-hinten-Lesen
Kleine Leseanleitung
Kommunikationswissenschaftlerinnen und Kommunikationswissenschaftler sind gescheite Leute – ungeachtet der der unkommunikativen Sperrigkeit allein schon des Namens ihrer Disziplin. Zum Metier gehören Umfragen, Erhebungen, Statistiken. Zum Beispiel, wer was wann wie liest. Benötigt wird solches Herrschaftswissen dann, wenn Zeitungen ihre Leser kennenlernen wollen.
Nun soll’s aber auch Leute geben, die sich den mühsam ermittelten, idealen Präsentationsmodi der Medien entziehen. Nicht durch Nichtlesen oder die Verschrottung des Fernsehers, sondern mit höchst eigenwilligem Leseverhalten. Leute also, die den Spiegel allwöchentlich hinten aufschlagen und den „Hohlspiegel“ dem Editorial vorziehen. Leute, die einen 350-Zeilen-Klopper im Feuilleton der FAZ in einem Happen verschlingen – um danach erst Titel und Bildunterschrift zu lesen. Leute, denen etwa in der Bild-Zeitung jene rittmeisterlichen Kolumnen am liebsten sind, in denen uns ein Kauz namens Claus Jakobi die Welt erklärt. Auch bereitet es Vergnügen, den Deutschlandfunk, so gut er sein mag, erst um Mitternacht einzustellen, wenn „zum Ausklang“ die Nationalhymne ertönt. So, wie man früher auf dem Teller das Leckerste an den Rand geschoben hat, um es zuletzt zu essen.
Nicht Nichtlesen ist die neueste Reaktion auf die Infoflut, sondern Von-hinten-Lesen – nicht zu verwechseln mit dem eiligen Querlesen oder dem Mal-was-ganz-anderes-Lesen, das sich vor allem in Badezimmern durchgesetzt hat, wo man sich schon mal von der spröden Prosa eines Shampooherstellers fesseln lassen kann.
Nein, in bester Guerillamanier kann man sich beim Vonhintenlesen durchs Dickicht arbeiten, immer unter dem Radar der erfassungswütigen Kommuniktionswissenschaftler und Kommunikationswissenschaftlerinnen hindurch – und ein wohlig suberversives Gefühl gibt’s gratis dazu. Vorausgesetzt natürlich, man bringt die nötige Disziplin auf, sich wirklich Stück für Stück vom Leichten zum Schweren vorzuarbeiten. Beim Fernsehen geht das übrigens nicht. Guckt man Sendungen von hinten, gehen sie dabei kaputt.