Clinton war noch schlimmer als Bush jr.

Zeitgleich mit Michael Moores sarkastischem Dokumentarfilm „Bowling for Colombine“ ist endlich auch sein Buch über die „Stupid White Men“ erschienen. In ihm führt er faktenreich, aber auch komisch vor, wie eine Elite sich hemmungslos bereichert und die Demokratie demontiert

US-Schulen feiern den „Cola-Day“ und vermieten Schulgebäude auch mal an Wendy’s

Michael Moore ist Patriot und ein mutiger Mann – auch wenn das in den USA viele anders sehen. Schließlich hat er sich sich in den letzten 15 Jahren eine Menge Feinde gemacht: raffgierige Firmenbosse, dreiste Politiker, Amerika-über-alles-Nationalisten, Rassisten, Waffenfetischisten und Freunde der Todesstrafe.

Zu Ruhm gelangte der Autor und Filmemacher bereits Ende der 80er-Jahre mit „Roger & Me“, dem Dokumentarfilm über den wirtschaftlichen Niedergang seiner Heimatstadt Flint, Michigan. Moore verbindet darin seriöse Recherche mit Gags und einer klaren politischen Aussage – kurz: Noam Chomsky mit Humor. Aus Anlass der dubiosen Wahl von George W. Bush hat Moore nun einen beunruhigenden Generalabriss zur miesen Lage der amerikanischen Nation verfasst. Trotz der Zeit die zwischen Originalausgabe und dem Erscheinen der deutschen Übersetzung liegen, liefert es noch immer viele kaum publizierte und spannende Hintergründe. Im Zentrum des durchaus polemischen Buches stehen die „Stupid White Men“, genauer: dumme reiche weiße Männer, die Moore für Korruption, Misswirtschaft und Unrecht in den USA verantwortlich macht.

Beispiel Florida: In diesem wahlentscheidenden Bundesstaat ließ Gouverneur und Bush-Bruder Jeb schon ein Jahr vor der Wahl systematisch Wählerlisten von potenziellen demokratischen Wählern säubern. Dazu diente ein Gesetz, das allen das Wahlrecht entzog, die gegen irgendein Gesetz verstoßen hatten – und sei es durch Falschparken. 31 Prozent aller wahlberechtigten schwarzen Männer verloren so ihr Wahlrecht. 173.000 Stimmen zählten am Ende nichts gegenüber den 537 Stimmen, die „offiziell“ den Ausschlag für George W. Bush in Florida gaben.

Welch besonders verdorbene Spezies der Stupid White Men unter der Führung ihres „Thief in Chief“ George Bush von der Macht Besitz ergriffen hat, beschreibt Moore in einer fein recherchierten Gruselliste der Steinzeit-Rechtsaußen in Bushs Kabinett, die sich in Personalunion um das Wohlergehen ihrer Geldgeber der Öl-, Aluminium, Tabak-, Auto-, und Pharma-Industrien kümmern. Diesem Treiben der Unheil bringenden Stupid White Men stellt Moore den Existenzkampf vieler Duchschnittsamerikaner gegenüber und kritisiert besonders den Rassismus. Wie wenig sich getan hat, zeige die Einkommenskluft zwischen Schwarz und Weiß, die heute genauso groß ist wie 1880. Da er daran nichts änderen kann, hat Moore wenigstens einen Tipp: Schwarzen Autofahrern mit edlen Schlitten rät er, eine aufblasbare Gummipuppe auf der Rückbank unterzubringen. So würden wenigstens die lästigen Polizeikontrollen aufhören, da schwarze Chauffeure immer freie Fahrt hätten.

Mit einem Repressionsinstrument der Stupid White Men hat Moore ein besonderes Hühnchen zu rupfen: der maroden amerikanischen Rechtsprechung, die eine „ethnische Säuberung auf amerikanische Art“ gegen Schwarze betreibe. Neben vertuschten Umweltsünden beschreibt er erschütternde Justizskandale unter der Bush-Regierung, darunter haarsträubende Todesurteile, die im Fall ihrer Wiederaufnahme zu 70 Prozent gravierende Verfahrensfehler offenbarten.

Stupid White Men haben auch dafür gesorgt, dass das öffentliche Bildungssystem den Bach runtergeht. Als würden die vielen Beispiele nicht reichen, dass die USA bildungspolitisch mit anderen Entwicklungsländern gleichgezogen haben, verschlimmern die sie ihren Bildungsnotstand durch Kommerzialisierung schulischer Inhalte und Umgebungen: US-Schulen feiern den „Cola-Day“, stellen Softdrinkautomaten in Klassenzimmern auf und vermieten Schulgebäude und Schulbusse als Werbefläche an Wendy’s, McDonald’s und Burger King. Exklusivverträge zu Getränkeherstellern haben sich laut Moore in den 90er-Jahren an US-Schulen vervierzehnfacht.

Jeb Bush stahl 31Prozent der schwarzen Männer in Floridaihr Wahlrecht

Man sollte es kaum glauben, aber es gibt für Moore eine Spezies, die noch unterhalb der Stupid White Men rangiert: die rückgratlose Partei der „Democrats“. Der freundliche, Joint rauchende Saxophonspieler Bill Clinton ist für Moore ein Paradebeispiel „Demokratischer“ Heuchelei: „Er war der beste republikanische Präsident, den Amerika je hatte.“ Der gute Mensch Clinton befürwortete Gesetze, die Verurteilte nach drei Straftaten – und seien es Bagatellen – lebenslänglich hinter Gitter bringen. Er strich zudem gut 70 Prozent der berechtigten Sozialhilfeempfänger jede Form der Unterstützung.

Michael Moore hat ein aufklärerisches Buch für seine Landsleute geschrieben, das auch im Deutschen eine spannende und unterhaltsame Lektüre ist. Sein Text gleicht oft einer Nachhilfestunde zur Geschichte der USA und vereint die Leidenschaft eines Journalisten, Bürgerrechtlers und Satirikers. Allerdings bewegt er sich meist auf der Grundlage nachprüfbarer Fakten, die im Wesentlichen bis heute von seinen US-Kritikern unwidersprochen sind. Der deutsche Verlag Piper ist mit der Übersetzung leider der Verlockung erlegen, „Stupid White Men“ als Witzbuch zu vermarkten – schon der Klappentext resümiert das Buch mit einem irreführend-launigen „Durchgeknallt!“. Dennoch war die deutsche Ausgabe längst überfällig. Schön, dass die Veröffentlichung jetzt mit dem Start von Moores neuem Dokumentarfilm „Bowling for Colombine“ zusammenfällt. TARIK AHMIA

Michael Moore: „Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush“, 329 Seiten, Piper Verlag, München 2002, 12 €