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Archiv-Artikel

Schwebezustand in Schanghai

So viel Harmonie war nie: Bundeskanzler Schröder und Premier Zhu freuen sich medienwirksam über das deutsch-chinesische Transrapid-Projekt

aus Schanghai GEORG BLUME

Morgen sitzen sie gemeinsam im schnellsten Zug der Welt: Chinas Premierminister Zhu Rongji und Bundeskanzler Gerhard Schröder. „Mit 450 Stundenkilometern“, sagt Zhu, „sollen die deutsch-chinesischen Beziehungen nach vorne rasen.“ Schröder hält mit: „30.000 chinesische Studenten in Deutschland stehen für die gewaltige Zukunftspersektive in unseren Beziehungen“, sagt der Kanzler.

Politiker lieben Rekorde und hohe Zahlen. Diesmal sind sie echt. Aus dem Transrapid, Symbol für endlose ergebnislose Debatten in Deutschland, wird heute, wenn die Jungfernfahrt gut geht, ein Symbol für das 21. Jahrhundert. Denn der Zug fährt nicht mehr im Emsland, sondern dorthin, wo er hingehört: in die am schnellsten wachsende Mega-Metropole der Welt, nach Schanghai. Mit ihrer alten Stärke, der geduldigen Ingenieurskunst, haben die Deutschen damit wieder ein neues Zeichen für den technologischen Fortschritt gesetzt: zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Innenpolitische Verschnaufpause

Wie von selbst verändert der Blick aus dem Transrapid-Cockpit die Sicht auf die Welt: weg vom Irakkonflikt, weg vom atomaren Alleingang Nordkoreas, hin zu Schanghai – einer Stadt, angesichts deren nach acht Minuten rasanter Fahrt erscheinender Kulisse sich die Reisenden noch in hundert Jahren die Augen reiben werden.

Scheinbar unbesorgt lassen Zhu und Schröder die Weltereignisse links liegen. Beide kosten es aus, die guten deutsch-chinesischen Beziehungen demonstrieren zu können: Noch einen Transrapid wollen sie bauen lassen, deutsche Schienentechnik auf chinesische Gleise bringen, den Rechtsstaatsdialog aufs Feld des Strafrechts ausweiten, den Studentenaustausch fördern.

Alles Kleinkram? „Wir sind hier in China“, antwortet Schröder denjenigen, die glauben, Politik lasse sich im Kontinentalreich Volksrepublik so betreiben wie in Deutschland. Man spürt, wie gut ihm die innenpolitische Verschnaufpause tut. Zhu kokettiert damit, als er sich für das Kommen Schröders in einer Zeit bedankt, da dieser in Deutschland „viel zu tun habe“. Derlei persönliche Anspielungen macht im steifen Pekinger Politbüro nur er.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat Zhu, den ausgebildeten Ingenieur und ehemaligen Oberbürgermeister Schanghais, in den letzten Jahren immer wieder als den „tüchtigsten Politiker der Welt“ bezeichnet. Damit meint Schmidt Zhus heil überstandenen Ritt durch die Asienkrise 1997/98, seine erfolgreiche Geldpolitik, die erst die Inflation bremste und heute die Deflation dämmt, und schließlich seine ebenso besonnene wie harte Hand bei der Schließung unrentabler Staatsbetriebe. 30 Millionen Arbeitsplätze gingen unter seiner Regie in den letzten fünf Jahren verloren, ohne dass die sozialen Dämme brachen. Zugleich schuf Zhu Raum für eine Privatindustrie und ausländische Direktinvestitionen, die 2002 die 50-Milliarden-Euro-Marke überschritten haben. Damit ist China heute der weltgrößte Empfänger ausländischer Direktinvestitionen noch vor den USA.

Die Zeit nach Zhu

Deutsche Unternehmen wie der Transrapid-Konzern Siemens und der Chemieriese BASF, die zu den größten ausländischen Investoren in der Volksrepublik zählen, berichten der taz, dass sie aufgrund von Zhus Erfolgen mit weiteren zehn Jahren anhaltend hohen Wirtschaftswachstums in China kalkulieren.

„Der Premierminister hat keine großen Fehler gemacht“, bilanziert Xu Jian, Vizebüroleiter der Unternehmensberatung Roland Berger in Schanghai. Gleiches würde man derzeit bei Roland Berger in Deutschland nicht über Schröder sagen. Aber er ist derjenige, mit dem Zhu gemeinsam das Transrapid-Projekt durchgezogen hat. „Der Transrapid in Schanghai zählt zu den seltenen Projekten, an denen beide Regierungchefs kausal beteiligt waren. Ohne die langen Gespräche zwischen Schröder und Zhu wäre nichts gelaufen“, weiß Wolfgang von Lingelsheim, China-Abteilungleiter im Berliner Wirtschafts- und Arbeitsministerium.

Aber was wird, wenn Zhu im März aus Altersgründen aus dem Amt scheidet und kein zweiter Transrapid-Fan seinen Posten bekleidet? Bleibt es dann bei nur 30 Kilometer Magnetbahn vom Flughafen zum Stadtrand Schanghais?

Zhu kennt die Sorgen der Deutschen. Deshalb könnte er heute eine Verlängerungsstrecke ankündigen, wahrscheinlich ins 200 Kilometer entfernte Hangzhou. Doch was sind die Versprechen eines zurücktretenden Regierungschefs im neuen Jahr noch wert? Manche Manager deutscher Firmen in Schanghai meinen gar, dass Schröder zur Jungfernfahrt des Transrapids besser nur Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) hätte schicken sollen – Zhu sei inzwischen der falsche Partner, er habe sich bei der Neubesetzung des Politbüros auf dem Parteitag im November nicht durchsetzen können. Deshalb führe nun jeder gemeinsame Schritt mit ihm ins Leere und liefere nur den chinesischen Gegnern des Transrapids Aufschub, die weiterhin auf die Schiene setzten.

Der Tag der Freude

Doch am Silvestertag feiert man das alte Jahr. „Kaum jemand hat geglaubt, dass man das Projekt in so kurzer Zeit würde realisieren können“, sagt Schröder. Das stimmt. Die Bauzeit betrug 22 Monate. Zwischen die deutschen Sozialdemokraten und die chinesischen Kommunisten, den weltpolitisch längst Totgesagten des 20. Jahrhunderts, passt an diesem Tag kein Blatt Papier.