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Archiv-Artikel

Votum am Bankautomaten

ALLTAG Am Syntagmaplatz im Zentrum von Athen: Das lange Warten in der Schlange, um Geld abzuheben. Viele Griechen fürchten um ihr Einkommen

ATHEN taz | Seit den frühen Morgenstunden bilden sich vor den Bankautomaten Athens lange Schlangen. „Man kann doch nicht einfach seine Aufgaben auf das Volk abwälzen“, sagt Nikos Panagiotaros und meint damit, dass es nun am griechischen Volk sein soll, über die künftige Sparpolitik zu entscheiden. Panagiotaros steht in der Schlange vor den Geldautomaten am Syntagmaplatz vor dem Parlamentsgebäude im Zentrum Athens. Es ist kurz nach 10 Uhr am Vormittag. Panagiotaros ist fassungslos.

Der 60-Jährige hat mit Erschrecken die Ansprache Tsipras gehört, sagt er. „Es gibt so viele Griechen, die keine Ahnung haben, was ein Austritt aus der Eurozone für das Land bedeuten würde“, sagt er. Die meisten Menschen würden sich wohl aus reiner Emotionalität leichtfertig gegen weitere Sparmaßnahmen entscheiden, sagt der Mann. Das würde Griechenland allerdings um Jahre zurückwerfen, befürchtet er.

Stimmen werden laut. Einer der beiden Automaten ist um halb elf Uhr bereits leer – kein Einzelfall in diesen Tagen. Etwa ein Drittel aller griechischen Bankautomaten spucken mangels Füllung inzwischen kein Geld mehr aus, heißt es. Wie viel Geld die Griechen allein am Wochenende auf diese Weise abgehoben haben, ist nicht bekannt. In den Tagen zuvor waren es Hunderte Millionen täglich.

Die Schlange schwenkt zum zweiten Automaten hinüber. Sie hoffe sehr, dass sie hier noch Geld bekommen wird, sagt Maria Kariopoulou. Die Frau Mitte 70 steht am Ende der Schlange. Sie macht sich Sorgen, denn der Montag ist der Tag, an dem viele Rentner ihre monatliche Pensionen ausgezahlt bekommen. Das werde einen Run auf die Banken geben, prophezeit sie. Deshalb holt sich die Rentnerin lieber schon heute etwas Bargeld, denn die Geschäfte akzeptieren griechische Kreditkarten bereits nur noch sehr zögerlich. „Ich habe Angst, dass hier in den nächsten Tagen Chaos ausbricht“, sagt Frau Kariopoulou.

Es bringe doch nichts, jetzt in Panik auszubrechen, ruft ein Mann Mitte fünfzig in die Schlange. Er ist dagegen, dass nun alle ihr Geld abheben. Das schüre nur noch mehr Unsicherheit. Der Mann wohnt etwas außerhalb des Zentrums und musste heute Morgen schon an der Tankstelle in einer langen Schlange anstehen, um sein Auto aufzutanken.

„Die Leute können die Situation nicht mehr einschätzen“, sagt er. „Bei der Regierung weiß man doch nicht mehr, wo hinten und vorne ist“, entgegnet ein anderer. Er geht als Nächstes an den Geldautomaten, steckt die Scheine ein, zieht die Karte ab. Vom Ende der Schlange ruft ein Mann „Gibt es hier noch Geld oder nicht?“. Die Anspannung steigt.

„Ich werde für einen Austritt aus dem Euro stimmen“, sagt Manolis Papadopoulos. Der Mann ist Taxifahrer und sagt, dass er kaum noch etwas zum Leben habe. Mit jedem Memorandum sei es unter der vorherigen Regierung unter dem Konservativen Antonis Samaras immer schlimmer geworden. „Ich bin dafür, lieber alles zu kappen, anstatt wie Sklaven ständig auf die Launen der Geldgeber angewiesen zu sein“, sagt der Mann Ende 50. Seine Zukunft sei dann zwar dahin. „Aber das ist mit oder ohne Euro so.“ Er lacht leise auf. Aber seine Kinder – die hätten dann vielleicht wieder ein Leben in Würde. THEODORA MAVROPOULOS