„Im Freibad sind wir die Kings“

DER TURMSPRINGER Arschbombe kennt jeder. Aber das vom Zehner? Christian Guth macht bei seinen Sprüngen dazu auch noch einen Dreifachsalto und einen Hüftschwung, was ihm den Spitznamen „Elvis“ eingebracht hat. Der vierfache Weltmeister im Splashdiving ist der älteste aktive Springer Deutschlands. Erst seit er sich beim Sprung aus einem Hubschrauber schwer verletzt hat, weiß er, was Angst ist

■ Der Mensch: Christian Guth wird am 5. Juni 1985 in Bayreuth geboren. Nach zwölf Jahren Schule lernt er Veranstaltungskaufmann. Seit drei Jahren plant und organisiert er alle Veranstaltungen rund um den Arschbombensport, Splashdiving genannt. Seit 2011 lebt Guth in Berlin – der Liebe wegen. Seine Frau studiert Jura. Sie ist keine aktive Sportlerin.

■ Die Herausforderung: 2002 in einem Bayreuther Freibad fängt alles an. Eine Clique von vier, fünf Jungs, Guth gehört dazu, glänzt durch akrobatische Sprungkombinationen vom 10-Meter-Turm. Zunächst geht es nur darum, die Mädels am Beckenrand nass zu machen. Ein Jahr später gibt es in Bayreuth den ersten regionalen Arschbombenwettkampf, 2004 die erste Arschbombenweltmeisterschaft. Seit 2006 heißt das Ganze Splashdiving. Seither findet die Weltmeisterschaft nahezu jährlich statt. Guth holt zwischen 2004 und 2008 viermal den Titel. Im April 2013 springt er aus 43 Meter Höhe aus einem Hubschrauber und verletzt sich schwer.

■ Der Wettbewerb: Am Sonntag, 7. Juni findet im Sommerbad Olympiastadion von 10 bis 18 Uhr der offizielle Splashdiving-Cup Berlin Brandenburg statt. 60 Springer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben ihre Teilnahme zugesagt. Zuschauer zahlen den normalen Schwimmbadeintritt. (plu)

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE
FOTOS KARSTEN THIELKER

taz: Herr Guth, was geht in Ihnen vor, wenn Sie im Schwimmbad oben auf dem 10-Meter-Turm stehen?

Christian Guth: Das ist ein extremes Freiheitsgefühl. Ich find’s saugeil.

Verspüren Sie noch einen Kick, wenn Sie von so einer Höhe ins Wasser springen?

Wenn ich kerzengerade runterspringe, empfinde ich nichts. Anders ist es bei einem Dreifachsalto. Da ist Vorfreude. Meine Hände werden schwitzig. Wenn ich mehrmals hintereinander springe, habe ich den totalen Adrenalinschub.

Wie äußert sich das?

Herzrasen. Man zittert ein bisschen. Ich fühle mich wie ein Sprungball, extrem glücklich, und würde am liebsten die ganze Welt umarmen.

Klingt gut. Wie oft trainieren Sie?

Viermal die Woche. Bei den Salto- und Schraubenkombinationen ist es wichtig, die Routine zu behalten.

Ist Schwimmengehen bei Ihnen immer identisch mit Springen?

Schon. Schwimmen war für mich schon in der Schule immer Kachelnzählen – und Turmspringen immer Spaß. Berlin hat zum Glück die größte Sprungturmdichte Deutschlands.

Trotzdem kann man die Bäder mit Sprungturm an einer Hand abzählen: Olympiastadion, Landsberger Allee …

… Sommerbad Wilmersdorf – das Locho –, das Columbiabad, die Schöneberger Trainingssprunghalle. Macht drei Outdoor-10-Meter-Türme und zwei indoor. Bei uns in Bayreuth, wo ich herkomme, haben wir outdoor nur einen 10-Meter-Turm und indoor nur Fünfer.

Sie sind mehrfacher Weltmeister im Splashdiving. Worum genau handelt es sich bei dieser Disziplin?

Splashdiving ist die Weiterentwicklung des klassischen Arschbombensports von früher. Bei der Arschbombe geht es ganz klar darum, vom Turm zu springen und möglichst viele Menschen am Beckenrand nass zu machen. Wir waren die Ersten, die nicht nur einfach gesprungen sind, sondern die sich bewusst überlegt haben, wie man landen kann.

Wer ist „wir“?

Wir, das ist eine Gruppe aus Bayreuth. Im Bad gab es dort 2002 eine Clique von vier, fünf Jungs. Wir sind jeden Tag vom Zehner gesprungen. Je mehr Leute es sind, desto lustiger wird’s.

Wie muss man sich den Spaß vorstellen?

Wir Jungs stehen oben auf dem 10-Meter-Turm. Man steht an der Kante, guckt runter. Die da vorn am Beckenrand hat ein weißes T-Shirt, sagt einer. Wer erwischt sie? Dann versucht man, sie mit verschiedenen Arschbomben nass zu spritzen. Das ist wie bei den Skatern. Man puscht sich gegenseitig hoch. Probiert neue Sprünge aus. Man ist im Freibad …

der King.

Wir sind automatisch die Kings, wenn wir von da oben runterspringen. Aber ich mach das nicht, weil ich dadurch der King bin. Trotzdem ist es natürlich so, wenn du vom Zehner akrobatische Sprungfiguren reißt, bekommst du im Freibad mehr Telefonnummern von Mädels zugesteckt als in der Disco. Wir sind ja sehr athletisch und haben wenig an, wenn wir auf dem Zehner stehen.

Ihre Telefonliste war besonders lang?

Ja. Ich war mal ein ziemlicher Freigeist, was Frauen angeht.

Ist Splashdiving ein Männersport?

Jeder kann spritzen, auch Mädchen, Frauen, Jungs und Senioren.

Wie viele Frauen gibt es in Ihrer Berliner Gruppe?

Keine. Aber die Berliner Gruppe ist auch wahnsinnig klein. Wenn es hoch kommt, sind wir zehn Leute.

Was könnte Frauen daran hindern, mitzumachen?

Die Damen, die es bei uns probiert haben, haben Probleme mit ihrem Unterhautfettgewebe bekommen. Meistens im Bereich Oberschenkel, Hintern, unterer Rücken oder Unterarm. Der Schlag aufs Wasser, wenn man vom Zehner springt, hat auf einen weiblichen Körper größere Auswirkungen. Rot wird die Haut bei allen. Aber bei Jungs geht das ziemlich schnell wieder weg. Frauen bekommen schneller blaue Flecken oder Blutergüsse, das ist kein Mythos.

Waren Sie schon als Kind so sportlich?

Ja. Ich komme aus einer Turnerfamilie. Mein Papa hat bei der Bayreuther Turnerschaft die Zweite Bundesliga trainiert. Meine Mama hat auch geturnt. Ich bin in der Turnhalle aufgewachsen. Von Mutter-Kind-Turnen über Kleinkinderturnen, Geräteturnen bis Gruppenturnen habe ich alles durch. Immer was mit Akrobatik und Sich-in-der Luft-Drehen halt. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich wahnsinnig gern falle.

Wann sind Sie das erste Mal bewusst aus größerer Höhe ins Wasser gesprungen?

Das war bei einem Tunesienurlaub mit meinen Eltern. Da war ich fünf. Wir waren mit einem Schiffskutter unterwegs. Es wurde gefischt und gegrillt. Ein paar ältere Jungs sind immer vom Heck gesprungen. Das waren ungefähr sieben Meter. Ich wollte unbedingt auch. In dem Urlaub hatte ich gerade das Schwimmen gelernt. Mein Papa hat gesagt, mach doch. Einen Monat später war ich mit meiner Mum im Bayreuth im Freibad. Da bin ich das erste Mal vom Zehner gesprungen. Da war ich grad sechs.

Was hat Ihre Mutter dazu gesagt?

Ich hatte sie überredet, mit mir auf den Turm zu kommen. Aber meine Mum hat tierische Höhenangst. Als sie oben war, ist sie auf dem Absatz umgedreht. Ich weiß noch, dass ich gesprungen bin und triefend nass vor meiner Mama stand, die gar nicht geguckt hatte, weil sie dachte, ich folge ihr die Treppe runter. Seit diesem Sprung mach ich nichts lieber als springen. Ich mache ja auch Cliff Diving und High Diving.

Was ist das?

Alles höher als zehn Meter. Beim Cliff Diving hat man eine natürliche Absprungsfläche, eine Klippe oder so. High Diving ist von einem Baugerüst, Kran oder aus dem Hubschrauber.

Was war das Höchste, was Sie je gesprungen sind?

2010 habe ich von einem Kran aus 40 Meter Höhe den Arschbombenweltrekord aufgestellt. Drei Jahre spätere habe ich das noch mal getoppt. Das war im Ötztal in der Area 47 im Rahmen der World Splashdiving Days of Records. Sechs Weltrekorde auf verschiedenen Höhen sind dort aufgestellt worden. Meiner war sozusagen das Highlight. Ich habe eine Arschbombe aus 43 Meter Höhe aus einem Hubschrauber gemacht. Leider habe ich mir dabei einen schweren Bandscheibenvorfall zugezogen.

Was ist schiefgegangen?

Der Hubschrauber hat beim Absprung gewackelt. Ich habe in der Luft wertvolle Zeit vertan, meine Körperhaltung zu korrigieren. Das sind knapp viereinhalb Sekunden, die man aus 40 Meter Höhe unterwegs ist. Scherzhaft sag ich immer, bis ich unten bin, kriege ich das Vaterunser fertig. Es kommt einem vor wie eine Ewigkeit. Aber die kleinste Bewegung kann den kompletten Sprungverlauf verändern.

So war es dann auch?

Ich habe eine Rückwärtsrotation bekommen und bin auf den unteren Rücken geknallt.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie schlimm verletzt sind?

Der Schmerz war gar nicht so schlimm, aber irgendwas war anders als sonst. Als ich aus dem Becken rauswollte, konnte ich meine Beine nicht auf die Stufen stellen. Ich musste rausgezogen werden. Im Krankenhaus wurde diagnostiziert, dass die Bandscheibe komplett gequetscht und zerrissen war. Man hat sie mir bei zwei Operationen entnommen und an der Stelle einen Knochenkeil eingesetzt. An der Rückseite der Wirbelsäule habe ich jetzt zwei Metallplatten und vier Schrauben. Zwischen dem ersten und zweiten Lendenwirbel bewegt sich nichts mehr.

Wie kam es zur Idee mit dem Hubschrauber?

Ich hatte festgestellt, dass ich auch höher als von 10 Metern springen kann. 2004 war ich zum ersten Mal in der Schweiz bei der Europameisterschaft vom Klippenspringen. Die findet jedes Jahr in Ponte Brolla statt. Das ist ein Gebirgstal in der italienischen Schweiz. Die Wassertiefe beträgt 30 Meter. Da bin ich aus 13, 15, 16, 18 und schließlich 20 Meter Höhe gesprungen. Der Sprung aus 20 Meter hat mich extreme Überwindung gekostet. Ich hatte erst wahnsinnig Schiss. Und dann habe ich angefangen, diese Höhen zu wiederholen, um eine Routine dafür zu bekommen.

Wie trainiert man das?

Auf vielen Arschbombenveranstaltungen haben wir einen Kran dabei, um noch mehr Höhe zu bekommen.

Von immer höher nach unten – ist das eine Sucht?

„Sucht“ ist der falsche Begriff.

Was ist es dann?

Es ist der Adrenalinkick überhaupt. Je höher das Ganze ist, desto mehr befasst du dich mit deinem Leben.

Wie meinen Sie das?

Bei allem ab 35 Meter Höhe mache ich einen Haken hinter meinem Leben. Gleichzeitig weiß ich, wenn alles gut geht, wenn ich da unten aufkomme … ein bisschen beschreibe ich das immer wie eine Wiedergeburt. Du stehst oben an der Kante und weißt: Ein Schritt – das kann jetzt der letzte sein, es kann aber auch wieder der erste sein.

Sie spielen mit Ihrem Leben und Ihrer Gesundheit.

Es ist schon das Ausloten eigener Grenzen. Dinge zu tun, die einem keiner zutraut. Leute haben gesagt, wenn du eine Arschbombe machst, die höher ist als 20 Meter, holst du dir einen Einlauf und reißt dir das Arschloch so weit auf, das du nicht mehr laufen kannst. Oder sie sagen, die Knochen brechen ganz automatisch. Ich bin aus 20 Metern gesprungen, habe mich sogar noch dreimal in der Luft gedreht, und nichts hat mir wehgetan, geschweige denn, dass ich mir etwas gebrochen hätte. Da fängst du natürlich an zu überlegen und gehst höher.

Wie lange haben Sie nach dem Unfall pausiert?

Der Arzt hatte mir dreieinhalb Monate Sportverbot verordnet. Das habe ich eingehalten. Eine Woche vor meiner Hochzeit bin ich das erste Mal wieder gesprungen. Das war in Tschechien auf dem High Diving Contest. Erst bin ich vom 3-Meter-Brett. Am zweiten Tag habe ich lange auf der 10-Meter-Klippe gestanden. Das war ein ganz neues Gefühl für mich.

Sie hatten Angst?

Ja. Meine Frau stand neben mir und hat mir einen kleinen Schubser gegeben. Am selben Tag bin ich dann noch einmal aus 16 Metern gesprungen. Damit hatte ich wieder mein Vertrauen zu mir selbst.

Was treibt Sie an?

Selbstvertrauen ist das eine. Und dann ist da natürlich auch diese Außenwirkung. Ich bin ’ne Rampensau, ein kleiner Narzisst. Ich stehe einfach gerne im Scheinwerferlicht. Aber nicht nur weil mein Ego gepuscht wird. Alles, was höher geht als der 10-Meter-Turm, ist auch für den Zuschauer absolut spektakulär.

Selbst jetzt, wo es schiefgegangen ist, gibt es immer noch keine Grenze?

Doch. Das Höchste, was ich seit meinem Unfall gesprungen bin, sind 25 Meter. Aber das liegt eher an meinem Umfeld als an mir selber. Meine Frau bedeutet mir mehr als mein Ego. Und die möchte das nicht. Man hat einfach andere Zukunftspläne.

Schieben Sie Ihre Frau da nicht ein bisschen vor?

Mach ich. Auf der einen Seite blutet mir mein Kamikazeherz. Aber ich bin auch glücklich, denn ich weiß nicht, wie es weitergegangen wäre. Wäre der Unfall nicht passiert, wäre ich bestimmt höher. Aber der Triumph bleibt mir. Kein Mensch hat vor oder nach mir aus 43 Metern eine Arschbombe gemacht. Mein Traum war immer, eine Arschbombe von der Golden-Gate-Brücke in San Francisco zu machen.

Sie hängen also doch am Leben?

Voll! Das Leben macht Spaß. Meine Angst war, dass ich in der Versenkung verschwinde, wenn ich mit dem Springen aus solchen Höhen aufhöre. Aber so ist es nicht gekommen.

Und, wie ist es denn gekommen?

Ich bin gerade 30 geworden. Damit bin ich fast doppelt so alt wie die Leute, die bei uns neu anfangen. Ich bin der älteste aktive Springer. Die Springer in unserer Hauptwettkampfcrew sind 16 bis 22. Für die Leute bin ich eine Art Galionsfigur, die sie in Deutschland am meisten mit der Sportart in Verbindung bringen. Ich bin mittlerweile schon so was wie der Splashdiving-Papa.

Wie macht sich das bemerkbar?

Es ist gibt Leute, die auch meinetwegen mit dem Sport anfangen. Da sind Leute bei, da hättest du teilweise nicht gewusst, was mit denen in den nächsten Jahren passiert. Wir haben Jungs dabei, die haben vorher anderen Leuten auf die Fresse gehauen. Das machen sie heute nicht mehr. Wir sind ein extrem bunter Haufen. Viele sagen, die Sportart ist anders. Fußballspielen kann jeder, Arschbomben nicht.