: „Nur selten wird von ‚ihr‘ statt ‚ihm‘ gesprochen“
TRANS Weltweit berichteten die Medien über Caitlyn Jenners „Vanity Fair“-Cover – oft klischeehaft und pathologisierend. Der Journalist Leo Yannick Wild über eine angemessene Sprache für trans* Personen
■ ist Journalist und aktiv beim Verein TransInterQueer e. V. Er veröffentlichte mit dem Verein 2011 die Broschüre „Trans* in den Medien“, die über Sprache und Trans*-Themen informiert.
INTERVIEW MALTE GÖBEL
taz: Herr Wild, im April erklärte Bruce Jenner, transsexuell zu sein. Am Montag trat Caitlyn Jenner an die Öffentlichkeit. Die Reaktionen waren gigantisch. Was ist Ihnen bei der Berichterstattung über Jenners Geschlechtsangleichung aufgefallen?
Leo Yannick Wild: Der Klassiker ist die Mär von der „Geschlechtsumwandlung“ oder „Verwandlung“, etwa in der Zeitschrift Gala: Ganz so als sei Harry Potter im Spiel, der jemanden quasi verzaubert. „Umwandeln“ hieße, da ist eine Art Betrug im Gange. Das suggerieren zum Beispiel auch Medien, die schreiben, „Jenner posiert als Frau“ oder „wird zur Frau“. Ganz übel ist die Rede davon, jemand sei oder sei noch keine „richtige“ Frau, oder im Fall von trans* Männern „ein richtiger“ Mann. Was ist denn da der Maßstab? Das ist Denken im Genitalraster, und in dem Raster möchte sicher niemand das eigene Geschlecht bemessen lassen.
Wie wäre es denn besser?
Die Art und Weise, in der über Jenners Vergangenheit gesprochen wird, ist von der falschen Idee geprägt, das „Hebammengeschlecht“, also das bei der Geburt zugewiesene, sei das „wahre“ Geschlecht. Nur selten ist die Rede von „ihr“ statt „ihm“, dabei wäre ein Verzicht auf die falsche Fremdzuschreibung als „er“ oder „Mann“ auch auf wenigen Zeilen ganz einfach. Zum Beispiel so: „Vor ihrer Geschlechtsangleichung war sie im Zehnkampf erfolgreich.“
Wäre also „Geschlechtsangleichung“ das bessere Wort?
Das Wort „Geschlechtsangleichung“ bringt viel kenntnisreicher zum Ausdruck, dass die Hebamme oder der Geburtshelfer damals danebenlag, die Familie und das soziale Umfeld auch. Erst als Kind, als jugendlicher oder erwachsener Mensch kann die Person anderen sichtbar machen, was ihr nach innen schon lange klar ist.
Ist Caitlyn Jenner transsexuell oder transgender? Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Bezeichnungen?
Wie sich ein Mensch hinsichtlich der eigenen Trans*-Thematik beschreibt, ist individuell, und welche Beschreibung Caitlyn Jenner für sich wählt, ist in ihrem Ermessen. Selbstbeschreibungen von Menschen aus dem trans*-Spektrum sind vielfältiger, als es eine zweigeschlechtlich orientierte Gesellschaft auf den ersten Blick erfasst. Im anglophonen Raum wird „Transgender“ häufig als Oberbegriff für eine Vielzahl von Selbstbeschreibungen verwendet. Im deutschsprachigen Raum wird er eher im engeren Sinn verwendet, als Selbst- oder Fremdbezeichnung von Menschen, die sich nicht oder nicht ausschließlich mit dem „Hebammengeschlecht“ identifizieren.
Und das Wort „transsexuell“?
„Transsexuell“ führt wegen „sexuell“ auf eine falsche Spur, ist aber der in Recht und Medizin übliche Begriff und wird etwa von Menschen genutzt, die sich als eindeutig dem „Gegengeschlecht“ zugehörig erleben. Aber ganz gleich ob diese oder andere Selbstbeschreibungen wie transident, trans* oder weder*noch: Trans* Menschen sind mit dem fremdbestimmenden Transsexuellengesetz und mit psychopathologisierenden medizinischen Diagnosen konfrontiert. Das ist oft eine gemeinsame Erfahrung.
■ Cisgender: „diesseits“, ein Gegenentwurf zu trans in der Bedeutung „jenseits“. Cisgender, Cis-Männer und Cis-Frauen, identifizieren sich mit dem Geschlecht, das ihnen nach der Geburt zugewiesen wurde
■ Transgender: Menschen, die sich nicht oder nicht ausschließlich mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Oft gehen sie einen anderen Weg als den der vollständigen Geschlechtsangleichung
■ Transsexualität: in der Medizin verbreiteter Begriff für Transgeschlechtlichkeit; Selbstbezeichnung von Menschen, die sich eindeutig nicht mit dem zugewiesenen Geschlecht identifizieren
■ Trans*: zunehmend verbreiteter Sammelbegriff. Das Sternchen ist ein Platzhalter für verschiedene Endungen wie transgender, transsexuell oder transident
(Quelle: Broschüre „Trans* Inter* Queer ABC“, TransInterQueer e. V.)
Mit dem Verein TransInterQueer haben Sie 2011 in der Broschüre „Trans* in den Medien“ beschrieben, wie Journalist_innen angemessen über Trans* schreiben können. Hat sich etwas verändert?
TransInterQueer e. V. erhält als Zentrum für trans*- und inter*-Themen ständig Medienanfragen, aber inzwischen seltener solche wie „Wir brauchen bis morgen Früh eine Frau, die zum Mann werden will“. Es melden sich häufiger Journalist_innen, die sich mit der Broschüre schon im Vorfeld befasst haben. Was problematisch bleibt: Die meisten Journalist_innen glauben, zu trans* Themen „einfach mal so“ schreiben zu können, Vorkenntnisse hin, angemessenes Wording her. Wer aber würde „einfach mal“ über den G-7-Gipfel oder die Fifa-Skandale schreiben?
Welche Bedeutung haben Caitlyn Jenner und ihr Auftritt in der „Vanity Fair“ für die deutsche Trans*-Community?
Nach wie vor gibt es im deutschsprachigen Raum wenige öffentlich sichtbare Rollenmodelle. Selbst wenn viele Berichte über sie verunglückt sind, bietet ihre Person für trans* Menschen die Möglichkeit, sich zu ihr zu verhalten, sich zu solidarisieren, oder zum Beispiel die eigene Biografie in Vergleich zu setzen. Da draußen sind sicher viele trans* Menschen, vom Teenager bis zum Menschen von mehr als 50 Jahren, die allein durch die Sichtbarkeit von Jenner einen nächsten Anker haben, Trans* zu thematisieren.